Essen. Die „letzte Generation“ sorgt für mehr Aufsehen als der Klimagipfel. Der Sache dienlich ist das nicht. Doch es sind die Staaten, die versagen.
Deutschland hat endlich einen populären Zugang zum Schicksalsthema Klimawandel gefunden: Ob sich junge Leute auf die Straße kleben und Kunstwerke mit Kartoffelbrei bekleckern dürfen, lässt sich heiß diskutieren. „Die letzte Generation“ und ihre radikalen Aktionen haben in der hiesigen Medienlandschaft zuletzt mehr Platz eingenommen als der Weltklimagipfel in Scharm-el-Scheich. Ob das im Sinne der Sache ist?
Das kollektive Schulterzucken über das enttäuschende Gipfelergebnis passt zum Gleichmut der Staatengemeinschaft gegenüber den kommenden Generationen. Der Gipfel in Ägypten hat wie jeder nach 2015 nichts Entscheidendes zur Erreichung der Pariser Klimaziele beigetragen. Die Staaten brechen das Versprechen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, seitdem sie es sich und den acht Milliarden Menschen vor sieben Jahren gegeben haben. Die meisten haben sich daran gewöhnt, die „letzte Generation“ nicht.
CSU nennt Klimaaktivisten „grüne RAF“
An den Teenies, die Fridays for Future aus den Talkshows verdrängt haben, lässt sich besser reiben als an den Wortklaubereien in den Abschlusserklärungen der Klimagipfel. Sie provozieren bewusst, sperren Straßen im Berufsverkehr, brechen Gesetze, nehmen Strafen und Gefängnisaufenthalte in Kauf, um gehört zu werden. Dass sie damit zu weit gehen, ist bürgerlicher Konsens. Die Wortwahl vor allem einiger Christdemokraten nicht. Kriminelle, Antidemokraten, grüne Terroristen – der Ton kann gar nicht scharf genug sein.
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Doch für die Klimaaktivisten gibt es Schlimmeres, als von einem CSU-Politiker „grüne RAF“ genannt zu werden. Zum Beispiel bei Lanz zu sitzen und sich vom Moderator, Sachverständigen und Richter in Personalunion sagen lassen zu müssen, als junger Mensch habe man Optimist zu sein. Sich fragen lassen zu müssen, woher man denn wisse, was der Klimawandel alles anrichten werde, woher die Wissenschaft das denn wisse? Und die Antwort vom Fragesteller ertragen zu müssen, dass der Mensch es noch immer geschafft habe, sich anzupassen. Sich also in Deutschlands erfolgreichster Talkshow Argumenten auf Donald-Trump-Niveau („es wird kälter, Ihr werdet sehen“) ausgeliefert zu sehen.
Letzte Generation: Sekundenkleber als Waffe
Wer die Selbsteinschätzung von der „letzten Generation“, die noch etwas ausrichten kann, nur einen kurzen Moment ernst nähme, könnte ihre Radikalität vielleicht mit echter Verzweiflung erklären. Gesetzesbrüche zu verurteilen, hindert niemanden daran, die Motive dafür gelten zu lassen. Die Jugendlichen, die Klebstoff als Waffe entdeckt haben, wollen nicht in einer Welt alt werden, in der große Teile der Erde unbewohnbar werden, Milliarden Menschen fliehen, um die verbliebenen Rohstoffe und Nahrungsmittel Kriege geführt werden.
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Die Schwelle zu diesem Katastrophenszenario zieht die Klimaforschung bei drei Grad Erderwärmung. Jüngste Projektionen sehen die Erde aktuell auf einem Pfad zu einer Erwärmung um 2,6 Grad in diesem Jahrhundert. Würden alle Länder ihre in Paris eingegangenen Vereinbarungen einhalten, könnten sie die zwei Grad knapp halten. Das 1,5-Grad-Ziel ist dagegen kaum noch realistisch, nicht einmal in diesem Jahrzehnt: Die Wetterexperten der UNO erwarten bereits bis 2026, dass die globale Durchschnittstemperatur erstmals um mehr als 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau liegen wird. Sie kann anschließend zwar auch wieder darunter sinken, der Tendenz folgend wird das aber immer seltener der Fall sein.
„Letzte Generation“ – viele halten schon den Namen für übertrieben. Dabei klang das im Wahlkampf der Grünen 2021 auffallend ähnlich: Die nächste Regierung sei „die letzte, die die Klimakrise noch eindämmen kann“, sagte die heutige Außenministerin Annalena Baerbock auf jeder Veranstaltung. Ihre erste Klimakonferenz als Unterhändlerin endete für sie frustrierend. Auf dem Gipfel wurde mehr über die Finanzierung der Klimafolgen gerungen als um konkrete Schritte, sie noch zu verhindern.
Auch die Ampel ist von ihrem Klimapfad abgekommen
Und nicht nur die Staatengemeinschaft tut zu wenig – auch die deutsche Ampel ist gleich im ersten Jahr von ihrem Klimapfad abgekommen. Der grüne Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck flog nach Kriegsbeginn in der Ukraine durch die Welt, um etwa in Katar und Saudi-Arabien um Gas und Öl zu betteln. Aktuell lässt er alle verfügbaren Kohlekraftwerke hochfahren, damit das Land, seine Menschen und die Industrie durch diesen Winter kommen Das muss er, um eine aktuelle Notlage zu meistern. Was Klimaaktivisten davon halten, die in den Grünen die letzte Hoffnung im etablierten Parteienspektrum sahen, ist aber auch klar.
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Ob die „letzte Generation“ mit ihren plakativen Kunstschändungsaktionen der Sache mehr dient, darf bezweifelt werden. Ihr Problem ist, dass nüchtern vorgetragene Sachargumente auf taube Ohren stoßen. Die Christdemokraten schieben das von ihrer Rekordkanzlerin Angela Merkel einst vorgegebene Ziel, die Schöpfung zu bewahren, immer weiter nach hinten. Die Sozialdemokraten, deren DNA den Schutz des sozialen Friedens beinhaltet, der weltweit durch den Klimawandel bedroht wird, ebenso. Wenn nun nicht einmal eine Ampel mit starker grüner Beteiligung etwas bewegt und die meisten anderen Industriestaaten erst recht nicht – wie soll die Jugend mit wem über ihre existenziellen Ängste kommunizieren?
Altväterliche Zurechtweisungen gehen ins Leere
Klar ist: Altväterlich vorgetragene Belehrungen, sie mögen sich in den dafür vorgesehenen demokratischen Bahnen für ihre Ziele engagieren, dringen nicht zu ihnen durch. Wer sich als letzte Generation begreift und wie die Klimaforschung das Zeitfenster für ein wirksames Gegensteuern sich binnen Jahren schließen sieht, wird nicht als erstes an eine Parteikarriere denken, die ihn in vielleicht 15 Jahren in die Position brächte, mitentscheiden zu dürfen.
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Denn der Punkt naht, an dem sich der Klimawandel verselbstständigen könnte. Ein Forscherteam um die Briten David Armstrong McKay und Timothy Lenton erwartet das endgültige Reißen der 1,5-Grad-Hürde für 2030. Damit würden dann auch vier Kipppunkte erreicht, ab denen bestimmte Prozesse nicht mehr aufzuhalten sind: Der Permafrost-Boden etwa in Sibirien würde tauen und Unmengen Methangas freisetzen, das noch viel klimaschädlicher ist als CO2. Die grönländischen und westantarktischen Eisschilde würden tauen, tropische Korallenriffe absterben.
Verfassungsgericht: Klimapolitik verletzt Grundrechte junger Menschen
Das Urteil über die deutsche Klimapolitik der vergangenen Legislaturen ist eindeutig – und es stammt nicht von der letzten Generation, sondern vom Bundesverfassungsgericht. Der letzten großen Koalition bescheinigten Deutschlands höchste Richter im Frühjahr 2021, ihr Klimaschutzgesetz verletze die Freiheitsrechte der jungen Menschen, die dagegen bis Karlsruhe gezogen waren. Nicht nur die radikal protestierenden Jugendlichen brechen Rechte, sondern auch die Regierenden selbst, sogar Grundrechte.
Das Gericht verpflichte den Gesetzgeber dazu, einen Ausgleich zwischen Freiheitsgebrauch der einen und klar erwartbaren Schadenslasten für die anderen zu finden. Und es wurde noch konkreter: Die Bundesregierung tue nicht genug, um die Pariser Ziele erreichen zu können, zumindest bleibe sie konkretere Pläne dafür schuldig (1 BvR 2656/18). Die Ampel hat nachgeschärft, deutlich sogar, sie will den CO2-Ausstoß in Deutschland in diesem Jahrzehnt um 65 Prozent senken. Aber auch das ist bisher nur ein Ziel, von dem sich die Regierung im Zuge der Energiekrise erst einmal weiter entfernt hat.
Verfassungsschutz: Letzte Generation respektiert Demokratie
Außerparlamentarische Opposition war links wie rechts immer dann am radikalsten, wenn das Land oder die Welt an einer entscheidenden Weggabelung stand. Atomkraft: ja, bitte oder nein, danke. Flüchtlinge: willkommen oder bitte draußen bleiben. Pandemie-Politik: solidarische Bürgerpflicht oder Corona-Diktatur. Nicht immer bewegten sich die Demonstranten dabei im Rahmen unserer Demokratie. Die „letzte Generation“ schon, findet Deutschlands höchster Verfassungsschützer: Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, bescheinigt den Klimaaktivisten sogar einen besonders großen Respekt vor unserer Demokratie.
Ihre Straftaten müssten geahndet werden, betonte Haldenwang, dazu seien die Gerichte da. „Man kann mit solchen Instrumenten der Allgemeinheit seinen Willen nicht aufzwingen“, sagte er jüngst bei einer Diskussion auf dem Hambacher Schloss. Das mache sie aber nicht zu Extremisten, die den Staat und unsere freiheitlich demokratische Grundordnung infrage stellten – „genau das tun die Leute ja eigentlich nicht“, sagte er. Stattdessen forderten die Klima-Aktivisten die Regierung zu entschiedenerem Handeln auf. „Also anders kann man eigentlich gar nicht ausdrücken, wie sehr man dieses System eigentlich respektiert“, sagte der Verfassungsschutz-Präsident.
Breiattacken bringen Klimaschutz auch nicht weiter
Das dürfte die „letzte Generation“ gern gehört haben, weiter bringt es sie nicht. So wie ihre Breiattacken in den Museen den Klimaschutz nicht weiter bringen. Den Ernst der Lage haben die meisten Regierungen der großen Industrieländer ja auch längst erkannt – nur bleibt ihr Handeln weit hinter dem zurück, was nötig wäre, den Klimawandel in erträglichen Grenzen zu halten. Sie folgen dem leidlich menschlichen Wesenszug irrationaler Trägheit, der fest im Unterbewusstsein verankert ist. Je bedrohlicher die Zukunft, desto mehr bleibt der Mensch dem Jetzt verhaftet, aus Angst vor Überforderung. Selbst wenn der Verstand sagt, dass es mit jedem Zuwarten nur noch schlimmer wird.
In der Politik äußert sich das in einer weit verbreiteten Unfähigkeit, vorausschauend zu handeln. In Autokratien ist dem Machthaber der Erhalt des Status quo Selbstzweck. In Demokratien werden die Regierenden immer dann wiedergewählt, wenn sie die aktuellen Bedürfnisse der Bevölkerungsmehrheit befriedigen. Die Liste sträflich lang aufgeschobener Weichenstellungen ist lang – sie reicht von der Rente über geregelte Zuwanderung bis zum Klimaschutz.
Kosten der Klimafolgen steigen ins Unermessliche
Dabei wissen die Regierungen seit Jahrzehnten, dass jede Verzögerung die Folgen der Erderwärmung und damit auch die Kosten für ihre Linderung und die Anpassung an neue Klimaverhältnisse in immer bedrohlichere Dimensionen treibt. Nur finden sie immer neue aktuelle Gründe für ihr Zögern. Daran ändern wird sich vermutlich erst etwas, wenn die Mehrheit der Menschen ihre aktuellen Bedürfnisse denen ihrer Kinder und Enkel unterordnet. Auf dass die sich dann nicht mehr auf die Straße kleben, sondern Solarmodule auf Dächer schrauben.