Essen. Gerhard Cromme wird 80. Er hat das Ruhrgebiet geprägt wie kaum ein anderer. Ein Ziel bei Krupp blieb ihm verwehrt. Eigene Fehler sieht er nicht.
Gerhard Cromme gibt sich gerne als Mann mit Ecken und Kanten. Die heutige Managergeneration erinnere ihn zuweilen an „Steine im Flussbett“, sagte er einmal dem „Handelsblatt“. „So oft hin- und hergewälzt, dass sie glatt wie runde Kiesel sind.“ Die „kernigen Typen“, zu denen sich Cromme augenscheinlich auch selbst zählt, seien seltener als in früheren Jahren. Tatsächlich kann Cromme, der an diesem Samstag 80 Jahre alt wird, auf ein Berufsleben mit vielen Kämpfen und Konflikten zurückblicken, auch wenn er beteuert, seine Devise sei immer „Leben und leben lassen“ gewesen.
Den Kampf um das Stahlwerk Rheinhausen hat Cromme gewonnen: Das Aus für den Krupp-Standort wurde Ende der 1980er-Jahre beschlossen, so wie es Cromme als damaliger Konzernchef wollte. Sein Ziel, dem Ruhrbaron Berthold Beitz als Chef der Krupp-Stiftung nachzufolgen, hat Cromme indes nicht erreicht. Ganz zur Ruhe gesetzt hat sich der einstige Stahlmanager, der das Ruhrgebiet geprägt hat wie kaum ein anderer Konzernchef, auch heute nicht. Gerne erzählt Cromme, wie stark er sich für verschiedene Start-ups engagiere – als Geld- und Ratgeber.
Bei Thyssenkrupp musste sich Cromme zurückziehen, als sich herausstellte, wie desaströs der in seiner Ägide auf den Weg gebracht Bau eines Stahlwerks in Brasilien ausging. Ob es der größte Fehler seines Berufslebens gewesen sei, fragt ihn Deutschlandfunk-Journalist Moritz Küpper in einem „Zeitzeugen-Gespräch“. „Nennen wir es Missgeschick“, antwortet Cromme. Er könne für sich nicht sagen: „Du hast was falsch gemacht.“ Seine Argumentation: Eine Entscheidung, die zu einem bestimmten Zeitpunkt richtig gewesen sei, könne sich rückblickend als problematisch erweisen. So sei es in Brasilien gewesen. Währungen und Märkte hätten sich verändert – und ja: Es habe auch „beachtliche interne Fehler“ gegeben, so Cromme. Teilweise leide Thyssenkrupp noch heute darunter. „Es ist schiefgelaufen. Und dafür müssen die Verantwortlichen die Verantwortung übernehmen, und das habe ich gemacht.“
Festakt der Krupp-Stiftung ohne Gerhard Cromme
Cromme verlor die Unterstützung seines Mentors Beitz, der im Rheinhausen-Konflikt noch hinter ihm gestanden hatte. Funktionen bei Thyssenkrupp hat Cromme heute nicht mehr. Er war auch nicht zum Festakt der
Krupp-Stiftung in der Villa Hügel vor wenigen Tagen eingeladen, als sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an der Seite von Beitz-Nachfolgerin Ursula Gather zeigte, die fast wie das Gegenmodell zu Cromme wirkt: auf der einen Seite ein Strippenzieher der „Deutschland AG“, auf der anderen die Wissenschaftlerin, die ohne Konzernprägung an die Stiftungsspitze kam.
Als Cromme Mitte der 80er Krupp-Chef wird, ist er noch ein junger Manager. Mancher habe ihm von dem Job beim Stahlkonzern abgeraten – Krupp sei „praktisch pleite“ gewesen. Aber ihn habe „der Name wie ein Magnet“ angezogen. „Ich dachte: Was heißt pleite? Es gibt immer Möglichkeiten, etwas draus zu machen.“ Er habe eine Herausforderung gesucht. „Das ist jetzt Hochreck, was von dir gefordert wird – ohne Netz und doppelten Boden.“ Doch rasch habe sich herausgestellt, dass die Situation der Firma „beängstigend schlecht“ gewesen sei. Damals habe Krupp am Tag „eine Million verloren“. Das habe nicht lange gutgehen können. „Ruck zuck ist man ausgeblutet.“
„Rheinhausen musste geschlossen werden“
Cromme sucht das Heil in einem Zusammengehen mit den Mannesmann-Werken, die in Duisburg-Huckingen ebenfalls ein Stahlwerk betreiben. Die Konsequenz: „Rheinhausen musste geschlossen werden.“ Auf Crommes Entscheidung folgt ein monatelanger Arbeitskampf. Cromme wird zum Feindbild aufgebrachter Beschäftigter. „Es gab Morddrohungen, Belagerungen des Privathauses“, erinnert sich Cromme. Bei Belegschaftsversammlungen wird er mit Eiern beworfen. „Ich hatte einen Mantel, den sogenannten Eier-Mantel, den, wann immer ich wieder rausmusste, meine Frau schon griffbereit da hingelegt hatte.“ Den Mantel zu reinigen, habe keinen Zweck gehabt.
Den Grund für die Zuspitzung sieht Cromme nicht nur im eigenen Handeln, sondern auch in der allgemeinen Situation des Reviers in der damaligen Zeit. „Das Ruhrgebiet war wundgescheuert“, sagt er
rückblickend. Regelmäßig habe es Stellenabbau in der Industrie gegeben. „Immer wieder aufs Neue.“ Auch bei Krupp in Rheinhausen habe sich die Zahl der Arbeitsplätze in wenigen Jahren von 16.000 auf 8000 halbiert.
„Es waren alle erschöpft“
Krupp habe in Rheinhausen schon frühzeitig angeboten, den Stellenabbau „sozialverträglich, ohne Kündigungen“ umzusetzen. „Aber das wollte damals keiner hören“, so Cromme. Erst nach Monaten habe dann der damalige Ministerpräsident Johannes Rau die Lage befrieden können. „Es waren alle erschöpft. Und es war klar: Cromme gibt nicht nach“, erzählt er. Auch heute stehe er zu den Entscheidungen, die er getroffen habe. „Für mich war völlig klar: Das war richtig, das musste gemacht werden. Und ich war unter gar keinen Umständen bereit, da faule Kompromisse einzugehen.“
Und heute? Nach 40 Jahren in Essen haben seine Frau und er ihren Hauptwohnsitz jetzt in den Chiemgau verlegt, wie Cromme in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur sagt. Er wandere viel in den Alpen, gerne auch mit Enkelkindern, 14 habe er. Während seiner Zeit als Industriemanager habe die Familie – Cromme hat vier Töchter – „natürlich gelitten, weil der Papa selten zu Haus war und außerdem noch Dinge machte, die monatelang Schlagzeilen machten und nicht nur unkritisch kommentiert wurden“, sagt er. „Ich bin jetzt dabei, das an meinen Enkeln wiedergutzumachen.“