Essen. Deutschlands größter Apple-Händler schafft Scheine und Münzen ab: Warum die Elektronikkette Gravis das Bargeld aus allen 40 Filialen verbannt.
Ein MacBook Pro für über 3500 Euro oder ein iPad Pro mit 12,9 Zoll für gut 3000 Euro werden wohl die wenigstens Kundinnen und Kunden in der Duisburger Filiale der Technikkette Gravis im Forum mit Bargeld bezahlt haben. Ab sofort müssen sie jedoch selbst einen USB-Stick für 7,79 Euro oder das Band für eine Apple Watch für 9,99 Euro mit Karte zahlen. Schilder am Eingang und an der Kasse zeigen es an: „Bei uns ist keine Barzahlung möglich.“
Der Gravis-Markt im Duisburger Forum ist eine von insgesamt 40 deutschen Filialen der Kette, in der ab sofort kein Bargeld mehr angenommen wird. Deutschlands größter Apple-Händler kassiert seit dem heutigen Montag ausschließlich bargeldlos, bestätigte das Berliner Unternehmen am Morgen auf Anfrage unserer Redaktion. Im Ruhrgebiet betreibt Gravis Niederlassungen in Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund.
Gravis-Chef nennt Bargeldabschaffung „logisch“
Gravis ist eine Tochter des Telekommunikationskonzerns Freenet und nach eigenen Angaben die „größte autorisierte Apple-Handelskette und der größte zertifizierte Apple-Servicepartner in Europa“. Die Abschaffung von Bargeldzahlungen sei der „nächste Schritt hin zu einem modernen, nachhaltigen und sicheren Einkaufserlebnis“, hieß es. Damit folge man auch dem Trend, „dass Barzahlungen in Deutschland seit einigen Jahren rückläufig sind“.
In den Gravis-Filialen hätten die Kundinnen und Kunden bereits in der Vergangenheit nur noch vereinzelt bar gezahlt. Weil sie besonders technikaffin seien, nutzten sie neben Karten und anderen digitalen Bezahlwegen auch immer öfter das Handy. Sein Unternehmen wollen nun den Einkauf im neuen Filialkonzept „mit einem unkomplizierten und sicheren Bezahlvorgang abschließen“, sagte Gravis-Geschäftsführer Jan Sperlich. Der Verzicht auf Barzahlungen sei „eine logische Entscheidung“.
Der Apple-Händler befeuert damit die in Deutschland stets heikle Debatte um eine Abschaffung des Bargelds, das hierzulande noch viel beliebter und verbreiteter ist als etwa in den Niederlanden oder in den skandinavischen Ländern. Dort ist eine rein digitale Bezahlung zum Beispiel an vielen Tankstellen seit Jahren etabliert.
Mehrheit der Deutschen zahlt lieber weiter mit Bargeld
In Deutschland dagegen zahlt immer noch eine Mehrheit von 58 Prozent lieber mit Scheinen und Münzen, wie die jüngste Erhebung der Bundesbank für 2021 ergab. Zum Vergleich: In Dänemark erfolgten im gleichen Jahr nur noch zwölf Prozent der Bezahlvorgänge in bar. Darin sehen die Skandinavier auch den Grund, dass es in Dänemark 2022 zum ersten Mal keinen einzigen Banküberfall gab. Bei den geringen Bargeldbeständen lohnt sich das offenbar nicht mehr.
Die Tendenz geht aber auch in Deutschland klar nach unten: Vier Jahre zuvor zahlten noch drei von vier Verbrauchern (74 Prozent) bar. Schon jetzt sind es meist die kleineren Beträge, die noch mit Hart- und Papiergeld bezahlt werden – darauf lässt eine Studie des Handelsforschungsinstituts EHI schließen: Vom Umsatz geht im Einzelhandel nur noch 41 Prozent des Geldes in bar ein.
EHI-Experte rechnet mit weiterer Zunahme der Kartenzahlung
Horst Rüter leitet den Forschungsbereich Zahlungssysteme beim EHI und rechnet damit, dass der Bargeldanteil weiter sinken werde: „Die Pandemie hat die Kartenzahlung angetrieben. Dabei haben viele gemerkt, dass es hygienischer ist und schneller geht, mit Karte zu zahlen.“ Allein in 2020 und 2021 habe es 2,5 Milliarden weniger Transaktionen mit Bargeld gegeben. Zudem würden ältere Menschen, die oft noch in bar bezahlen, zunehmend von kartenaffinen Käufern verdrängt.
Schon jetzt gebe es einige Branchen, in denen kaum noch mit Bargeld bezahlt werde, zum Beispiel beim Elektronikmarkt. Im Lebensmittel-Handel und handelsnahen Handwerk sei die Kartenzahlung weniger verbreitet: „Bei den kleinen Beträgen zahlen viele lieber bar“, meint Experte Rüter. Der Handel passe sich jedoch an die von Kunden bevorzugte Zahlungsweise an: „Wenn mehr Verbraucher mit Karte zahlen wollen, wird die Zahlweise auch immer präsenter.“
Die EU will den Bargeldumlauf ohnehin einschränken, im Dezember hat sich die Staatengemeinschaft auf eine Obergrenze von 10.000 Euro für Barzahlungen verständigt – dies vor allem, um Geldwäsche zu bekämpfen. Umgesetzt ist das noch nicht, in Deutschland gilt bisher nur eine Nachweispflicht für die Einzahlung solch hoher Bargeldsummen bei der Bank und ein Identitätsnachweis bei einem Bargeldgeschäft ab 10.000 Euro.
Handelsverband-Sprecherin: „Deutschland ist Bargeldland“
Bei der Verbannung des Bargelds aus dem Einzelhandel geht es aber weniger um Geldwäsche-Bekämpfung als um eine bequemere und schnellere Abwicklung des Bezahlvorgangs. Dass es zügiger geht, die Karte vorzuhalten als nach Münzen zu kramen, lässt sich an jeder Supermarktkasse beobachten.
Auch den Mitarbeitern spart es im Nachgang Zeit, wie Carina Peretzke, Sprecherin des Handelsverbands NRW, unserer Redaktion erklärt: „Das Geld muss gezählt und gewechselt werden, dann muss noch ein Mitarbeiter zur Bank.“ Bargeldlose und digitale Bezahlarten seien immer verbreiteter – „vor allem in touristischen Gegenden“, sagt Peretzke.
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Eine Abschaffung des Bargelds, wie sie etwa in Dänemark regelmäßig diskutiert wird, lehnt der deutsche Handel aber strikt ab – zu groß ist noch der Anteil des physisch existierenden Geldes. Auch die Deutsche Bank hält das für unrealistisch. So ist auch Carina Peretzke kein weiterer großer Händler bekannt, der ausschließlich auf die Kartenzahlung setzt. Sie meint: „Viele Händler haben den Service-Gedanken im Hinterkopf, den Kunden alle Bezahlarten anzubieten, damit sie so bezahlen können, wie sie es möchten. Und Deutschland ist nun mal Bargeldland.“
Herkömmliche Kassen verschwinden aus Gravis-Filialen
Nicht bei Gravis: Der Elektronikhändler und Apple-Reparaturdienst hat in Pilotfilialen den Verzicht auf das Bargeld vor dem bundesweiten Start getestet und sich durch die Ergebnisse darin bestärken lassen, wie das Unternehmen mitteilt. Nach und nach will die Freenet-Tochter deshalb auch seine herkömmlichen Kassen in den 40 Filialen abbauen. Und durch mobile Terminals ersetzen, an denen die Kundinnen und Kunden zahlen können.
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Dann werde es auch „keine ausgedruckte Kassenzettel auf Papier“ mehr geben, erklärt Gravis, das sei nachhaltiger. Für seine Beschäftigten sieht die Handelskette den Bargeld-Verbannung ebenfalls nur vorteilhaft: sie hätten mehr Zeit für andere Dinge und mehr Sicherheit, weil sich die Echtheitsprüfung von Scheinen und die täglichen Bargeld-Transporte zur Bank ab sofort erübrigen.