Essen/Duisburg. Schon wieder schreibt Thyssenkrupp in einer Zwischenbilanz rote Zahlen. Der Vorstand verweist unter anderem auf die Stahlsparte.
Der Essener Stahl- und Industriegüterkonzern Thyssenkrupp schreibt erneut in einer Zwischenbilanz rote Zahlen. Im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2023/24 hat das Unternehmen einen Fehlbetrag von 72 Millionen Euro verbucht – nach 203 Millionen Euro im Vorjahr. In der Halbjahresbilanz fällt damit insgesamt ein Verlust in Höhe von 377 Millionen Euro an, das sind sogar 272 Millionen Euro mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.
Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López erklärte, der Konzern habe sich im zweiten Quartal „planmäßig entwickelt“ – und das in einem „sich weiterhin eintrübenden Marktumfeld“. Zur Begründung für den Verlust nennt der Thyssenkrupp-Vorstand unter anderem konjunktur- und damit nachfragebedingte Wertberichtigungen im Anlagevermögen der Stahlhandelssparte.
Schon zum zweiten Mal seit seinem Amtsantritt vor nicht einmal einem Jahr muss Thyssenkrupp-Chef López die Ergebnisprognose senken. Bei der Kennziffer „Jahresüberschuss“ erwartet der Vorstand nun einen „negativen Wert im niedrigen dreistelligen Millionen-Euro-Bereich“. Bislang hatte das Thyssenkrupp-Management einen ausgeglichenen Wert angestrebt. Im Geschäftsjahr 2022/23, das im September vergangenen Jahres zu Ende ging, hatte der Verlust noch knapp zwei Milliarden Euro betragen. Beim operativen Ergebnis („Bereinigtes Ebit“) erwartet der Thyssenkrupp-Vorstand für das laufende Geschäftsjahr weiterhin eine Steigerung auf einen Wert im hohen dreistelligen Millionen-Euro-Bereich – nach 703 Millionen Euro im Vorjahr.
Der Auftragseingang und der Umsatz des Ruhrkonzerns lagen Unternehmensangaben zufolge mit 8,6 Milliarden und 9,1 Milliarden Euro deutlich unter dem Vorjahresniveau, das jeweils etwas mehr als zehn Milliarden Euro betragen hatte. Auch hier seien vor allem Rückgänge in der Stahlsparte sowie im Werkstoffhandel zu Buche geschlagen. Im Stahlgeschäft von Thyssenkrupp Steel hätten sich „hohe Energiekosten“ und ein „steigender Importdruck“ negativ ausgewirkt. Thyssenkrupp Steel leide zudem unter „stark rückläufigen“ Preisen, und das Unternehmen verkaufe weniger Stahl.
Lopéz schildert die Situation in Duisburg mit drastischen Worten
In einer Telefonkonferenz zur Zwischenbilanz schilderte Thyssenkrupp-Chef López die Situation des Stahlstandorts Duisburg mit drastischen Worten. „Duisburg und das Ruhrgebiet hatten in der Vergangenheit Standortvorteile, von denen zwei entscheidende inzwischen nicht mehr existieren“, sagte López. Weder seien Deutschland und Europa heute „das Zentrum der globalen Stahlnachfrage“, noch habe Thyssenkrupp die für eine „energieintensive Stahlproduktion nötigen günstigen Energiequellen vor der Türe, insbesondere dann nicht, wenn Energie und Stahlproduktion künftig grün sein sollen. Diese Entwicklung bedroht den Stahlstandort Deutschland.“
Im Vergleich zu Stahlstandorten in Schweden, Spanien und der Türkei sowie künftigen Standorten im Nahen Osten oder Afrika habe Duisburg „ein enormes energetisches Standortdefizit“, bemängelt López. „Nachteile gibt es aber auch gegenüber China, Indien und Korea, die die vollständige Dekarbonisierung ihrer Stahlindustrie viel später vollziehen als Deutschland und Europa.“
Kretinsky soll bei Thyssenkrupp Steel „Energiekompetenz“ einbringen
Bei den Beschäftigten von Deutschlands größtem Stahlkonzern ist die Verunsicherung ohnehin groß. Vor wenigen Wochen hatte das Unternehmen mitgeteilt, dass der tschechische Geschäftsmann Daniel Kretinsky mit seiner Firma EP Corporate Group (EPCG) bei Thyssenkrupp Steel einsteige und zunächst rund 20 Prozent der Anteile übernehme. Das Ziel sei die Schaffung eines Gemeinschaftsunternehmens, an dem beide Seiten jeweils 50 Prozent der Anteile halten, erklärte Thyssenkrupp-Vorstandschef López, der von einem „historischen und bedeutenden Schritt“ sprach.
Das Kretinsky-Unternehmen EPCG werde „seine Kompetenzen als Energiehändler, -versorger und -lieferant“ in die Partnerschaft mit Thyssenkrupp einbringen, „um eine ausreichende Versorgung mit Energie in Form von Wasserstoff, Grünstrom sowie der Bereitstellung von anderen Energierohstoffen zu ermöglichen“, heißt es in der Zwischenbilanz des Ruhrgebietskonzerns. „Auch im Projektmanagement und bei der Umsetzung von Großprojekten der grünen Transformation können sich sinnvolle Schnittstellen der beiden Unternehmen ergeben.“
Demonstration von Stahlbeschäftigten am 23. Mai in Essen geplant
Nur wenige Tage vor der Mitteilung zum Kretinsky-Einstieg hatte der Vorstand von Thyssenkrupp Steel angekündigt, das Unternehmen mit großen Standorten in Duisburg, Bochum, Dortmund und Südwestfalen solle für eine deutlich geringere Produktion neu zugeschnitten werden. Bislang seien die Anlagen auf eine Jahresproduktion von rund 11,5 Millionen Tonnen ausgelegt. Künftig sollen es lediglich neun bis 9,5 Millionen Tonnen sein. Es werde einen „noch nicht bezifferbaren Abbau von Arbeitsplätzen“ geben. Als eine Faustformel in der Stahlindustrie gilt: „Eine Million Tonnen gleich 1000 Arbeitsplätze.“
Führende Arbeitnehmervertreter beklagen Geheimniskrämerei rund um den Kretinsky-Deal, der Deutschlands Stahlindustrie grundlegend verändern könnte. „Es ist eine Ungeheuerlichkeit, wie die Beschäftigten von López und Kretinsky im Dunkeln gehalten werden“, sagte der frühere IG Metall-Vorsitzende Detlef Wetzel, der nun stellvertretender Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp Steel ist, unserer Redaktion. Stahlbeschäftigte werden Gewerkschaftsangaben zufolge am 23. Mai in Essen demonstrieren. Für diesen Tag ist eine Aufsichtsratssitzung geplant, bei der es auch um den Einstieg von Kretinsky bei Thyssenkrupp Steel gehen soll.
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