Düsseldorf. In Deutschlands Supermärkten werden die Folgen von Energiekrise und Inflation sichtbar. Rewe-Chef Souque rechnet mit weiteren Preiserhöhungen.
Rewe-Chef Lionel Souque hat einen Zettel mitgebracht, auf dem schlagwortartig zusammengefasst ist, womit seine Branche derzeit zu kämpfen hat: Steigende Energiepreise und höhere Verpackungskosten, logistische Herausforderungen und verteuerte Rohstoffe. Die Liste ist lang. Die Folgen des Krieges von Russland gegen die Ukraine kommen auch in Deutschlands Supermärkten an – und die Kundinnen und Kunden reagieren bereits, wie Rewe-Chef Souque bei einem Auftritt vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung (WPV) in Düsseldorf berichtet. Der Preis spiele beim Einkauf eine wichtigere Rolle als vor Beginn der Ukraine-Krise, erzählt er. Günstigere Eigenmarken der Lebensmittelhändler seien im Moment besonders gefragt. Die Resonanz auf „Aktionspreise“ steige. Discounter verzeichneten Zuwächse im Vergleich zum klassischen Supermarkt.
Nach vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamts (Destatis) lag die Inflationsrate in Deutschland im August bei 7,9 Prozent. Im Juli waren es 7,5 Prozent. Die Preise für Nahrungsmittel erhöhten sich im Juli um 14,8 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Damit habe sich der Preisauftrieb den fünften Monat in Folge verstärkt, erklärte Destatis. Bei allen Nahrungsmittelgruppen habe es Preiserhöhungen gegeben. Erheblich teurer seien Speisefette und Speiseöle (plus 44 Prozent) geworden, außerdem Molkereiprodukte und Eier (plus 24 Prozent). Auch bei anderen Nahrungsmittelgruppen gebe es Teuerungsraten im zweistelligen Bereich, beispielsweise bei Fleisch und Fleischwaren (plus 18 Prozent).
„Preissenkungen hat uns noch keiner geschickt“
„Wir kriegen jede Woche neue Preiserhöhungen“, berichtet Rewe-Chef Souque. Der Zeitraum von September bis zum Januar sei „schon voll von Preiserhöhungen, die alle angekündigt sind“. Die Folgen für Verbraucherinnen und Verbraucher seien absehbar. „Die Inflation wird weitergehen“, sagt Souque. „Also, Preissenkungen hat uns noch keiner geschickt.“
Ein Großteil der Konsumindustrie benehme sich zwar verantwortungsvoll, sagt der Rewe-Chef. Oft seien die Preiserhöhungen nachvollziehbar. Aber es gebe auch „Trittbrettfahrer“. Das werde in den Verhandlungen, die Rewe mit den Lieferanten führe, sichtbar.
Große internationale Konzerne wie Nestlé, Danone, Procter & Gamble oder Coca-Cola prägen das Geschäft. Ohne Namen zu nennen, lässt Souque durchblicken, wie stark der Einfluss dieser Konzern-Multis auf die Preisentwicklung in Deutschland ist. An den Quartalsberichten vieler Weltkonzerne lasse sich ablesen, wie stark die Erträge und Dividenden im Vorjahresvergleich gestiegen seien. Es gebe „Top-Ergebnisse“.
Wenn Preiserhöhungen der Konzerne nicht nachvollziehbar seien, werde Rewe hart verhandeln, betont
Souque: „Da kämpfen wir brutal dagegen.“ Auffällig sei beispielsweise, dass Markenhersteller teilweise für identische Warengruppen unterschiedliche Preiserhöhungen angekündigt hätten. Es komme auch vor, dass Hersteller das Gewicht in einer Tüte reduzierten und gleichzeitig den Preis erhöhten.
„Viele kommen und sagen, ok, es gibt zehn Prozent Erhöhung“, sagt Souque. Die Erwartung sei dann, Rewe könne das doch an die Kunden weitergeben. „So einfach geht das nicht“, betont der Handelsmanager. „Wir haben erstmal auch Mehrkosten: Personal, Sachkosten, Mietkosten, Energiekosten.“ Theoretisch wäre also ein Preisaufschlag von zehn Prozent „plus nochmal unsere Kosten“ erforderlich. „Aber da die Kunden auch weniger Geld haben, ist es total unrealistisch, dass man das weitergibt.“
So oder so: Die Auswirkungen sind enorm, wenn die internationalen Konzerne an der Preisschraube drehen. „Oft ist es so, dass wir ungefähr die Hälfte oder drei Viertel akzeptieren müssen am Ende – und die Hälfte oder ein Viertel nicht akzeptieren“, konstatiert Souque.
„Es gibt keinen Artikel von Aldi, der günstiger ist als ,Ja‘“
Im Wettbewerb mit den Discountern will die Rewe-Gruppe, zu der auch der direkte Aldi- und Lidl-Konkurrent Penny gehört, mit einer konsequenten Preisstrategie punkten. Die sogenannten „Preiseinstiegsartikel“ der Rewe-Marke „Ja“ sollen denselben Preis haben wie die entsprechenden Aldi- oder Lidl-Produkte, sagt Souque. „Es gibt keinen Artikel von Aldi, der günstiger ist als ,Ja‘. Alle sind gleich. Wenn die runter gehen, gehen wir runter.“
Die steigenden Energiekosten machen indes auch Rewe schwer zu schaffen. Unternehmenschef Souque liefert ein Beispiel: Ein 1000-Quadratmeter-Supermarkt habe zuletzt im Schnitt Stromkosten von 80.000 Euro pro Jahr gehabt. In diesem Jahr seien es nun rund 140.000 Euro. „Manche werden ein Viertel, ein Drittel, die Hälfte ihres Ergebnisses nur in Energie verlieren. Ist schon viel“, sagt der Rewe-Chef mit Blick auf die Märkte seines Unternehmens.
Generell seien die Energiekosten schon „immer ein großes Thema“ für die Rewe-Gruppe gewesen. Bundesweit verbrauche das Unternehmen so viel Energie wie 750.000 Haushalte, unter anderem für die Kühlung der Ware sowie die Beleuchtung. Dabei sei Strom noch wichtiger als Erdgas. Für dieses Jahr habe Rewe noch Strom im Voraus eingekauft. Im kommenden Jahr dürften daher die Kosten nochmals deutlich steigen.
Rewe prüft niedrigere Temperatur für Tiefkühlwaren
Angesichts der Energiekrise prüfe sein Unternehmen, ob zusätzliche Einsparungen beim Stromverbrauch möglich seien. Weniger Beleuchtung sei eine Option, insbesondere zu Tageszeiten ohne Kundenbetrieb. Bewegungsmelder sollen helfen. Rewe überprüfe auch – in Abstimmung mit Experten der Qualitätssicherung und Betriebsräten – ob die Temperatur für Tiefkühlwaren leicht erhöht werden könnte, um Strom zu sparen – um zwei Grad womöglich. „Wir gucken überall“, sagt Souque. Es seien „viele kleine Lösungen, die helfen, überall zu sparen“.
Auch auf steigende Mietpreise und Personalkosten müsse sich sein Unternehmen einstellen, erklärt der Rewe-Chef. Häufig seien die Filialstandorte nicht im Eigentum von Rewe. Da die Miete oft von der Inflation abhängig sei, rechne er mit Erhöhungen. „Den Effekt haben wir noch nicht. Der kommt noch nächstes Jahr neu dazu.“
Mit Blick auf die Beschäftigten stünden Verhandlungen mit der Gewerkschaft Verdi an. „Das wird sicherlich sportlich“, sagt Souque. Der aktuell laufende Vertrag mit Verdi sei vor eineinhalb Jahren unterschrieben worden. „Bei uns sind die Personalkosten nicht wie in der Chemie- oder Pharmabranche“, merkt Souque an. Im Handel gehe es um einen „Riesenanteil“ in der Gesamtbilanz. „Deshalb sind die Effekte viel höher.“ Rund 380.000 Beschäftigte gehören Unternehmensangaben zufolge zur Rewe-Gruppe.
„Wenn es kein Sonnenblumenöl ist, ist es ein Rapsöl“
Gravierende Lieferengpässe als Folge des Ukraine-Kriegs seien nicht zu erwarten, sagt Souque. Niemand müsse sich in Deutschland Sorgen machen, im Supermarkt nicht genug zum Einkaufen zu haben. „Das wird nicht passieren“, sagt der Rewe-Chef. Möglich sei aber, vielleicht auch etwas häufiger, dass „in einzelnen Märkten, an einzelnen Tagen in der Woche einzelne Artikel fehlen“. Oft gebe es dann aber eine Alternative, von einer anderen Marke etwa, „und wenn es kein Sonnenblumenöl ist, ist es ein Rapsöl“.
Der Klopapier-Engpass in der Corona-Krise habe insbesondere damit zu tun gehabt, dass die Ware, weil sie viel Platz einnehme, normalerweise nur mit einem Bestand für ein oder zwei Wochen im Supermarkt sei. „Fast nur in Deutschland war Klopapier ein Problem“, erinnert sich Souque.
Papier ist auch an anderer Stelle ein Thema für Rewe. Als erster großer Lebensmitteleinzelhändler in Deutschland will Rewe die Angebotsprospekte nicht mehr auf Papier veröffentlichen. Der gedruckte Handzettel solle „bis Sommer 2023“ eingestellt werden, kündigt Rewe an. Ab sofort könnten sich Kundinnen und Kunden den Handzettel aufs Handy schicken lassen – jeden Sonntag per WhatsApp.