Brüssel. Dass die Milchpreise derzeit im Keller sind, hat nicht bloß mit einem zu großen Angebot zu tun. Jetzt die Produktion zu drosseln, damit die Preise wieder steigen, ist der falsche Weg. Eine Politik der gezielten Entlastung ist gefragt.

Für die Krise der Milchbauern gibt es angeblich eine sehr schlichte Erklärung und eine simple Lösung. Die Bauern, so heißt es, produzierten einfach zu viel Milch und ruinierten damit selbst die Preise. Die Politik müsse deshalb einfach nur dafür sorgen, dass die Landwirte die Produktion drosseln – dann werde alles wieder gut.

So einfach ist es natürlich nicht. Dass die Milchpreise gegenwärtig im Keller sind, hat nicht bloß mit einem zu üppigen Angebot zu tun. Sondern auch damit, dass erstens die Discounter ihren Wettbewerb untereinander ausgerechnet über „Schaufenster“-Preisangebote für Milch und Butter austragen. Dass zweitens die Macht des Einzelhandels, die Preise zu drücken, durch die Verdrängung von frischer durch „längerfrische“ Milch noch gestiegen ist. Dass drittens Teile der Nachfrage, etwa der Käse-Konsum in Russland, derzeit wegen der Finanzkrise ausfallen. Dass viertens in der Lebensmittelverarbeitung immer häufiger billigere Ersatzprodukte wie Pflanzenfette eingesetzt werden. Und dass fünftens – eine böse List der Natur – Kühe im Frühjahr ohnehin mehr Milch geben als im Rest des Jahres.

Es ist deshalb falsch, das Problem auf eine - vermeintlich sogar strukturelle - Überproduktion zu verkürzen. Und erst recht führt es in die Irre, bereits wieder von Milchseen oder Butterbergen zu schwadronieren. Die aktuellen Lager und Interventionen der EU-Kommission haben nicht einmal annähernd das Volumen der Bestände, die in den Achtzigern aufgekauft wurden – übrigens unter ganz anderen Vorgaben und Rahmenbedingungen. Bei denen, die Vergleiche zu früher ziehen, scheint wohl ein altes Trauma nachzuwirken.

Was die Lösungsvorschläge angeht, ist ebenfalls Vorsicht geboten. Eine Patentlösung gibt es nicht.

Marktradikale Vorschläge, die darauf setzen, das sich der Milchmarkt gesundschrumpft, wenn erst genug wirtschaftlich angeschlagene Höfe und Betriebe aufgegeben, sind nicht nur sozialpolitisch fragwürdig. Sie tun auch so, als ginge es um ein beliebiges Gut. Geht es aber nicht. Schließlich tun Milchbauern viel mehr, als ein fetthaltiges Getränk auf den Markt zu bringen. Sie halten mit ihrer Viehwirtschaft Erholungsräume offen, wirken der Verödung des ländlichen Raums entgegen, sichern eine regionale Lebensmittelversorgung und verhindern eine politische Abhängigkeit von ausländischen Zulieferern. Alles das setzt aufs Spiel, wer leichtfertige Plädoyers für eine Selbstbereinigung des Markts hält.

Aber auch andere sind in Erklärungszwang. So müssen Verfechter einer strikten Milchquote – also einer flächendeckenden Beschränkung des Angebots – ein Argument bieten, warum die Quote in Zukunft wirken soll – wo sie es doch in der Vergangenheit oft nicht tat. Die Quoten-Fans müssen auch erläutern, ob sie ausländische Märkte anderen Anbietern überlassen wollen, wenn die Nachfrage nach Molkereiprodukten wieder steigt – schließlich ist damit angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung im nächsten konjunkturellen Aufschwung zu rechnen. Und außerdem: In der EU gibt es keine echte politische Chance, eine Mehrheit für ein strenges Quotensystem zusammen zu bekommen.

Angesichts dieser vielen unbeantworteten Fragen spricht vieles für eine Politik gezielter kleiner Entlastungen für die in Not geratenen Höfe und konkreter Absatzförderung. Von Dieselrabatten bis zu Grünlandprämien, von Schulmilchprogrammen bis zu Lagerzuschüssen – allesamt Instrumente, die den Bauern helfen sollen, erst einmal über die Runden zu kommen, bis die Preise wieder auf ein auskömmliches Niveau steigen. Momentan geht es nämlich vor allem darum, Zeit zu gewinnen, damit sich der Markt wieder erholen kann. Und nicht um den großen strategischen Wurf für die Milchwirtschaft – zumal der sich bei näherer Ansicht schnell als großer Quark oder Käse entpuppen könnte.

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