Essen. Wasserstoff statt Kohle für die Stahlherstellung – so lautet das große Ziel von Thyssenkrupp. Zunächst setzt der Konzern allerdings auf Erdgas.

Um die Klimabilanz zu verbessern, will Thyssenkrupp künftig Wasserstoff statt Kohle in der Stahlproduktion einsetzen. Zunächst einmal plant das Unternehmen aber mit Erdgas. Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz sprach in einer gemeinsamen Diskussion mit RWE-Chef Markus Krebber von einem „langen Umstellungszeitraum“. „Vor den 30er-Jahren ist niemals davon auszugehen, dass wir genügend Wasserstoff haben werden“, sagte sie. „Da ist Gas angesagt, meine ich jetzt auch politisch.“ Denn es würden „dicke, große Pipelines“ benötigt. RWE-Chef Krebber mahnte zu Pragmatismus. Derzeit stehe noch nicht genug grüner Wasserstoff zur Verfügung. Daher werde Erdgas gebraucht.

In einer gemeinsamen Mitteilung von Thyssenkrupp Steel und Bundesumweltministerium ist im Zusammenhang mit Erdgas für die Stahlherstellung von einer „Übergangstechnologie“ die Rede. Mit Erdgas könne in der Stahlindustrie bereits viel CO2 eingespart werden, betonen Unternehmen und Ministerium.

Thyssenkrupp Steel verursache derzeit 2,5 Prozent des deutschen CO2-Ausstoßes, sagte Thyssenkrupp-Chefin Merz. Dies lasse sich aber ändern. „Wir haben die technische Lösung schon“, erklärte die Managerin. Krebber betonte in diesem Zusammenhang, wie wichtig Zusammenarbeit über verschiedene Branchen hinweg sei. Die zentrale Frage sei: „Wie halten wir die Industrie wettbewerbsfähig?“

Ab dem Jahr 2025 will Thyssenkrupp Steel die vier konzerneigenen Hochöfen am Standort Duisburg schrittweise durch sogenannte Direktreduktionsanlagen ersetzen. Hinzu sollen Einschmelz-Aggregate kommen, um aus dem festen Rohmaterial aus den neuen Anlagen flüssiges Roheisen für die Weiterverarbeitung zu machen. Hierfür sind Unternehmensangaben zufolge Investitionen von rund zwei Milliarden Euro bis zum Jahr 2030 erforderlich, für den kompletten Umbau bis zu acht Milliarden Euro.

Auch interessant

„Der Direktreduktionsprozess mit Erdgas ist um die Hälfte sauberer als Stahl aus dem Hochofen“, erklärten das Bundesumweltministerium und Thyssenkrupp Steel nach einem Besuch von Ministerin Svenja Schulze (SPD) zu Wochenbeginn. Weiter hieß es, mittel- bis langfristig müsse das Erdgas durch grünen Wasserstoff ersetzt werden.

Es sind riesige Industriekomplexe, die Thyssenkrupp Steel in Duisburg plant. 150 Meter hoch sollen die Direktreduktionsanlagen nach Darstellung von Thyssenkrupp-Stahlchef Bernhard Osburg sein. Die bisherigen Hochöfen würden sie locker überragen. Ministerin Schulze hatte am Montag das Duisburger Hüttenwerk besucht, um sich über die Pläne des größten deutschen Stahlherstellers zu informieren. Sie stellte dem Unternehmen finanzielle Hilfen für den Aufbau einer klimaneutralen Stahlproduktion in Aussicht. Mit Blick auf einen Förderantrag für eine Direktreduktionsanlage sei eine erste Projektskizze unter anderem vom Umweltbundesamt positiv bewertet worden.

Auch interessant

Insgesamt sei die heimische Stahlindustrie mit etwa 58 Millionen Tonnen CO2 für rund sechs Prozent der jährlichen CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich, heißt es in einer gemeinsamen Presseerklärung von Bundesumweltministerium und Thyssenkrupp. „Die Bundesregierung wird die Stahlindustrie bei der Transformation nicht alleine lassen“, betonte Schulze.

Derzeit schmieden vielerorts große deutsche Industrieunternehmen Bündnisse, um den klimaneutralen Umbau stemmen zu können. Eine Herausforderung: Zur Herstellung von grünem Wasserstoff sind enorme Mengen erneuerbarer Energie erforderlich. Vor wenigen Wochen präsentierten der Essener RWE-Konzern und der Chemiekonzern BASF Pläne für den Bau eines riesigen Windparks in der Nordsee. Dieser soll der Versorgung der Chemiewerke am BASF-Stammsitz in Ludwigshafen dienen, um die Produktionsprozesse von Chemikalien, die bisher auf fossilen Energieträgern basieren, zu elektrifizieren.

Auch interessant

Der neue RWE-Chef Markus Krebber (48) beschreibt seinen Führungsstil mit den Worten „flache Hierarchien, schnelle Entscheidungen, Pragmatismus, aber auch immer ein kritisches Hinterfragen, ob der eigene Weg der richtige ist“.
Von Ulf Meinke, Stefan Schulte und Andreas Tyrock

Windkraft auf dem Meer sei die mit Abstand effektivste Form der erneuerbaren Stromerzeugung“, sagte der neue RWE-Chef Markus Krebber. In der Nordsee gebe es Flächen, die bislang für die Zeit nach dem Jahr 2030 im Flächenentwicklungsplan und im Netzentwicklungsplan ausgewiesen seien. Um diese Gebiete für das Vorhaben der beiden Konzerne zu nutzen, müsste der Netzanschluss vorgezogen werden.

Unlängst sagte Evonik-Chef Christian Kullmann im Podcast „Die Wirtschaftsreporter“, es seien „unvorstellbare Mengen an Strom“ erforderlich, damit seine Branche vollständig klimaneutral produzieren könne. Es müssten schließlich sämtliche Produktionsprozesse elektrifiziert werden. Gleichzeitig steige die Bundesrepublik aus Kernenergie und Kohleverstromung aus. Kullmann warnte davor, absehbar werde zu wenig regenerative Energie verfügbar sein. Der Netzausbau gehe zu langsam voran. Daher rechne er damit, dass zumindest für den Übergang der Einkauf von französischem Atomstrom notwendig werde, um den Bedarf in Deutschland zu decken.