Essen. Die Bundesregierung plant ein „Strompreis-Paket“. In der Industrie bleibt Skepsis. Evonik-Chef Kullmann: „Das nimmt keinen Schmerz.“

Die Gewerkschaft IG Metall sieht trotz neuer Pläne der Bundesregierung für eine Senkung des Strompreises in der Wirtschaft weiterhin Arbeitsplätze durch hohe Energiekosten am Standort Deutschland bedroht. „Wir erkennen an, dass die Bundesregierung sich beim Thema bewegt“, sagte Jürgen Kerner, der Zweite Vorsitzende der IG Metall, der auch Vize-Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp ist. Dennoch seien weitere Entlastungen bei den Stromkosten für Betriebe erforderlich, die viel Energie verbrauchen. „Ohne zusätzliche Entlastungsmaßnahmen für die energieintensive Industrie werden weitere Investitionen ins Ausland abwandern und Arbeitsplätze bei uns verloren gehen“, warnt Kerner.

Die IG Metall fordert seit Monaten von der Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen, einen subventionierten Industriestrompreis zu schaffen. Die Arbeitnehmervertreter sprechen von einem „Brückenstrompreis“, der gelten solle, bis mehr erneuerbare Energie zur Verfügung stehe. Auch die Gewerkschaft IGBCE, der Verband der Chemischen Industrie (VCI) und die Wirtschaftsvereinigung Stahl machen seit einiger Zeit Druck. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hingegen zeigte sich bislang skeptisch mit Blick auf einen Industriestrompreis, die FDP mit Bundesfinanzminister Christian Lindner sogar klar ablehnend. Den aktuellen Vorschlag der Koalition kommentiert IG Metall-Vize Jürgen Kerner nun mit den Worten: „Von einem wirksamen Brückenstrompreis ist dieser Vorschlag noch weit entfernt.“

Evonik-Chef: „Daumenschrauben nicht weiter anzuziehen, nimmt keinen Schmerz“

Der Vorstandschef des Essener Chemiekonzerns Evonik, Christian Kullmann, sieht keine Verbesserungen durch die Pläne des Ampel-Bündnisses. „Der Kompromiss der Koalition hilft der Koalition sehr, den Unternehmen insbesondere in unserer Branche kaum. Die Daumenschrauben nicht weiter anzuziehen, nimmt keinen Schmerz, sondern fügt nur keinen weiteren hinzu“, sagte Kullmann unserer Redaktion.

Beim Essener Stahl- und Industriegüterkonzern Thyssenkrupp ist zumindest von einem „Schritt in die richtige Richtung“ die Rede, „um die viel zu hohen Stromkosten für die Industrie in Deutschland schrittweise einem international wettbewerbsfähigen Niveau anzunähern“. Thyssenkrupp setze darauf, „dass die geplanten Entlastungen nun mit Tempo umgesetzt werden, weitere mutige Schritte in diese Richtung folgen und die Politik mit uns weiterhin im Dialog darüber bleibt, wie die energieintensive Industrie weiter entlastet werden kann“, erklärte das Unternehmen auf Anfrage unserer Redaktion.

350 Konzerne sollen besonders entlastet werden

Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur will die Bundesregierung den Strompreis für die Wirtschaft durch eine Steuerreform drücken. Geplant sei unter anderem eine deutliche Senkung der Stromsteuer für das produzierende Gewerbe und eine Ausweitung der bisherigen Strompreiskompensation für Konzerne, die besonders unter hohen Strompreisen leiden. Die Stromsteuer soll demnach von derzeit rund zwei Prozent auf das europäische Mindestmaß von 0,05 Prozent gesenkt werden. Davon würden nicht nur große Industriekonzerne profitieren, sondern auch der Mittelstand. 350 Konzerne, die besonders im internationalen Wettbewerb stehen und unter den hohen Strompreisen leiden, sollen zusätzliche Hilfen erhalten. Die bestehende Strompreiskompensation solle für fünf Jahre verlängert und ausgeweitet werden.

Jürgen Kerner, hier bei einer Kundgebung in Witten im März, sieht die Pläne der Bundesregierung zur Senkung der Strompreise für die Wirtschaft skeptisch. „Ohne zusätzliche Entlastungsmaßnahmen für die energieintensive Industrie werden weitere Investitionen ins Ausland abwandern und Arbeitsplätze bei uns verloren gehen“, sagt Kerner.
Jürgen Kerner, hier bei einer Kundgebung in Witten im März, sieht die Pläne der Bundesregierung zur Senkung der Strompreise für die Wirtschaft skeptisch. „Ohne zusätzliche Entlastungsmaßnahmen für die energieintensive Industrie werden weitere Investitionen ins Ausland abwandern und Arbeitsplätze bei uns verloren gehen“, sagt Kerner. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Eine weitere Entlastung hatte das Bundeskabinett vor Kurzem beschlossen: So will die Bundesregierung einen Zuschuss zur anteiligen Finanzierung der Übertragungsnetzkosten von bis zu 5,5 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Das soll auch den Strompreis dämpfen. Netzentgelte sind Gebühren für die Nutzung von Strom- und Gasnetzen, die an die Verbraucher weitergegeben werden. Alle Entlastungen sollen sich allein im kommenden Jahr auf einen zweistelligen Milliardenbetrag summieren.

Stahl- und Chemieindustrie zeigen sich enttäuscht

Der Chemieverband VCI, in dem unter anderem Unternehmen wie Evonik, Bayer, Covestro und Lanxess organisiert sind, bleibt skeptisch. „Wir begrüßen, dass sich die Bundesregierung in einem internen Kraftakt endlich auf einen Kompromiss geeinigt hat. Das Energiepaket löst aber nur einen kleinen Teil der akuten Probleme unserer Industrie“, sagt VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. „Die beschlossenen Maßnahmen erhalten nur den Status Quo. Sie bringen keine zusätzlichen Entlastungen, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen verbessern.“ Ein „energiepolitischer Befreiungsschlag“ bleibe aus. „Die Maßnahmen werden den Wettbewerbsnachteil zu Regionen wie China oder USA nicht spürbar reduzieren. Deshalb muss die Politik weiter an der Zukunft des Standorts Deutschland arbeiten.“

Ähnlich urteilt die Wirtschaftsvereinigung Stahl, die die Interessen von Konzernen wie Thyssenkrupp Steel und Salzgitter vertritt. „Den Kompromiss der Koalitionspartner werten wir als Schritt in die richtige Richtung und Zeichen eines gemeinsamen politischen Willens zur dringend notwendigen Absenkung der Strompreise in Deutschland“, sagt die Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung, Kerstin Maria Rippel. „Insgesamt ist die Einigung allerdings enttäuschend: Das erklärte Ziel einer Strompreis-Entlastung für energieintensive Unternehmen im scharfen internationalen Wettbewerb wird damit nicht erreicht.“

Ruf nach Stromsteuer-Senkung für sämtliche Verbraucher

Der Energieexperte des Essener Wirtschaftsforschungsinstituts RWI, Manuel Frondel, sieht allerdings weiteren Veränderungsbedarf. „Die Stromsteuer sollte möglichst für alle Stromverbraucher gesenkt werden, nicht nur für die Unternehmen des produzierenden Gewerbes“, sagt Frondel auf Anfrage unserer Redaktion. „Schließlich können die Verkehrs- und Wärmewende nur dann Fahrt aufnehmen, wenn der Strompreis substanziell gesenkt wird.“ Zusätzlich zu einer Senkung der Stromsteuer sollten nach Einschätzung des RWI-Experten auch sämtliche Abgaben und Umlagen auf den Strompreis, zum Beispiel die Umlage für die Förderung der Kraftwärme-Kopplung, aus staatlichen Mitteln finanziert werden.

Kerstin Andreae, die Chefin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), sagt ebenfalls: „Es wäre konsequenter gewesen, die Stromsteuer-Senkung nicht allein auf das produzierende Gewerbe zu beschränken. So würden auch umweltfreundliche Technologien wie beispielsweise die Elektromobilität wettbewerbsfähiger gegenüber fossilen Energieträgern wie Heizöl, Benzin oder Diesel.“

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) lobt, das „Strompreispaket der Bundesregierung bringt dringend notwendige Entlastungen für Unternehmen“. BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner betont, es sei gut, dass „Unternehmen im internationalen Wettbewerb geholfen“ werden solle. „Leider ist der Kreis der energieintensiven Unternehmen mit rund 350 Unternehmen sehr eng gewählt, wodurch viele Unternehmen und auch Zukunftstechnologien außen vor bleiben“, so Gönner.

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