Essen. Die schwarz-grüne NRW-Landesregierung will den Aufbau einer grünen Stahlproduktion von Thyssenkrupp in Duisburg massiv finanziell unterstützen.

Die nordrhein-westfälische Landesregierung will den grünen Umbau des Stahlherstellers Thyssenkrupp mindestens mit einem mittleren dreistelligen Millionenbetrag unterstützen. Nach Informationen unserer Redaktion hat das Kabinett von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) in seiner jüngsten Sitzung beschlossen, mit der Konzernspitze eine Absichtserklärung zur Ko-Finanzierung der geplanten wasserstoffbetriebenen Direktreduktionsanlage am Standort Duisburg zu unterzeichnen.

„Die Landesregierung ist sich einig, ihren Teil zum Gelingen des Projektes beitragen zu wollen und die Investition des Unternehmens mindestens mit einem mittleren dreistelligen Millionenbetrag zu unterstützen“, sagte NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) unserer Redaktion am Mittwoch. Mit der Direktreduktionsanlage werde der erste große Schritt zur klimaneutralen Stahlindustrie in NRW gemacht, so Neubaur.

Im Rahmen des Projekts „tkH2steel“ will Thyssenkrupp im großen Stil CO2-armen Stahl produzieren: Mit einer Kapazität von 2,5 Millionen Tonnen pro Jahr wäre die Direktreduktionsanlage (DRI-Anlage) in Duisburg die größte ihrer Art in Deutschland.

Neben dem Land NRW soll auch das Bundeswirtschaftsministerium eine Ko-Finanzierung leisten. Näheres hierzu ist aus dem Hause von Robert Habeck (Grüne) aber noch nicht bekannt. Insgesamt hat Thyssenkrupp Investitionen in die Hochofen-Nachfolgetechnologie von zwei Milliarden Euro angekündigt, dies jedoch zu einem erheblichen Teil von öffentlicher Förderung abhängig gemacht.

Ministerpräsident Wüst spricht von „starkem Signal“

„Die Landesregierung ist bereit, das Vorhaben zu unterstützen, und so zum Erhalt und zur Transformation einer wichtigen Wertschöpfungskette für die gesamte Wirtschaft im Land beizutragen“, sagte NRW-Ministerpräsident Wüst unserer Redaktion. Der Ministerpräsident sprach von einem „starken Signal in einer für die energieintensive Stahlbranche schwierigen Zeit“.

Der zugesagte mittlere dreistellige Millionenbetrag steht in NRW zwar unter Haushaltsvorbehalt und trifft die Landesregierung in einer Zeit, in der die Energiekrise ohnehin erhebliche Etatlöcher reißt. Doch die schwarz-grüne Koalition verspricht sich von der Thyssenkrupp-Hilfe offenbar eine Hebelwirkung für weitere Investitionen in Zukunftstechnologien. Als künftig größter Einzelverbraucher von Wasserstoff in der Rhein-Ruhr-Region werde Thyssenkrupp „ein wichtiger Motor zum Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft sein“ und zum Wandel der ehemaligen Kohleregion hin zu einem klimaneutralen Industriestandort beitragen, hieß es in Regierungskreisen.

Bei Thyssenkrupp ist von einem Umbau in historischer Größenordnung die Rede. Wenn alles gut läuft, soll auf dem Duisburger Industrieareal, das fünf Mal so groß ist wie Monaco, ein Paradebeispiel für die grüne Transformation der deutschen Wirtschaft entstehen. Mit der Hochofen-Nachfolgetechnologie wäre jedenfalls ein radikaler Wandel in einer der deutschen Schlüsselindustrien verbunden: Die Kohle soll durch Wasserstoff ersetzt werden. Für den Übergang will Thyssenkrupp aber zunächst Erdgas anstelle von Wasserstoff einsetzen, was angesichts massiv gestiegener Gaspreise in der aktuellen Energiekrise Fragen aufwirft.

„Zeitenwende für die Stahlproduktion im Ruhrgebiet“

Rund 150 Meter hoch soll die neue Direktreduktionsanlage für CO2-armen Stahl von Thyssenkrupp werden – und damit die bestehenden Hochöfen noch etwas überragen. Von einer „Zeitenwende für die Stahlproduktion im Ruhrgebiet“ spricht Thyssenkrupp-Vorstandschefin Martina Merz.

Seit vielen Jahrzehnten gehört die Stahlindustrie zu den größten Verursachern von klimaschädlichem Kohlendioxid. Allein aus den Hochöfen von Thyssenkrupp in Duisburg stammen Unternehmensangaben zufolge aktuell rund 2,5 Prozent des bundesweiten Kohlendioxid-Ausstoßes. Das soll sich ändern, wenn DRI-Anlagen Schritt für Schritt die bisherigen Aggregate ersetzen.

Im Jahr 2026 soll die Produktion starten. Die Vergabe der Aufträge an die Anlagenbauer ist Unternehmensangaben zufolge für den Herbst 2022 geplant. Obwohl Thyssenkrupp selbst über eine Anlagenbausparte verfügt, ist der Konzern beim Projekt DRI-Anlage auf andere Unternehmen angewiesen, die nun auf Großaufträge hoffen können.

Staatliche Hilfe nicht nur für Anlagenbau, sondern auch für Betrieb erhofft

Das Thyssenkrupp-Management hatte erklärt, das milliardenschwere Projekt stehe unter dem Vorbehalt einer Förderung durch die öffentliche Hand. Spekulationen zufolge könnte der Staat insgesamt etwa die Hälfte der Investitionsmittel übernehmen. Die genaue Summe ist allerdings weiterhin offen, da neben Landesmitteln auch Geld aus Töpfen von Bund und Europäischer Union kommen soll.

Thyssenkrupp hofft – ähnlich wie andere Stahlkonzerne in Deutschland auch – nicht nur auf eine Förderung aus Steuermitteln für den Aufbau der Anlagen, sondern auch auf finanzielle Unterstützung im laufenden Betrieb. Der Thyssenkrupp-Vorstand hatte aus seiner Sicht die Voraussetzung für die Investitionen von mehr als zwei Milliarden Euro geschaffen, indem er den – nicht benannten – Eigenmittelanteil zum Bau der ersten DRI-Anlage am Standort Duisburg freigab.

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Mit einer Kapazität von 2,5 Millionen Tonnen direkt reduziertem Eisen pro Jahr werde die erste DRI-Anlage größer dimensioniert sein als zunächst geplant, teilt Thyssenkrupp mit. Zum Vergleich: Thyssenkrupp Steel stellt derzeit jährlich etwa elf Millionen Tonnen Rohstahl her.

Tesla-Fabrik gilt im Konzern als Vorbild für Duisburger Projekt

Arbeitnehmervertreter hatten seit Monaten eine Entscheidung für die milliardenschwere Investition gefordert – auch als ein Signal des Aufbruchs. Entsprechend zufrieden äußerte sich Tekin Nasikkol, der Gesamtbetriebsratschef von Thyssenkrupp Steel, nach dem Vorstandsbeschluss. „Wir erleben einen historischen Moment“, sagte Nasikkol im Gespräch mit unserer Redaktion. „Duisburg bleibt ein Stahlstandort und wird eine grüne Zukunft haben.“ Das Ziel müsse nun sein, rasch die Aufträge an Anlagenbauer zu vergeben.

Selbst wenn bis dahin hoch keine Zusage zu sämtlichen Fördermitteln vorliege, sollte das Projekt vorangetrieben werden, sagte Nasikkol Ende vergangener Woche. „Wir werden die Politik bitten, dass wir schonmal loslegen können, ohne dass es schädlich ist hinsichtlich der Fördermittel.“ Ein ähnliches Vorgehen habe es auch beim Bau der Autofabrik von Tesla in Brandenburg gegeben.