Essen. Der Tarifstreit im Einzelhandel eskaliert. Auch nach acht Monaten gibt es keine Einigung. Verdi kündigt Streiks für 2024 an.
Der erbitterte Tarifstreit im deutschen Einzelhandel geht weiter. Ein letzter Versuch, noch kurz vor Silvester eine Einigung zu erzielen, ist am Donnerstagabend, 28. Dezember, gescheitert. Handelsverband und Gewerkschaft Verdi werden ihren Konflikt mit ins neue Jahr nehmen.
Begleitet von zahlreichen Warnstreiks ziehen sich die Tarifverhandlungen im Einzel-, Groß- und Außenhandel bereits seit April hin. Weil es immer wieder auch zu Arbeitsniederlegungen in den großen Lagern der Lebensmittelketten kam, blieben Supermarktregale zuweilen leer. Am Donnerstagabend zerplatzte nun die Hoffnung, dass mit einem Pilot-Tarifabschluss in Hamburg, den andere Bundesländer wie NRW übernehmen würden, eine Ausweitung des Tarifkonflikts auf das Jahr 2024 sozusagen in letzter Minute hätte verhindern werden können.
Handelsverband: Verdi hat überhöhte Vorstellungen
Die Lager der Arbeitgeber und Arbeitnehmer schieben sich die Verantwortung für das neuerliche Scheitern gegenseitig zu. Die Gespräche seien „erneut an den überhöhten Vorstellungen der Gewerkschaft“ gescheitert, teilt der Handelsverband Deutschland (HDE) mit und kündigt an: „Die Arbeitgeber werden sich nun Anfang des Jahres zusammensetzen und über die Konsequenzen beraten.“
Weitere Texte aus dem Ressort Wirtschaft finden Sie hier:
- Vorwerk-Chef: Meine Frau wollte auch keinen Thermomix haben
- Biermarkt: Darum verkauft Stauder schweren Herzens wieder Dosenbier
- Sorgen bei Thyssenkrupp: „Stahlindustrie kämpft um Existenz“
- Galeria-Doppelschlag gegen Essen: Warenhaus und Zentrale weg
- Menschen in Not: So reagieren Einzelhändler auf Bettler vor ihrer Ladentür
Verdi wiederum wirft der Gegenseite vor, ihr bisheriges Angebot nicht aufgebessert zu haben. „Die Arbeitgeber haben sich nicht bewegt, das bedeutet für die Beschäftigten Reallohnverlust, das machen wir nicht“, sagt Bundesvorstandsmitglied Silke Zimmer. „Für eine Verkäuferin ist das bezogen auf 2023 eine Steigerung ihres Stundenlohns um 1,04 Euro. Bezogen auf eine Laufzeit von zwei Jahren gerade mal 1,78 Euro. Das ist noch nicht einmal die Hälfte dessen, was die Beschäftigten fordern, um in der Krise über die Runden zu kommen“, rechnet Zimmer vor und kommentiert scharf: „Wir lernen daraus: Die schwierige finanzielle Situation ihrer eigenen Beschäftigten lässt die Arbeitgeber kalt.“
Verdi: Höhere Löhne für Beschäftigte „überlebenswichtig“
Verdi fordert im Einzelhandel unter anderem in allen Regionen mindestens 2,50 Euro mehr pro Stunde bei einer Laufzeit von einem Jahr. Je nach Bundesland kommen weitere Forderungen hinzu. Die Gewerkschaften kündigt für das neue Jahr neue Arbeitskämpfe an. „Höhere Tarifeinkommen sind für die Beschäftigten überlebenswichtig. Sie kommen bei den Preissteigerungen mit ihren Löhnen nicht mehr aus“, meint die Verdi-Vorständin.
Das bisherige Angebot der Einzelhändler sieht nach eigener Lesart bei einer Laufzeit von 24 Monaten eine tabellenwirksame Entgeltsteigerung von insgesamt 10,24 Prozent vor, zuzüglich einer Inflationsausgleichsprämie von insgesamt 750 Euro. „Die Arbeitgeber haben ihr Angebot trotz schwierigster Rahmenbedingungen im Verlauf der Runde auf ein für die Branche historisches Niveau gehoben und sind damit bis an die absolute finanzielle Schmerzgrenze gegangen“, teilt der HDE mit. „Viele Menschen und Unternehmen blicken mit großer Sorge ins nächste Jahr, das kann der Gewerkschaft doch nicht völlig gleichgültig sein“, appelliert Tarifgeschäftsführer Steven Haarke.
Angebot der Arbeitgeber gilt nur bis Ende 2023
Das Angebot der Arbeitgeber wurde bis Ende des Jahres 2023 garantiert. Im neuen Jahr will der HDE „unter anderen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie der rückläufigen Inflation“ über neue Lösungswege diskutieren. „Das ist auch unter dem Aspekt der anhaltenden Konsumzurückhaltung dringend erforderlich“, sagt Haarke.
Die Tarifauseinandersetzung im Handel dauert nun schon mehr als acht Monate. Bundesweit gab es mehr als 60 Verhandlungsrunden – ohne Einigung. Im November schaltete sich der HDE als Dachverband der Einzelhandelsverbände in den Konflikt ein und sagte alle weiteren Verhandlungen auf regionaler Ebene ab. Stattdessen sollte in einem Spitzengespräch mit dem Verdi-Bundesvorstand nach einer Lösung gesucht werden. Dabei einigten sich beide Seiten lediglich darauf, dass die Verhandlungen doch in den Tarifgebieten weitergeführt werden sollten.