Duisburg/Essen. Bei Thyssenkrupp gärt es weiter. Protest wird geplant, ein neues Flugblatt kursiert und ein prominenter IG-Metaller wittert einen Skandal.

Thyssenkrupp kommt nicht zur Ruhe. Angesichts einer ungewissen Zukunft der traditionsreichen Stahlsparte mit rund 27.000 Beschäftigten und großen Standorten in Duisburg, Bochum, Dortmund sowie Südwestfalen bereitet die IG Metall eine Protestkundgebung vor der Essener Konzernzentrale vor. Stahlbeschäftigte werden Gewerkschaftsangaben zufolge am 23. Mai in Essen demonstrieren. Für diesen Tag ist eine Aufsichtsratssitzung geplant, bei der es auch um den Einstieg des tschechischen Geschäftsmanns Daniel Kretinsky bei der Stahlsparte Thyssenkrupp Steel gehen soll.

Mit seinem Unternehmen EPCG will Kretinsky zunächst 20 Prozent der Anteile an Deutschlands größtem Stahlkonzern übernehmen – und später dann auf 50 Prozent aufstocken, wie Thyssenkrupp unlängst mitteilte. Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López sieht darin einen „historischen und bedeutenden Schritt“.

Führende Arbeitnehmervertreter beklagen indes Geheimniskrämerei rund um den Deal, der Deutschlands Stahlindustrie grundlegend verändern könnte. „Es ist eine Ungeheuerlichkeit, wie die Beschäftigten von López und Kretinsky im Dunkeln gehalten werden“, sagt der frühere IG Metall-Vorsitzende Detlef Wetzel, der nun stellvertretender Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp Steel ist. „Hier zeichnet sich ein Skandal ab. Bislang gibt es nicht einmal Verhandlungen zu einer Fair-Owner-Vereinbarung für Thyssenkrupp Steel.“

Votieren die Arbeitnehmer gegen den Einstieg von Kretinsky?

Mit sogenannten Fair-Owner-Verträgen, in denen den Beschäftigten beispielsweise Zusagen zur Sicherheit von Arbeitsplätzen oder zum Erhalt von Standorten gemacht werden, sind bei Thyssenkrupp in der Vergangenheit regelmäßig Firmenverkäufe begleitet worden.

Detlef Wetzel, der Vize-Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp Steel (hier bei der Kundgebung am 30. April in Duisburg), fordert: „Betriebsbedingte Kündigungen müssen ausgeschlossen sein.“
Detlef Wetzel, der Vize-Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp Steel (hier bei der Kundgebung am 30. April in Duisburg), fordert: „Betriebsbedingte Kündigungen müssen ausgeschlossen sein.“ © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

„Die Menschen haben ein Recht darauf, dass sie Klarheit bekommen“, mahnt Wetzel im Gespräch mit unserer Redaktion. „Das heißt: Betriebsbedingte Kündigungen müssen ausgeschlossen sein. Und wir brauchen weitreichende Vereinbarungen zu den Standorten, zur finanziellen Ausstattung des Unternehmens und zu den anstehenden Investitionen. Einem Deal, bei dem die Interessen der Beschäftigten außer Acht gelassen werden, werden wir uns mit aller Macht entgegenstellen.“ Klar sei jedenfalls: „Eine Zustimmung der Arbeitnehmer zum Kretinsky-Deal kann es ohne Fair-Owner-Vereinbarung nicht geben.“

Noch keine Verhandlungen über Fair-Owner-Vereinbarung zu Kretinsky-Deal

Dass es noch keine Verhandlungen zu einer Fair-Owner-Vereinbarung im Zusammenhang mit dem Kretinsky-Deal gegeben hat, wird vom Thyssenkrupp-Management unter anderem mit den Plänen für einen schrittweisen Einstieg des tschechischen Milliardärs begründet.

Auf Anfrage unserer Redaktion erklärt Thyssenkrupp, das Unternehmen habe mit der IG Metall eine Vereinbarung für den Fall „signifikanter Veränderungen der Gesellschafterstruktur einer Unternehmenseinheit“ getroffen. Wenn Thyssenkrupp dann nicht mehr der beherrschende Eigentümer sei, werde im Vorfeld einer solchen Transaktion jeweils eine sogenannte Best- beziehungsweise Fair-Owner-Regelung getroffen. „Diese Vereinbarung mit der IG Metall soll die frühzeitige Beteiligung der zuständigen Mitbestimmungsgremien sichern“, so das Thyssenkrupp-Management.

Neues Flugblatt der IG Metall: Protest in Essen geplant

Mit dem Kretinsky-Unternehmen EPCG sei momentan lediglich eine 20-Prozent-Beteiligung vereinbart, die noch vom Thyssenkrupp-Aufsichtsrat genehmigt werden müsse, betont das Thyssenkrupp-Management – und fügt hinzu: „Vor einer Erweiterung der Beteiligung auf 50 Prozent wird auf jeden Fall eine Best-/Fair-Owner-Regelung mit der IG Metall vereinbart.“

Offene Fragen gibt es auch mit Blick auf die vom Management angekündigte Neuaufstellung von Thyssenkrupp Steel. Bislang sind die Anlagen von Thyssenkrupp Steel auf eine Jahresproduktion von rund 11,5 Millionen Tonnen ausgelegt. Künftig sollen es lediglich neun bis 9,5 Millionen Tonnen sein. Es werde einen „noch nicht bezifferbaren Abbau von Arbeitsplätzen“ geben, hatte der Stahlvorstand vor etwa einem Monat erklärt. Insofern sind derzeit nur Schätzungen möglich. Als eine Faustformel in der Stahlindustrie gilt: „Eine Million Tonnen gleich 1000 Arbeitsplätze.“ Es werde vermutlich nicht vor Ende Mai oder Anfang Juni klar sein, wie es weitergehe, sagt ein Insider. Auch über die Schließung von Standorten und Anlagen wird spekuliert.

Metaller Wetzel kritisiert Stiftungschefin Gather

Die von der früheren Dortmunder Uni-Rektorin Ursula Gather geführte Krupp-Stiftung, die größte Einzelaktionärin von Thyssenkrupp, hat sich öffentlich erfreut gezeigt über die Beteiligung der Kretinsky-Firma EPCG am Stahlgeschäft des Ruhrgebietskonzerns. Sie habe „großes Vertrauen in den Vorstand um Miguel López“, erklärte die Stiftung unlängst. Detlef Wetzel reagierte darauf mit harscher Kritik an Stiftungschefin Gather während der Kundgebung der Stahlbeschäftigten vor der Duisburger Firmenzentrale am 30. April.

Auch in einem aktuellen Flugblatt der IG Metall kritisieren Thyssenkrupp-Arbeitnehmervertreter die Informationspolitik des Managements zum Kretinsky-Einstieg. „Was dies alles für Thyssenkrupp Steel und die Beschäftigten bedeutet, darüber schweigt der Konzern“, heißt es in dem Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt. Offiziell äußert sich das Unternehmen auch nicht zu einem Kaufpreis für Thyssenkrupp Steel. „Mittlerweile ist bekannt geworden, dass Kretinsky 200 Millionen Euro für einen Anteil zahlt – der Deal aber eine Ausstiegsklausel beinhaltet“, schreibt indes die IG Metall. Hinter vorgehaltener Hand wird bereits vielfach im Unternehmen die Frage aufgeworfen, welche Konsequenzen ein etwaiger Rückzug von Kretinsky hätte.

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