Berlin.
Flugzeuge stehen still, Güter bleiben liegen - die Aschewolke über Europa lähmt nicht nur den Flugverkehr, sondern weite Teile der deutschen Wirtschaft. Volkswirte schätzen den täglichen Schaden auf eine Milliarde Euro. Die EU kündigt Hilfen für die gebeutelten Airlines an.
Der Vulkanausbruch in Island kommt die deutsche Firmen teuer zu stehen. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag schätzt, dass die Flugverbote die Exportwirtschaft jeden Tag eine Milliarde Euro kostet. Industriepräsident Hans-Peter Keitel sagte am Montag in Hannover: „Das Ereignis beginnt, einen negativen Einfluss auf die gesamte Volkswirtschaft zu haben.“ In Absprache mit Wirtschaftsminister Rainer Brüderle werde deshalb eine Taskforce eingesetzt, die schnelle Hilfe organisieren solle.
„Wir haben den Eindruck, dass die Zeit vorbei ist, den Vulkanausbruch und seine Auswirkungen als abenteuerliches Naturereignis zu betrachten“, erklärte Keitel. Über den Luftverkehr gingen 40 Prozent des Wertes der deutschen Exporte in die ganze Welt. Mindestens 850.000 Arbeitsplätze seien direkt vom Luftverkehr abhängig.
Keitel sagte, in den vergangenen Tagen sei zu viel übereinander und zu wenig miteinander gesprochen worden. In der Taskforce sollen nun alle Betroffenen miteinander reden und klären, wie der Verkehr in eingeschränkter Weise so gut es geht organisiert werden kann. So regt der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) an, das Nachtflugverbot für einige Tage einzuschränken oder aufzuheben. Denn zwei Drittel des Luftfrachtverkehrs würden nachts abgewickelt. Nach Hessen will auch Baden-Württemberg für den Fall einer Freigabe des Luftraums die geltenden Nachtflugverbote lockern.
Viele Industriezweige auf Lufttransporte angewiesen
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag schätzt, dass das aktuelle Flugverbot die heimische Wirtschaft jeden Tag eine Milliarde Euro kostet. DIHK-Chefvolkswirt Volker Treier erklärte in n-tv, 35 bis 40 Prozent des internationalen Handels liefen über Luftfracht. Der deutsche Export habe ein Volumen von 1.000 Milliarden Euro im Jahr. „Wenn Sie da 35 Prozent nehmen, dann sind Sie bei 350 Milliarden, und das auf einen Tag runtergebrochen, fehlen uns dann eine Milliarde.“
Wirtschaftsminister Brüderle erklärte: „Wenn in der globalisierten Wirtschaft Wertschöpfungsketten über einen längeren Zeitraum unterbrochen werden, kommen wir in eine ernste Lage, denn viele unserer Industriezweige hängen vom Transport mit Flugzeugen ab.“ Dazu gehörten die Logistikunternehmen, die Tourismusbranche und die Postdienstleister. „Auch Bereiche, an die man nicht sofort denkt, wie zum Beispiel die Automobilindustrie oder die chemische Industrie sind auf Lieferungen aus dem Ausland oder in das Ausland angewiesen“, sagte der FDP-Politiker.
Nach der Wirtschaftskrise das Flugverbot
Als Folge des Vulkanausbruchs entgehen allein den deutschen Flughäfen täglich Einnahmen von rund zehn Millionen Euro. Diese Summe nannte der Flughafenverband ADV. Für die Airports sei das Flugverbot eine enorme wirtschaftliche Belastung, erklärte Hauptgeschäftsführer Ralph Beisel. „Die Luftverkehrsbranche hat sich von den Folgen der weltweiten Wirtschaftskrise noch immer nicht vollständig erholt und muss nun diese Krise verkraften.“
Noch viel stärker trifft es Luftfahrtgesellschaften und Touristikindustrie. Der Sprecher des Verbandes der Europäischen Airlines (AEA), David Henderson, sagte der Nachrichtenagentur DAPD am Montag, die Umsatzeinbußen der Fluglinien summierten sich derzeit auf rund 150 Millionen Euro pro Tag. „Die meisten europäischen Airlines verdienen zurzeit überhaupt nichts“, sagte er.
Air-Berlin-Sprecherin Yasmin Born berichtete: „Für uns entsteht täglich ein Schaden in Millionenhöhe.“ Bei der Lufthansa hieß es: „Der Schaden lässt sich noch nicht abschätzen.“ Die Aktien beider Fluglinien verloren bis zum Montagmittag mehr als 5 Prozent an Wert.
EU verspricht Entschädigung
Die EU-Kommission will deshalb rasch staatliche Hilfen für die von dem Flugverbot über Europa geplagten Airlines ermöglichen. „Das haben wir schon nach dem 11. September getan“, sagte EU-Verkehrskommissar Siim Kallas am Montag in Brüssel. Er betonte aber, etwaige staatliche Zuschüsse für die Fluggesellschaften müssten auf die Auswirkungen der Vulkan-Krise beschränkt bleiben und dürften zu keinen Wettbewerbsverzerrungen führen.
Auch die Touristikbranche leidet zunehmend unter dem Flugverbot. Europas größter Reiseveranstalter TUI Travel gab die täglichen Belastungen durch die Krise mit bis zu 6 Millionen Britische Pfund (6,8 Millionen Euro) an. Der Duisburger Reiseveranstalter Alltours bezifferte die zusätzlichen Kosten für die Betreuung der gestrandeten Passagiere auf rund 60.000 Euro pro Tag. Hinzu kämen die Umsatzeinbußen durch stornierte Reisen. Doch hoffe man, dass zumindest ein Teil der Betroffenen die nun geplatzte Urlaubsreise später nachhole.
Blumennachschub zum Muttertag gefährdet
Auch die deutschen Verbraucher könnten schon bald die Auswirkungen zu spüren bekommen. Der Einzelhandel befürchtet wegen der Sperrung des Luftraums Engpässe bei frischen Waren. „Mit Blumen, Fisch und Fleisch wird es Probleme geben“, sagte Hessens Einzelhandelspräsident Frank Albrecht. Ab Ende der Woche könnten die Waren in den Regalen knapp werden. „Es drohen enorme Versorgungsprobleme“, sagte Albrecht. Lebensmittel seien schnell verderblich. Wenn aufgrund der Zwangspause im Luftverkehr kein Nachschub geliefert werde, blieben die Lager leer.
Der Frankfurter Flughafen sei bundesweit der größte Umschlagsplatz für Fisch und Blumen. Von den Engpässen sei ganz Deutschland betroffen. Da der Luftraum auch in anderen Ländern in Europa gesperrt sei, könnten die Geschäfte auch nicht auf die Bestände aus Nachbarländern zugreifen. Die Lage sei sehr dramatisch, betonte der Einzelhandelspräsident, zumal am 8. Mai Muttertag sei und die Nachfrage nach Blumen groß sei. „Das ist etwas, was uns große Sorgen macht“, fügte Albrecht hinzu.
Die Profiteure
Es gibt jedoch auch Unternehmen, die von der Pause am Himmel profitieren. So verzeichnen Mitfahrzentralen, Autovermieter und die Deutsche Bahn einen Ansturm. Das Unternehmen setze wie in den vergangenen Tagen alle verfügbaren Züge ein und habe zusätzliches Personal im Einsatz, sagte ein Bahn-Sprecher am Montag in Berlin.
Der größte deutsche Anbieter im internationalen Linienbusverkehr, die Deutsche Touring GmbH, berichtete am Montag von einem regelrechten Nachfrageboom. „Wir haben mittlerweile etwa zehn Mal mehr Busse auf der Straße als an normalen Tagen“, erklärte Firmenmanager Michael Svedek. Statt 160 bis 200 Bussen seien derzeit bis zu 1.500 Busse für das Unternehmen unterwegs. Auch der Autoverleiher Sixt berichtete von gestiegener Nachfrage. „Es ist eine höhere Auslastung da“, sagte ein Firmensprecher. (apn/afp)