Essen. Nach den Lokführern lassen Flughafenbeschäftigte und Busfahrer die Leute im Regen stehen. Das nervt gewaltig, aber jeder hat eigene Gründe.

Da machen die Lokführer mal eine Streikpause, man möchte kurz aufatmen - da blockieren die Bauern mit ihren Treckern wieder Autobahnauffahrten, legen die Gepäckkontrolleure am Donnerstag die Flughäfen lahm und am Freitag die Bus- und Straßenbahnfahrer den öffentlichen Nahverkehr. Haben die sich alle heimlich verabredet, Pendler und Urlauber auf die Palme zu bringen? Ist das noch Zufall oder nutzen die Gewerkschaften und Lobbyverbände die Gunst der Konfliktballung, um maximale Aufmerksamkeit zu erreichen?

Stefan Schulte, Ressortleiter Wirtschaft
Stefan Schulte, Ressortleiter Wirtschaft © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Dass gerade drei Tarifkonflikte und die Bauernproteste sämtlich die Stilllegung von Verkehrsmitteln und Wegen mit sich bringen, mag Zufall sein, macht jeden einzelnen Streik aber noch auffälliger und die Betroffenen noch wütender. Trotzdem gehört es sich, jeden Konflikt für sich zu betrachten. Denn die Probleme in den Bussen, an den Flughäfen und in den Schweineställen könnten kaum unterschiedlicher sein. Den Bauern geht gegen den Strich, dass der Staat immer neue Regeln für sie aufstellt. Die Luftsicherheitskräfte kämpfen für mehr Geld, die Beschäftigten im Nahverkehr wie Lokführer für familientaugliche Arbeitszeiten.

Ärger über Weselsky trifft Nahverkehrs-Personal zu Unrecht

Lokführerführer Weselsky ließ lange trotz ordentlicher Angebote der Bahn streiken, bevor er sich nach heftiger Kritik doch zur Fortsetzung der Verhandlungen durchrang. Auf ihn und seine Betonkopf-Methode sauer zu sein, fiel leicht. Das Fahrpersonal in den Nahverkehrsbussen und -bahnen arbeitet zu schlechteren Konditionen als die Bundeslokführer. Dass sie schon vor ihrem ersten eintägigen Streik nun vom Ärger der Pendler gegenüber Weselsky noch einiges abkriegen, ist wirklich unfair. Auch die Sicherheitskräfte an den Flughäfen haben jedes Recht, nach inzwischen drei ergebnislosen Verhandlungsrunden mit ersten Warnstreiks Druck aufzubauen.

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Die Situation im ÖPNV ist eine ganz besondere - und das spiegelt sich auch in den Tarifverhandlungen wider. Denn er liegt in der Hand der Kommunen, ist chronisch defizitär und eine Dauerbelastung für die städtischen Haushalte. Er gehört zur Daseinsvorsorge einer Stadt, es ist ihre Pflicht, auch die Bürgerinnen und Bürger von entlegenen Wohnorten mit Bussen oder Bahnen abzuholen - ob sich das rechnet oder nicht. Weil es sich unterm Strich nie rechnet und der einen Stadt diese Verluste mehr weh tun als der anderen, bleibt der verhandelnden Arbeitgeberseite wenig anderes übrig als sich stets und beherzt auf die Kostenbremse zu stellen.

Nahverkehr ist chronisch unterfinanziert, das monieren Verdi und Verkehrsbetriebe gemeinsam

Das wiederum führt dazu, dass Gehälter und Schichtbedingungen wenig attraktiv sind, was zu einem inzwischen kaum noch zu managenden Personalmangel geführt hat. Kurzum: Der Karren steckt im Dreck - und die Kommunen kriegen ihn da alleine nicht mehr raus. Das weiß auch die Gewerkschaft - so wie die Verkehrsbetriebe genau wissen, dass sie nicht so viel investieren und nicht genug zahlen, wie es ihr Nahverkehrsnetz und die Belegschaft benötigen würden. Die Forderung, Bund und Land mögen den Nahverkehr besser fördern, wenn sie wirklich die Verkehrswende wollen, vertreten Verdi und die Arbeitgeber deshalb gemeinsam.

Nur sitzt weder die Bundes- noch die Landesregierung am Verhandlungstisch. Gleich nach der ersten, in gar nicht unfreundlicher Atmosphäre absolvierten Verhandlungsrunde in Dortmund zum Streik aufzurufen, ist ungewöhnlich hart. Verdi trifft damit weder Berlin noch Düsseldorf, sondern nur die Verkehrsbetriebe und vor allem Menschen, die auf den ÖPNV angewiesen sind. Es ist eine vertrackte Lage: Obwohl sich am Verhandlungstisch teils Männer und Frauen aus demselben Betrieb gegenübersitzen und ihre Problemanalyse nicht grundsätzlich auseinander geht, bleibt beiden Seiten nur, sich mit den üblichen Ritualen der Tarifpolitik ihrer Haut zu erwehren.

Deutschlandticket funktioniert nur, wenn es Geld für mehr Busse und Personal gibt

Am längeren Hebel sitzen Bund und Land: Sie wollen so viele Menschen wie möglich vom Auto in Bus und Bahn bringen. Dafür beschließen sie sogar erst ein 9-Euro und dann ein 49-Euro-Ticket. Und siehe da - es funktioniert. Nur leider nicht für jene, die die Busse und Bahnen kaufen und in möglichst hohem Takt fahren lassen sollen. Nicht einmal die reinen Ticketpreise sind bisher mit den Zuschüssen von Bund und Land gedeckt. Geschweige denn zusätzliche Fahrzeuge und Fahrzeugführer. Ohne die wird es aber nicht funktionieren, wird die Nahverkehrsoffensive von ihrem eigenen Erfolg gestoppt werden. Denn ihre erste Begeisterung für günstiges Pendeln werden die ÖPNV-Frischlinge nach den ersten wegen Überfüllung verpassten Bahnen schnell wieder ablegen.