Essen. Deutschlands größter Gaspipeline-Betreiber, OGE aus Essen, erwartet zwei schwierige Winter. OGE-Chef Bergmann spricht von „sozialem Sprengstoff“.
Wenn es darum geht, Deutschlands Gasversorgung zu sichern, spielt das Essener Unternehmen Open Grid Europe eine Schlüsselrolle. Der Konzern mit dem Kürzel OGE ist aus der Traditionsfirma Ruhrgas hervorgegangen und bundesweit der größte Betreiber von Erdgas-Pipelines. Mehr als 12.000 Kilometer lang ist das Leitungsnetz, das zu OGE gehört. Etwa zwei Drittel der Gasmengen, die in Deutschland verbraucht werden, strömen Unternehmensangaben zufolge durch die Pipelines des Unternehmens, das aus dem Ruhrgebiet gesteuert wird.
In der aktuellen Gaskrise soll OGE auch dazu beitragen, Deutschland unabhängiger von Erdgaslieferungen aus Russland zu machen. OGE-Chef Jörg Bergmann lässt keinen Zweifel daran, dass dies ein anspruchsvolles Projekt ist. „Ich gehe davon aus, dass die nächsten beiden Winter herausfordernd sein werden“, sagt Bergmann. Zwar seien bis zum Sommer noch große Erdgasmengen aus der russischen Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschland gekommen, derzeit liege die Auslastung der wichtigen Erdgas-Leitung aber lediglich bei 20 Prozent. Wenn dies über den Winter so bleibe, würden sich die Gasspeicher im Land zunehmend leeren. Dann stelle sich die Frage: „Wo kriegt man im Sommer die entsprechenden Mengen her, um die Speicher wieder aufzufüllen?“
Auf einer Transparenz-Plattform der Branche wird der Füllstand der deutschen Speicher mit aktuell 76
Prozent angegeben. „Meine persönliche Rechnung sieht immer etwas verhaltener aus“, merkt der OGE-Chef an. Er komme auf 71 Prozent. „Wir haben für die deutsche Gasversorgung bislang einen Teil der österreichischen Speicherkapazitäten benötigt“, sagt Bergmann zur Erläuterung. Dies sei auch künftig so. In Österreich sei der Füllstand mit 48 Prozent allerdings deutlich niedriger.
Gasimporte aus Norwegen, Belgien und den Niederlanden
Russisches Erdgas soll in Deutschland insbesondere durch Flüssiggas – in der Branche als LNG bekannt – ersetzt werden. Das momentan für die Bundesrepublik wichtigste LNG-Terminal befinde sich im belgischen Zeebrügge. Daher importiere sein Unternehmen derzeit deutlich mehr Erdgas aus Belgien als in früheren Jahren.
Der größte Gaslieferant für Deutschland sei aktuell Norwegen mit einer Terawattstunde am Tag, gefolgt von Belgien und den Niederlanden mit 0,8 beziehungsweise 0,4 Terawattstunden täglich. Über die russische Pipeline gelange noch eine Erdgasmenge von 0,35 Terawattstunden ins Land. Zur Einordnung sagt Bergmann: „Eine Terawattstunde – in LNG ausgedrückt – ist ein Tanker.“
Jährlich werde in Deutschland Erdgas mit einem Energiegehalt von rund 1000 Terawattstunden verbraucht. Dabei sei der Erdgas-Verbrauch im Winter besonders hoch. Etwa 75 bis 80 Prozent der gesamten Menge würden in der kalten Jahreszeit benötigt, gibt Bergmann zu bedenken. Die heimischen Gasspeicher könnten mit einer Kapazität von 250 Terawattstunden rein rechnerisch rund zwei Monate abdecken.
LNG-Terminal in Wilhelmshaven soll vor Weihnachten in Betrieb gehen
Nun gelte es, an Deutschlands Küsten möglichst schnell schwimmende LNG-Terminals für Tankschiffe zu bauen und ans Gasnetz anzuschließen, sagt OGE-Chef Bergmann. In Wilhelmshaven will der kürzlich mit staatlicher Hilfe stabilisierte Düsseldorfer Energiekonzern Uniper das bundesweit erste Terminal für verflüssigtes Erdgas errichten und betreiben.
Open Grid Europe soll in Wilhelmshaven eine Pipeline-Verbindung zum bestehenden Gasnetz schaffen. „Der Bau ist soweit vorbereitet“, berichtet Bergmann. In den kommenden Tagen erwarte er grünes Licht der Behörden, damit die Arbeiten beginnen können. Das Ziel sei, bis Weihnachten den Betrieb der Pipeline starten zu können.
Im Vergleich mit dem Bau früherer Gasleitungen ist das Tempo rasant. Bei einem Pressegespräch in der Essener OGE-Zentrale präsentiert Bergmann einen Zeitstrahl mit einem Ablauf eines vergleichbaren Pipeline-Projekts, das acht Jahre in Anspruch nimmt. Das Vorhaben in Wilhelmshaven hat indes im Frühjahr begonnen und soll Ende 2022 abgeschlossen sein.
„Das wird sozialen Sprengstoff bei den Haushalten schaffen“
Mit Sorge betrachte er den insgesamt starken Anstieg der Gaspreise an den Energie-Großhandelsmärkten, sagt Bergmann. „Früher hatten wir ein Niveau von 20 bis 30 Euro je Megawattstunde“, erinnert sich Bergmann. Heute seien 200 Euro pro Megawattstunde keine Seltenheit. „Am Ende des Tages wird das bei den Kunden ankommen. Das wird sozialen Sprengstoff bei den Haushalten schaffen, und es wird auch die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie nachhaltig beeinträchtigen.“
Bergmann spricht sich daher dafür aus, den Mehrwertsteuersatz für sämtliche Energiepreise für die nächsten anderthalb oder zwei Jahre zu reduzieren. „Es gibt genügend Rentner, die in alten Häusern, die schlecht isoliert sind, sitzen. Die müssen ihre Energierechnung auch bezahlen.“ Eine befristete Mehrwertsteuer-Senkung für Energie sei im Übrigen schneller und einfacher umzusetzen als beispielsweise staatliche Hilfen nach einer Bedürftigkeitsprüfung, sagt der OGE-Chef.