Essen. Im Zentrum des Bundeskanzler-Besuchs in Duisburg steht ein Schlüsselthema fürs Ruhrgebiet: Wasserstoff. Doch auch zu Putin äußert sich Scholz.
Bevor sich Olaf Scholz für sein Statement aufstellt, greift er entschlossen zum Zapfhahn. Hinter ihm ist Europas größte Testtankstelle für Wasserstoff aufgebaut. Sie befindet sich in Duisburg auf dem Gelände des Zentrums für Brennstoffzellen-Technik (ZBT). Es gehe darum herauszufinden, wie Busse oder Züge künftig möglichst effizient mit Wasserstoff betankt werden können, erklärt ZBT-Experte Christian Spitta. Scholz – leger in Jeans statt mit dunklem Staatsmann-Anzug bekleidet – hört ihm aufmerksam zu. Bei den ZBT-Forschern Michael Steffen und Ulrich Gardemann hakt der Kanzler nach: Ob denn viel Energie erforderlich sei, wenn Wasserstoff zum Transport in Ammoniak umgewandelt werde, will er wissen. Neben einer Anlage, die Kohlendioxid aus der Luft ziehen soll, fragt der Kanzler, ob dies „einfach nur eine schöne Idee“ sei oder auch im großen Maßstab funktioniere.
Unabhängig von vielen Einzelfragen hat Scholz an diesem Nachmittag in Duisburg eine große Botschaft im Gepäck: Wasserstoff wird nach seiner Einschätzung eine zunehmende Bedeutung für Deutschlands Energieversorgung bekommen. Wo heute Gas, Kohle oder Öl eingesetzt würden, werde in vielen Fällen eine Umstellung auf Wasserstoff erfolgen, sagt Scholz bei seinem Besuch im Ruhrgebiet.
Schon seit vielen Jahrzehnten gebe es in Deutschland die Fähigkeit, Wasserstoff herzustellen, bisher habe es aber keine Produktion für die großen Mengen gegeben, „um die es jetzt gehe“, hebt Scholz in Duisburg hervor. In diesem Zusammenhang sei es auch wichtig, in „riesigem Umfang Stromerzeugungskapazitäten in Deutschland“ aufzubauen. „Wir brauchen Strommengen, die viel größer sind als heute“, betont der Kanzler. Erneuerbare Energie soll künftig unter anderem verstärkt in Elektrolyseuren zum Einsatz kommen, mit denen Wasserstoff produziert wird.
Auf Nachfrage äußert sich der Bundeskanzler in Duisburg auch zum russischen Präsidentin Wladimir Putin. „Der russische Präsident ist auf einem Pfad unterwegs, der sehr bedrückend ist“, sagt Scholz. Es sei wichtig, alles zu tun, um dafür zu sorgen, „dass er damit nicht durchkommt“, betont Scholz mit Blick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine.
„Duisburg hat das Potenzial, Deutschlands Wasserstoff-Hauptstadt zu werden“
Zuletzt war Scholz kurz vor der Bundestagswahl im September 2021 in Duisburg. Dabei signalisierte Scholz als Kanzlerkandidat dem Stahlkonzern Thyssenkrupp Unterstützung. Thyssenkrupp ist in Zukunft aller Voraussicht nach in großem Stil auf Wasserstoff angewiesen. Der Revierkonzern plant den Bau einer sogenannten Direktreduktionsanlage in Duisburg, mit deren Hilfe künftig klimafreundlicher Stahl hergestellt werden soll. Das milliardenschwere Aggregat könnte einen der bestehenden Hochöfen ersetzen.
„Duisburg hat das Potenzial, Deutschlands Wasserstoff-Hauptstadt zu werden“, sagt Joachim Jungsbluth,
einer der Experten des Zentrums für Brennstoffzellen-Technik. „In Duisburg befinden sich nahezu sämtliche Bausteine der Wasserstoff-Wertschöpfungskette. Ich denke insbesondere an ein dichtes Pipelinenetz, den Binnenhafen und große potenzielle Verbraucher etwa aus der Stahlindustrie.“
Duisburg ist Europas größter Stahlstandort. Neben Thyssenkrupp prägen auch die Werke von Arcelor-Mittal und den Hüttenwerken Krupp Mannesmann (HKM) den Standort. „Wenn wir die Stahlindustrie in Deutschland halten wollen, gibt es nur die Chance, dies über Direktreduktionsöfen zu tun. Alles andere geht im Kern über Recycling von Stahl nicht hinaus“, gibt ZBT-Experte Jungsbluth zu bedenken. „Wenn die Transformation in Duisburg nicht gelingt, dann gelingt sie voraussichtlich nirgendwo.“
Auch Konzerne wie RWE, OGE und Thyssengas setzen auf Wasserstoff
Auch die Energiekonzerne aus dem Ruhrgebiet setzen verstärkt auf Wasserstoff und planen Aktivitäten von der Erzeugung über den Transport bis zur Speicherung. Wasserstoff sei „längst nicht mehr ein Thema nur für Fachleute“, sagte RWE-Chef Markus Krebber schon vor einigen Monaten. Es sei klar, dass eine Dekarbonisierung der Industrie und von Luftfahrt oder Schwerlastverkehr ohne Wasserstoff nicht funktionieren werde. RWE will dabei eine wichtige Rolle spielen. Auch Pipelinebetreiber wie Open Grid Europe (OGE) und Thyssengas, die bislang vor allem Erdgas transportieren, stellen sich auf einen Umbau ihres Leitungsnetzes ein. „Wasserstoff ist ein Hype-Thema“, konstatiert Joachim Jungsbluth.
Der ZBT-Experte sieht die Politik gefragt, bestehende Hemmnisse beim Aufbau einer Wasserstoff-Wirtschaft zu beseitigen. „Wir müssen beim Thema Wasserstoff vom Reden zum Machen kommen“, sagt
Jungsbluth. „Was die Infrastruktur und unser technologisches Wissen in Sachen Wasserstoff angeht, spielt Deutschland global vorne mit. Der Fortschritt wird allerdings häufig durch Bürokratie gehemmt. Der Aufbau der Wasserstoff-Wirtschaft muss schneller gehen. Hier erhoffen wir uns Unterstützung von Bundeskanzler Scholz.“
Um im internationalen Wettbewerb beim Thema Wasserstoff nicht den Anschluss zu verlieren, müsse Deutschland mehr tun als bisher, mahnt Jungsbluth. „Es ist zu beobachten, wie auch andere Nationen derzeit gezielt in Wasserstoff investieren. Ich denke beispielsweise an Schweden, aber auch an den Nahen Osten oder Australien. Es dauert einfach zu lange, bis in Deutschland ein Elektrolyseur ins Laufen kommt. Von der Projektidee bis zum Betriebsstart vergehen viele Jahre. Die Genehmigungszeiten sollten drastisch verkürzt werden.“
Wasserstoff-Zentrum auf dem Gelände von HKM in Duisburg geplant
Das Zentrum für Brennstoffzellen-Technik hat selbst ehrgeizige Pläne für Duisburg. „Wir treiben den Aufbau eines Wasserstoff-Zentrums auf dem Gelände von HKM in Duisburg voran“, berichtet Jungsbluth. „Es gibt eine 18.000 Quadratmeter große Werkshalle, die sich gut für das Vorhaben eignet. Hier wollen wir ein Prüfzentrum für Wasserstoff-Mobilität aufbauen. Im Blick haben wir insbesondere Lkw und Binnenschiffe, die mit Wasserstoff betrieben werden.“
Schon jetzt habe das ZBT rund 170 Mitarbeitende und suche weitere Fachkräfte, sagt Jungsbluth. „Im Fokus steht bei uns die Anwendung von Wasserstoff, nicht die Grundlagenforschung. Daher arbeiten wir eng mit der Industrie und dem Mittelstand zusammen. Gleichzeitig sind wir als 100-prozentige Tochter an die Universität Duisburg-Essen gebunden.“
In der Nähe zum Stahlstandort von HKM baue das ZBT auch ein Bildungszentrum für künftige Fachkräfte der Wasserstoff-Wirtschaft. „Unternehmen wie Thyssenkrupp, HKM oder Arcelor-Mittal werden künftig einen zunehmenden Bedarf an Fachkräften haben, die sich mit Wasserstoff auskennen“, merkt Jungsbluth an.
Millionenschwere Förderung für Umbau der Stahlindustrie
Beim Bau der Direktreduktionsanlage wird Thyssenkrupp vom Land NRW mit „der größten Einzelförderung, die es in Nordrhein-Westfalen jemals gegeben hat“, unterstützt, wie Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) unlängst in der Essener Villa Hügel bei einem Festakt der Thyssenkrupp-Großaktionärin Krupp-Stiftung betonte. Das Land steuere 700 Millionen Euro bei, damit Stahl „künftig klimaverträglich produziert“ werden könne, erklärte Wüst im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Ein noch größerer Teil der staatlichen Förderung für den Bau der riesigen Anlage von Thyssenkrupp soll indes vom Bund kommen, wie aus unlängst veröffentlichten Antworten von NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) auf Fragen der SPD-Landtagsfraktion hervorgeht. Demnach soll der Bund 70 Prozent der Fördersumme beisteuern. Die Förderung des Großprojekts in Duisburg werde durch eine Kofinanzierung von Bund und Land erfolgen, wobei das Land 30 Prozent übernehme, so das NRW-Wirtschaftsministerium. Die Europäische Kommission sei für die beihilferechtliche Genehmigung zuständig. Thyssenkrupp-Finanzchef Klaus Keysberg sagte vor wenigen Tagen in der Telefonkonferenz, das Unternehmen rechne mit „einem positiven Förderbescheid der EU“ noch im ersten Halbjahr dieses Jahres.