Gelsenkirchen.

Die IG Metall fordert in Gelsenkirchen sechs Prozent mehr Lohn für die Beschäftigten der Stahlindustrie. Leiharbeiter sollen das gleiche Geld verdienen wie Festangestellte. Die Tarifgespräche gelten als Testfall für andere Branchen.

Testfall Stahlindustrie: Bei den großen deutschen Stahlkochern wie ThyssenKrupp, Salzgitter und Co. will die IG Metall die Weichen für die Lohnpolitik nach der Wirtschaftskrise stellen. Angesichts des unerwartet starken Konjunkturaufschwungs forderte die Gewerkschaft am Montag beim Auftakt der Tarifrunde in Gelsenkirchen Einkommensverbesserungen von sechs Prozent für die 85.000 Beschäftigten der Branche. Die Arbeitgeber legten kein Angebot vor. Die nächste Runde findet am 17. September statt.

IG Metall-Verhandlungsführer Oliver Burkhard sagte: „Vom Profit des Aufschwungs müssen alle Beschäftigten profitieren.“ Die Beschäftigten hätten einen Anspruch auf einen fairen Anteil an den wieder üppiger fließenden Gewinnen.

Bei den Arbeitgebern stießen die Forderungen der Gewerkschaft allerdings auf klare Ablehnung. Der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Stahl, Bernhard Strippelmann, sagte der Nachrichtenagentur dapd, die Forderung sei „auf jeden Fall zu hoch“. Die Branche habe gerade eine der schwersten Krisen ihrer Geschichte hinter sich und müsse dringend wieder „ein bisschen Substanz“ sammeln.

Stahlbranche litt in der Krise besonders heftig

Tatsächlich litt die Stahlbranche im Krisenjahr 2009 wie kaum eine andere unter der weltweiten Konjunkturflaute. Umsatzeinbrüche bis zu 50 Prozent führten dazu, dass zahlreiche Hochöfen abgeschaltet wurden. Deutschlands größter Stahlproduzent ThyssenKrupp wies mit einem Verlust von 1,9 Milliarden Euro das schlechteste Ergebnis der Unternehmens-Geschichte aus. Auch der Branchenzweite Salzgitter schrieb tiefrote Zahlen. Doch das ist Vergangenheit. In den vergangenen Monaten erlebte die Branche ein geradezu stürmisches Comeback. Schon im Mai wurde in Deutschland praktisch wieder soviel Rohstahl wie vor der Krise produziert.

Die Zeit, die Gürtel enger zu schnallen, ist deshalb nach Einschätzung der IG Metall vorbei. Die mächtige Gewerkschaft will mit der Forderung nach sechs Prozent mehr Entgelt ein Zeichen setzten. Der Ausgang soll Vorbildcharakter haben für die im Frühjahr 2011 anstehenden Tarifverhandlungen im Einzelhandel, in der Chemischen Industrie und im Baugewerbe.

Der Konjunkturexperte des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen, Roland Döhrn, warnte allerdings davor, die Stahlindustrie zum Modell zu machen. Denn mit ihren wenigen großen Unternehmen und dem geringen Lohnkostenanteil an den Produktionskosten sei die Branche alles andere als repräsentativ. Der Experte riet für den Rest der Branchen zur Bescheidenheit: „Das Produktionsniveau liegt noch immer unter der Vorkrisenzeit. Da sollte man keine Produktionszuwächse verteilen, die noch gar nicht erwirtschaftet worden sind.“

Gleicher Lohn für Leiharbeiter gefordert

Doch möglicherweise bereitet eine andere Forderung der IG Metall den Arbeitgebern noch größere Kopfschmerzen: Die Gewerkschaft will erstmals tarifvertraglich vereinbaren, dass die rund 3.000 Leiharbeiter der Branche das gleiche Geld erhalten wie die Festangestellten. „In der Stahlindustrie darf es keine zwei Klassen von Beschäftigten geben. Wer als Leiharbeitnehmer in den Betrieb geholt wird, muss für gleiche Arbeit auch gleiches Geld bekommen“, sagte der IG Metall-Verhandlungsführer. Zwar spielt die Leiharbeit in der Stahlindustrie eine eher untergeordnete Rolle. Doch ein Erfolg in dieser Frage wäre ein wichtiges Signal auch für andere Branchen.

Kein Wunder also, dass der Arbeitgeberverband Stahl hier auf stur schaltete: Für Leiharbeiter sei er gar nicht zuständig, winkte Hauptgeschäftsführer Bernhard Stirppelmann ab. Für die Zeitarbeitsbranche gebe es eigene Tarifverträge. Doch die Gewerkschaft will nicht zulassen, dass sich die Arbeitgeber so „wegducken“. Existierende Betriebsvereinbarungen zeigten, dass hier eine Einigung möglich sei, meinte Burkhard.

Doch der Konflikt hat am Ende für die IG Metall möglicherweise einen bitteren Beigeschmack. Denn der größte Teil der Metaller, die 3,4 Millionen Beschäftigen der Metall- und Elektroindustrie, dürften am wenigsten von einem Abschluss profitieren. Denn unter dem Eindruck der Krise hatte die Gewerkschaft sich hier bis 2012 tarifvertraglich gebunden. Die meisten Metaller können deshalb im Frühjahr 2011 „nur“ mit einer Lohnerhöhung von 2,7 Prozent rechnen. (ddp)