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Kik will ihn zum 1. Oktober einführen, der gesamte Einzelhandel im Frühjahr 2011 nachziehen. Doch längst nicht überall gilt ein Basislohn, wie das Beispiel der Textilkette S.Oliver zeigt.

Britta M. (Name von der Redaktion geändert) hat einen auf ein Jahr befristeten Vertrag als Aushilfe in einer nordrhein-westfälischen S.Oliver-Filiale. Die Vertragsbedingungen, die dieser Zeitung vorliegen, haben es in sich. Britta M. verdient 6,50 Euro pro Stunde. Damit sind „sämtliche Tätigkeiten (...) inklusive Zuschläge für Mehrarbeit, Wochenend- und Feiertagsarbeit abgegolten“.

S.Oliver ist nicht tarifgebunden

Während Personalleiter Reinhold Werthmann der Redaktion gegenüber schriftlich erklärte, dass die 6,50 Euro netto ausbezahlt und das Unternehmen darüber hinaus für die Beschäftigte Sozialabgaben und Steuern zahle, spricht die Gehaltsabrechnung eine andere Sprache. Von dem Grundlohn zieht S.Oliver die üblichen Sozialabgaben ab, so dass der jungen Frau 5,22 Euro netto bleiben. Ein Gericht hatte im letzten Jahr zwei Minijobbern des Textildiscounters Kik bescheinigt, dass ihr Stundenlohn von 5,20 Euro sittenwidrig sei. Die beiden Frauen durften auf Nachzahlungen hoffen.

Mit der konkreten Gehaltsabrechnung konfrontiert, ruderte S.Oliver zurück. Nettolöhne zahle man Minijobbern auf 400-Euro-Basis. Für Aushilfen in der so genannten Gleitzone (400,01 bis 800 Euro) gelte ein Stundenlohn von 6,50 bis zehn Euro – je nach Leistung und Berufserfahrung. „Im Durchschnitt werden unsere Aushilfen mit 7,50 Euro bezahlt“, schreibt ­Werthmann an die Redaktion. Dabei orientiere sich das Unternehmen mit Sitz in Bayern an dem dortigen Einzelhandels-Tariflohn. Nach An­gaben von Lieselotte Hinz von der Gewerkschaft Verdi in NRW ist S.Oliver nicht tarifgebunden.

Flexibler Einsatz

Obwohl Britta M. schon vergleichsweise wenig verdient, kann sie zudem nicht sicher gehen, dass sie pro Monat tatsächlich 96 Stunden arbeitet und den entsprechenden Gegenwert auf ihr Konto überwiesen bekommt. Denn in ihrem Vertrag heißt es: „Die monatliche Arbeitszeit kann nach Abruf durch den Arbeitgeber dauerhaft oder für bestimmte Zeiträume erweitert oder reduziert werden.“

Das heißt: Es kann Monate geben, in denen Britta M. deutlich weniger als 96 Stunden arbeitet und sie mit ihrem S.Oliver-Lohn ihre kalkulierten Kosten nicht bestreiten kann. Denn erschwerend kommt hinzu, dass sich die Aushilfe eine Nebenbeschäftigung laut Vertrag „ausdrücklich schriftlich“ von S.Oliver genehmigen lassen muss.

Finanziell eng kann es für die junge Frau auch im Krankheitsfall werden. Im Vertrag heißt es dazu: „Der Arbeitnehmer erhält keine Entgeltfortzahlung, wenn feststeht, dass keine Arbeitsleistung abgerufen worden wäre.“ Und wann Britta M. zum Dienst im Laden eingeteilt wird, ist „flexibel den jeweiligen betrieblichen Bedürfnissen angepasst“. Wann sie „abgerufen“ wird, erfährt die Frau „jeweils mindestens vier Arbeitstage im Voraus“. Damit erfüllt S. Oliver eine Mindestanforderung des Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge.

„Menschenunwürdig und rechtswidrig“

Lieselotte Hinz von Verdi bezeichnet das Gebaren als „menschenunwürdig“. Zudem sei es „rechtswidrig“, dass Britta M. nicht auf eine Mindeststundenzahl zählen kann. Damit treibe das Unternehmen seine Aushilfen in die Jobcenter, wo sie als Hartz-IV-Aufstocker Unterstützung be­antragen müssten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. „So wird mit unseren Steuergeldern der Profit von Konzernen finanziert“, so Hinz. Sie kritisiert, dass sich die Branche immer weiter in eine „Schmuddelecke“ manövriere und damit ihren Ruf verliere. Die Gewerkschafterin: „S.Oliver ist kein Einzelfall.“

Das soll sich aber ändern. Jüngst forderte Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub, dass die Mitbewerber des Textildiscounters Kik, der ab Oktober einen Basislohn von 7,50 Euro einführen will, mitziehen sollen. Mit seinem Appell will Haub auch einen gesetzlichen Mindestlohn verhindern.