Essen. Am Mittwoch ist in Bremen der Evangelische Kirchentag eröffnet worden. Er findet mitten in der Finanz-und Wirtschaftskrise statt. Angelika Wölk sprach mit dem Vorstands-Vorsitzenden von MAN-Ferrostaal, Matthias Mitscherlich, über ethisches Handeln in der Wirtschaft.

In Bremen ist der Evangelische Kirchentag eröffnet worden. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, (EKD), Wolfgang Huber, hatte angekündigt, dass sich die Kirche mit Fragen von Ethik und Wirtschaft auseinandersetzen und Maßstäbe für ethisches Handeln von der Wirtschaft einfordern wird. Darüber sprach Angelika Wölk mit dem Vorstands-Vorsitzenden von MAN-Ferrostaal, Matthias Mitscherlich.

Herr Mitscherlich, die Kirche fordert von der Wirtschaft ethisches Handeln. Hört die Wirtschaft überhaupt auf die Kirche?

Matthias Mitscherlich: Die Kirche ist nicht allein relevant, es geht um die Sache: die Moral in der Gesellschaft. Und da ist die Kirche wichtig, sie ist ein Regulativ, ein Mahner. Aber sie ist nur eine Stimme im Chor von vielen, die Moral in der Gesellschaft und damit auch in der Wirtschaft, anmahnen. Die Wirtschaft hört auch darauf.

Welche Stimmen sind das?

Mitscherlich: Stimmen von der Arbeitnehmerseite, also Gewerkschaften, aus der Wissenschaft, aus vielen gesellschaftlichen Gruppierungen. Ihr Tenor ist immer derselbe: Wo ist die Moral geblieben?

Wo ist die Moral geblieben?

Mitscherlich: Ich glaube nicht, dass die Moral verschwunden ist. Im Gegenteil, ich habe den Eindruck, dass sich die Wirtschaft in diesem Jahrzehnt viel mehr mit Fragen der Ethik beschäftigt als früher. Die Moralkrise ist ja nicht so sehr eine Krise der Realwirtschaft. Es ist eine Finanzkrise und vor allem eine Krise, die von einer virtuellen Welt ausgegangen ist. Da ist Geldmachen um des Geldmachens willen entwickelt worden. Wenn Sie in der realen Wirtschaft sind, müssen Sie etwas leisten, etwas verkaufen, eine Ware oder eine Dienstleistung, für die Sie Geld bekommen. Das ist etwas anderes, als wenn Sie mit Derivaten handeln.

Geldmachen um des Geldmachens willen – da haben sich doch nicht alle in der Wirtschaft mit Moral beschäftigt?

Mitscherlich: Ich würde hier die Finanzwirtschaft von der Realwirtschaft trennen, und ich würde sagen: Selbst in der Finanzwelt gibt es unterschiedliche Ansätze. Nehmen Sie nur die Banken in der arabischen Welt, wo muslimische Regeln gelten. Diese Banken sind sehr viel weniger von der Finanzkrise betroffen als Banken in der westlichen Welt. Nach muslimischen Regeln darf man mit Geld kein Geld machen.

Zurück zur Kirche: Mischen sich die Kirchen laut genug in die Debatte ein?

Mitscherlich: Ganz schön wäre, wenn sich die verschiedenen Konfessionen mehr auf die wirklich wichtigen Themen in unserer Gesellschaft konzentrieren und weniger ihre eigenen Probleme untereinander ausleben würden.

Die wirklich wichtigen Themen – welche sind das?

Mitscherlich: Dass man der Jugend eine Perspektive bieten muss, die nicht nur ökonomisch ist. Man sieht doch, wie schwierig das für Jugendliche geworden ist, die sich nur noch im Internet aufhalten, beschallt werden mit Musik. Fragen der Kultur, der Religion oder Fragen, wie die Gesellschaft besser werden kann – die sind zwar bei vielen Jugendlichen auch da. Aber die Frage ist doch, welche Rolle sie spielen. Jugendliche sollten lernen, sich nicht nur über ökonomische Werte zu definieren, nach dem Motto: Wenn man viel Geld hat, ist man gut, wenn man weniger Geld hat, nicht. Die Perspektive für Jugendliche ist eines der wichtigsten Themen überhaupt.