Essen. Im WAZ-Interview fordert der Wirtschaftsweise Christoph Schmidt einen Abbau der Schulden statt Steuersenkungen. Aufgabe der Politik sei es, sich die Ausgaben genau anzuschauen. Nach wie vor gebe es erhebliche Subventionen in Deutschland.
Herr Schmidt, der Sachverständigenrat hat erstmals seit Jahrzehnten gelobt, dass die Politik Konjunkturprogramme aufgelegt und mit Schulden finanziert hat. Ist es damit auch richtig, wenn die Union trotz Verschuldung Steuern senken will?
Christoph M. Schmidt: Der gewaltige volkswirtschaftliche Schock der Finanzkrise erforderte andere Maßnahmen als früher. Ende der 90er hatte die Wirtschaft strukturelle Probleme wie hohe Arbeitslosigkeit. Deshalb haben Ökonomen geworben, Reformen wie die Agenda 2010 anzugehen.
Und heute?
Schmidt: Die Therapie, mit den Konjunkturprogrammen das wegbrechende Wachstum abzufedern, war richtig.
Mit der Folge, dass wir ein Defizit im Bund von 100 Milliarden erwarten. Nochmal: Steuersenkungen auf Pump – ist das vernünftig?
Schmidt: Ich halte das für falsch. Wir laufen auf eine Quote der Schulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung von 80 Prozent zu, das ist deutlich mehr als die 60 Prozent, die im Stabilitätspakt vereinbart sind. Wir sollten die Steuern nicht auf Kosten neuer Verschuldung senken.
Warum eigentlich nicht?
Schmidt: Die Menschen wie auch die Unternehmen wissen, dass die Verschuldung irgendwann zu höheren Steuern führen wird. Das ist schädlich, weil die Leute weniger konsumieren oder die Unternehmen weniger investieren.
Zudem steigen die Zinsen.
Schmidt: Richtig, auch das bremst das Wachstum und schränkt die Handlungsfähigkeit des Staates ein.
Steuersenkungen führen zu mehr Wachstum, sagt die Union, noch stärker argumentiert die FDP damit.
Schmidt: Die FDP ist die einzige Partei, die eine radikale Reform des Steuersystems fordert, mit einer Entlastung von 69 Milliarden Euro. Es ist aber schwer vorstellbar, dass das allein über Wachstum zu finanzieren ist. Wie soll das gehen? Eine Systemreform halte ich dennoch für dringend notwendig.
Union wie SPD wollen die kalte Progression, also steigende Steuern in Folge von Lohnerhöhung, abmildern.
Schmidt: Fest geplant sind bislang nur vergleichsweise kleine Änderungen, die wohl so wahnsinnig viel nicht bewegen werden.
Zur Haushaltskonsolidierung bleibt der künftigen Regierung eine Steigerung der Einnahmen oder Kürzung der Ausgaben. Einige Ihrer Kollegen fordern eine höhere Mehrwertsteuer.
Schmidt: Ich sehe die Rolle des Sachverständigenrates nicht darin, Forderungen aufzustellen, sondern eher als Mahner. Von Steuererhöhungen halte ich nichts, zumal die Mehrwertsteuer Menschen etwas stärker trifft, die wenig Geld haben und daher einen Großteil für ihren Lebensunterhalt ausgeben müssen. Ich denke daher, dass die Politik in der Pflicht ist, sich die Ausgaben anzuschauen.
Das sind also die zu erwartenden Härten.
Schmidt: Die Ausgaben dürften 2009 um etwa fünf Prozent steigen. Es wäre ja schon ein Erfolg, wenn sie in den kommenden Jahren weniger angehoben werden als vor der Krise geplant. Dazu müssten auch einige Ausgaben gekürzt werden.
Bloß welche?
Schmidt: Das zu entscheiden ist Aufgabe der Politik. In Deutschland gibt es aber immer noch erhebliche Subventionen – einige schätzen sie sogar auf 150 Milliarden Euro. Wir müssen die Balance halten zwischen Einnahmen und Ausgaben, und wir brauchen Wirtschaftswachstum, schon allein, um Verteilungskämpfe, die es geben wird, zu mildern. Wir werden wohl bis 2013 brauchen, bis die Wirtschaftsleistung vor der Krise erreicht ist.
Was ist zu tun?
Schmidt: Erstens muss der Staat solide wirtschaften, Schulden und Bürokratie abbauen. Zweitens muss er soziale Teilhabe organisieren, drittens die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit beflügeln.
Das klingt nach einfachen Rezepten.
Schmidt: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf etwa ist enorm wichtig. Sie ermöglicht mehr Frauen zu arbeiten. Eine höhere Frauenerwerbsquote hilft, das Renten-Problem zu lösen, das wir bekommen, weil weniger Menschen mehr Rentner finanzieren. Zudem brauchen wir dringend einen einfachen Zugang zur doppelten Staatbürgerschaft. Deutschland muss sich als Zuwandererland verstehen.
Und die Leistungsfähigkeit?
Schmidt: Wir müssen dringend die 70 000 bis 80 000 Jugendlichen, die jährlich ohne Abschluss von der Schule gehen, integrieren. Die Ausgaben in Forschung und Entwicklung sowie in Bildung müssen steigen.