Essen. Startschuss bei Evonik für eine strategisch wichtige Großinvestition in den USA: Die Entscheidung fiel gegen Deutschland – aus Gründen.

Zum Spatenstich ist auch Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen in die USA gereist. Auf seinem Instagram-Kanal verbreitet der CDU-Politiker ein Selfie mit Evonik-Chef Christian Kullmann. Von einem „entscheidenden Schritt in der Krebstherapie“ schwärmt Kufen, und der Essener Chemiekonzern Evonik sei daran beteiligt – mit einer 220 Millionen US-Dollar teuren Anlage, die im Jahr 2025 in Betrieb gehen soll. Die Bauarbeiten beginnen jetzt.

Es ist ein Projekt, das auch die politische Debatte in Deutschland beeinflussen könnte. Denn Evonik hat sich sehr bewusst dazu entschieden, die wichtige Investition nicht auf dem Heimatmarkt zu tätigen, sondern in den Vereinigten Staaten. „Die amerikanische Regierung unterstützt dieses Projekt“, hob Konzernchef Kullmann schon vor wenigen Wochen bei seiner Bilanzpressekonferenz in Essen hervor. Mit bis zu 150 Millionen Dollar wollen sich die USA über ihre Biomedical Advanced Research and Development Authority (BARDA) an den Kosten der Produktionsstätte beteiligen.

In Deutschland konnte Evonik dem Vernehmen nach nicht ansatzweise mit einer solchen Unterstützung rechnen. Auch Länder wie Kanada oder Singapur sollen den Essener Konzern noch mit finanziellen Zusagen angelockt haben. Das beste Angebot sei schließlich aus den USA gekommen. Ohne ins Detail zu gehen, sagte Evonik-Vorstand Harald Schwager unlängst, in Deutschland sei der Bau „verunmöglicht“ worden.

Dabei gilt Evonik als weltweit führend auf dem Gebiet von Lipiden, die zu den wichtigen Vorprodukten von Impfstoffen oder auch künftigen Medikamenten zur Krebs- oder Aids-Therapie gehören. In der Corona-Krise hat Evonik die Lipid-Produktion innerhalb kurzer Zeit ausgeweitet, unter anderem mit Anlagen in Hanau bei Frankfurt sowie in Dossenheim bei Heidelberg. Doch die neue große Lipid-Fabrik errichtet der Revierkonzern nun in den USA – am Produktionsstandort Tippecanoe in Lafayette zwischen den US-Metropolen Chicago und Indianapolis.

Evonik – wichtiger Zulieferer für Impfstoffhersteller Biontech

Sein Geschäft als Zulieferer für die Pharmaindustrie will Evonik damit weiter ausbauen. Mit der neuen Anlage im US-Bundesstaat Indiana bereitet sich Evonik auf künftiges Wachstum bei neuartigen

Evonik-Chef Christian Kullmann Anfang März in Essen: „Wir werden nicht bitten – und wir werden auch nicht betteln, sondern wir bieten an.“
Evonik-Chef Christian Kullmann Anfang März in Essen: „Wir werden nicht bitten – und wir werden auch nicht betteln, sondern wir bieten an.“ © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

sogenannten mRNA-basierten Therapien vor – weit über Corona-Impfstoffe hinaus. Die Investition werde in den USA zur Schaffung von mehr als 80 Arbeitsplätzen für hoch qualifizierte Beschäftigte beitragen, so Evonik. Der Essener Konzern beliefert weltweit Pharmaunternehmen mit Lipiden, die für den Einsatz von mRNA (Boten-Ribonukleinsäure) benötigt werden, darunter auch den Hersteller Biontech, der bei der Impfstoffproduktion mit dem US-Konzern Pfizer kooperiert.

Tippecanoe ist nach Angaben von Evonik einer der weltweit größten Standorte zur Herstellung pharmazeutischer Wirkstoffe und mit rund 650 Mitarbeitern der zweitgrößte Standort des Essener Konzerns in den USA. Weltweit beschäftigt Evonik derzeit rund 34.000 Mitarbeitende. Große Standorte in NRW sind die Zentrale in Essen und der Chemiepark Marl.

Die neue Anlage von Evonik in den USA soll auf eine flexible Produktion ausgelegt werden, um eine Vielzahl von Lipiden für zukünftige Anwendungen der mRNA-Technologie liefern zu können – unter anderem in der Bekämpfung von Infektionskrankheiten, in der Krebsimmuntherapie und in der Gentherapie. Auch im Falle einer künftigen Pandemie soll die US-Anlage eine schnelle und umfassende Versorgung mit Lipiden sicherstellen.

Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), kommentiert die Entscheidung von Evonik, in den USA zu investieren, mit den Worten: „Das ist leider sehr nachvollziehbar.“ Die Politik der US-Regierung wirke anziehend auf europäische Unternehmen. Die Europäische Union habe dem „noch nichts entgegensetzen können“, so Tüngler.

„Von einem Bürokraten-Monster bedroht“

Entscheidend sei, dass sich Deutschland mit den USA, China und anderen asiatischen Nationen messen lassen könne, sagte Evonik-Chef Kullmann vor wenigen Wochen mit Blick auf die Investitionsentscheidungen seines Konzerns. In diesem Zusammenhang kritisierte er auch die europäische Politik. Unternehmen würden in Brüssel „von einem Bürokraten-Monster bedroht“ und müssten zuweilen „einige zehntausend Seiten Formulare ausfüllen“, um Anträge auf Unterstützung für Ansiedlungsprojekte stellen zu können. In den USA hingegen würden Entscheidungen schnell und pragmatisch getroffen. „Das ist für Deutschland, das ist für Europa durchaus ein Vorbild“, sagte Kullmann.

Es herrsche ein weltweiter Wettbewerb von Nationalstaaten um Spitzentechnologien, über die auch Evonik verfüge. „Wir werden nicht bitten – und wir werden auch nicht betteln, sondern wir bieten an“, betonte Kullmann. Sein Unternehmen werde dort investieren, wo es die attraktivsten Bedingungen vorfinde.

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