Essen. Niedrige Zinsen, hohe Inflation: Das ist nach Einschätzung des Sparkassenverbands Westfalen-Lippe eine brisante Mischung. Handeln sei gefordert.

Die Folgen der hohen Inflation lassen sich am Kontostand vieler Sparkassenkunden ablesen. „Geld fließt von den Konten ab. Das spüren wir deutlich“, sagt Liane Buchholz, die Präsidentin des Sparkassenverbands Westfalen-Lippe, zu dem auch zahlreiche kommunale Finanzinstitute aus dem Ruhrgebiet gehören, so etwa die Sparkassen in Bochum, Bottrop, Dortmund, Gelsenkirchen, Gladbeck, Herne, Hattingen und Witten. Insbesondere Haushalte mit geringen Einkommen hätten stark unter den gestiegenen Energiekosten zu leiden. Auf knapp über acht Prozent sei die Inflation in NRW geklettert. „Was wir jetzt gerade erleben, ist: Dass die Inflation die Spaltung der Gesellschaft vorantreibt“, sagt Buchholz bei einer Digital-Veranstaltung der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung (WPV).

Schon jetzt sei es einer Vielzahl von Menschen in Deutschland kaum möglich, Geld zur Seite zu legen. „Wir wissen aus unseren Daten, dass bislang ungefähr 42 Prozent aller deutschen Haushalte keine Sparfähigkeit mehr haben“, erklärt die Sparkassen-Präsidentin. Mit rund 2600 Euro nach Steuern sei ein durchschnittlicher Haushalt – mit zwei Elternteilen und einem Kind zum Beispiel – nicht mehr in der Lage, etwas anzusparen. „Das wird sich im Laufe des Jahres verschlechtern auf 3000 Euro – und dann sind 60 Prozent aller deutschen Haushalte davon betroffen.“ Diese Erkenntnis werde die politische Diskussion im Land prägen, sagt Buchholz voraus. Es drohe Altersarmut.

„Dann werden letztendlich auch Menschen ihre Immobilie verlieren“

„Wenn ein Kunde keine Sparfähigkeit hat, hat er auch nicht die Fähigkeit, ein Darlehen zurückzuzahlen“, warnt die Sparkassen-Präsidentin. Dies könne Folgen für das Immobiliengeschäft haben. „Wir tanzen hier ein bisschen auf einem Vulkan“, sagt sie. Wenn Anschlussfinanzierungen nach dem Kauf von Häusern oder Wohnungen anstünden, könnten angesichts steigender Zinsen die Budgets mancher Eigentümer gesprengt werden. „Dann werden letztendlich auch Menschen ihre Immobilie verlieren.“

Nach wie vor seien die Preise für Häuser und Wohnungen hoch. Hinzu komme, dass die Kosten für eine Immobilienfinanzierung „innerhalb kürzester Zeit“ stark nach oben gegangen seien. „Wenn Sie heute 500.000 Euro als Kredit aufnehmen, um eine Immobilie zu finanzieren, dann müssen Sie in diesem Jahr bis zu 10.000 Euro Zinsen mehr zahlen als im letzten Jahr“, rechnet Buchholz vor. Mit der aktuellen Entwicklung würden „viele Finanzierungspläne komplett über den Haufen“ geworfen. Schon jetzt komme es vor, dass Baufelder, die von Kommunen zur Verfügung gestellt würden, ungenutzt bleiben, „weil es die Menschen nicht gibt, die sich die Immobilienfinanzierung leisten können“. Dies werde Folgen haben, so Buchholz: „Wir werden in den nächsten Jahren auch in der Baubranche einen erheblichen Einbruch erleben.“

Fusionswelle bei Sparkassen in NRW

In den Sparkassen stehen ebenfalls Veränderungen an. Einige kommunale Geldhäuser in der Region schließen sich zusammen oder erwägen einen solchen Schritt. „Wir haben in diesem Jahr bereits zwei Fusionen hinter uns“, berichtet Buchholz. „Eine Handvoll wird wahrscheinlich noch dazukommen. Das ist schon eine Fusionswelle, die wir jetzt gerade beobachten.“ Westfalen-Lippe sei eine Region vieler kleiner Sparkassen mit Bilanzsummen unter einer Milliarde Euro. Nicht selten würden nach einer Kommunalwahl „die Bücher im Sparkassenwesen neu geordnet“.

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Abgeschlossen seien bereits die Fusionen der Sparkassen in Dortmund und Schwerte sowie in Ennepetal und Gevelsberg. Sondierungsgespräche für Zusammenschlüsse würden derzeit zwischen Steinfurt und Emsdetten-Ochtrup, Gütersloh-Rietberg und Versmold, Paderborn-Detmold und Höxter, Lippstadt und Soest-Werl sowie Hagen/Herdecke und Lüdenscheid geführt. Das Ziel der Fusionen sei stets, die fixen Kosten zu senken.

Mit zunehmendem Online-Banking werde auch das Filialnetz kleiner. Seit 2016 bis zum Jahr 2021 sei die Zahl der Filialen um rund 15 Prozent auf 1164 Standorte zurückgegangen. Die Kunden hätten „mit den Füßen abgestimmt“, sagt Buchholz. Sie erwarte, dass die Zahl der Filialen „leicht rückläufig“ sein werde. Auch ein „moderater Personalabbau“ sei absehbar. Derzeit sind 22.100 Menschen in den 54 Sparkassen des westfälischen Verbandsgebiets beschäftigt, das sich vom Münsterland über Ostwestfalen-Lippe und das Ruhrgebiet bis nach Südwestfalen erstreckt.

Sparkassen wollen Krypto-Währung anbieten

Die Digitalisierung schreite auch im Zahlungsverkehr voran, Bargeld sei ein Auslaufmodell. „Es wird immer unbedeutender“, konstatiert Buchholz. In naher Zukunft wollen die Sparkassen ihren Kunden auch den Zugang zu Krypto-Währung ermöglichen. Rund 2,2 Milliarden Euro seien im vergangenen Jahr von deutschen Sparkassen-Konten auf Krypto-Plattformen gewandert, berichtet Buchholz. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum seien vier Milliarden Euro ins Wertpapiergeschäft der Sparkassentochter Deka geflossen. Auch daher reagieren die Sparkassen nun. Bis Mitte oder Ende dieses Jahres sollen Sparkassen-Kunden „ausgewählte Krypto-Währungen zum Handel und auch zur Verwahrung“ zur Verfügung gestellt bekommen. Es gebe Nachfrage, daher werde für ein Angebot gesorgt. „Wir sind nicht die Erziehungsberechtigten unserer Kunden“, sagt Buchholz mit Blick auf mögliche Risiken, die mit einem Krypto-Handel verbunden sein könnten. Die Kunden wüssten sehr genau, was sie tun.