Duisburg. Die neue BA-Chefin Andrea Nahles will Thyssenkrupp Steel bei der Transformation der Stahlindustrie unterstützen. Auch Kurzarbeit ist ein Thema.
Einen Zwischenhalt macht Andrea Nahles in Sichtweite der Kokerei auf dem Werksgelände von Thyssenkrupp Steel in Duisburg. Die neue Chefin der Bundesagentur für Arbeit (BA) will sich ein Bild davon machen, wie sich Deutschlands größter Stahlkonzern verändert – und wie ihre Behörde die Transformation unterstützen kann. Anfang August hat die frühere SPD-Vorsitzende den Vorstandsvorsitz der Bundesagentur übernommen. Von ihrem Besuch im Ruhrgebiet soll auch die Botschaft ausgehen, dass sie ihre Behörde angesichts der anstehenden Herausforderungen in Deutschlands Industrie in einer neuen Rolle sieht.
„Früher hat man einfach gewartet, bis alle arbeitslos wurden, und dann hat man eine Transfergesellschaft gegründet“, sagt Nahles. „Wir machen es heute schlauer. Wir fangen schon – während die Leute noch in Arbeit sind – an, sie zu qualifizieren.“ Die BA sei in der Vergangenheit „auf Arbeitslosigkeit beschränkt“ gewesen. „Es ist jetzt endlich möglich zu sagen: Nee, wir warten nicht, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist.“
Das Vorgehen der BA bei Thyssenkrupp Steel beschreibt Nahles als beispielhaft für den veränderten Ansatz der Job-Behörde. Ähnliche Pläne habe die Bundesagentur auch für den niedersächsischen Autozulieferer Continental und die Ford-Werke. Die Kokerei, die Nahles in Duisburg betrachtet, illustriert, worum es geht. Sollte die Produktion am Stahlstandort in einigen Jahren tatsächlich klimaneutral und ohne Hochöfen laufen, würden Anlagen wie die Kokerei und die Tuchfilteranlage nicht mehr gebraucht. Es gehe insgesamt um Bereiche des Betriebs, in denen derzeit mehr als 3000 der rund 13.000 Menschen auf dem weitläufigen Industrieareal beschäftigt sind.
Bundesagentur will verstärkt „Transformationsbegleitung“ betreiben
Wenn Veränderungen absehbar seien, wolle die Bundesagentur rechtzeitig damit beginnen, „präventiv die Leute zu qualifizieren“, sagt Nahles. Die vom Wandel betroffenen Mitarbeitenden seien in aller Regel „hoch qualifiziert“ und hätten „auf dem Fachkräftemarkt super Chancen“. Die Bundesagentur wolle daher gezielt „Transformationsbegleitung“ betreiben. „Das ist etwas, was sich wahrscheinlich in den nächsten Jahren zu einem neuen Standbein unserer Arbeit entwickeln wird“, sagt die BA-Chefin. Die Transformation präge schließlich bundesweit die Industrie. „Das ist ja jetzt nicht nur in Duisburg, das ist ja überall so.“
Zur Herausforderung, die Produktion langfristig umzubauen, kommt kurzfristig konjunktureller Gegenwind angesichts der Energiekrise infolge des Ukraine-Kriegs. „Wir rechnen damit, dass das jetzt zunimmt“, sagt Nahles mit Blick auf voraussichtlich steigende Kurzarbeiterzahlen. „Logo, ich bitte Sie, was denn sonst?“, fügt Nahles hinzu. Sie könne nur hoffen, dass es bei Kurzarbeit anstatt Stellenabbau bleibe. „Kurzarbeit ist immer noch besser als Arbeitslosengeld I.“
Torsten Withake, der die BA-Regionaldirektion NRW führt, berichtet, es gebe zunehmend Nachfragen von Unternehmen zum Thema Kurzarbeit. Verglichen mit der Corona-Krise sind die aktuellen Zahlen noch gering: In ganz Deutschland seien derzeit rund 230.000 Menschen in Kurzarbeit, berichtet Nahles. Es sei aber zu spüren, dass sich die Betriebe wieder stärker mit dem Thema beschäftigen. Ob sie mit einer Welle von Kurzarbeit im Winter rechne? „Ich spekuliere nicht mit der Apokalypse“, sagt Nahles dazu. „Wir als BA halten uns an die Fakten.“ Allerdings seien alle in Hab-Acht-Stellung.
ArcelorMittal schickt bereits mehr als 1500 Beschäftigte in Kurzarbeit
Der weltweit führende Stahlkonzern ArcelorMittal hat bereits angekündigt, angesichts der Energiekrise zwei Anlagen in Deutschland abzustellen, auch ein Hochofen in Bremen ist betroffen. Bundesweit sind Unternehmensangaben zufolge mehr als 1500 Beschäftigte des Thyssenkrupp-Konkurrenten in Kurzarbeit, davon rund 150 in Duisburg.
Auch Thyssenkrupp Steel beobachte die Situation, sagt Personalvorstand Markus Grolms. „Es ist natürlich eine Aufgabe des Unternehmens, sich aktiv damit zu befassen.“ Auszuschließen sei es nicht, dass es in größerem Umfang Kurzarbeit gebe, „wenn sich eine Rezession hier im Land breitmachen“ würde. „Da sind wir aber jetzt noch nicht“, betont Grolms. Tagesaktuell seien bei Thyssenkrupp Steel etwa 150 Menschen in Kurzarbeit – bezogen auf alle Standorte und Anlagen des Unternehmens.
Allein aufgrund von Energiepreissteigerungen könne jedenfalls kein Unternehmen Kurzarbeitergeld beantragen, stellt BA-Chefin Nahles klar. „Eine reine Energiepreis-Sache reicht uns noch nicht.“ Es müsse „Wirkungen auf das laufende Geschäft“ geben, damit Kurzarbeitergeld – kurz KUG – fließt.
Behördenchefin Nahles regt auch ein spezielles Kurzarbeitergeld in der Krise an. „Das nenne ich Krisen-KUG“, sagt sie. Das übliche dreistufige Verfahren aus Anzeige, Antrag und Schlussabrechnung sei sehr kompliziert. Sollte massenhaft Kurzarbeitergeld – etwa in der Energiekrise – nötig werden, seien BA-Beschäftige gebunden, „die wir woanders brauchen“, sagt Nahles. Momentan seien noch 2300 BA-Mitarbeitende nur mit den Abschlussprüfungen „des letzten Pandemie-KUG“ beschäftigt. Möglicherweise würden die Beschäftigten aber bald wieder für Auszahlungen benötigt.