Essen. Stadtwerke müssen Zwei-Klassen-Gesellschaft in der Grundversorgung für Strom und Gas beenden. Für Bestandskunden steigen wohl die Preise.

Vergleichsweise teure Strom- und Gasverträge für Neukunden, gleichzeitig Schutz der Bestandskunden – von dieser Strategie müssen sich viele Stadtwerke verabschieden. Das hat Folgen für die Preisfindung, erklärt die Verbraucherzentrale NRW. Auch für Bestandskunden dürften die Energiekosten steigen.

Ende vergangenen Jahres hatten einige Stadtwerke nach dem Lieferstopp von Energiediscountern zusätzliche Grundversorgungstarife verkündet, bei denen Neukunden deutlich draufzahlen mussten. Auch einige kommunale Versorger im Ruhrgebiet – in Bochum, Dortmund, Duisburg und Essen beispielsweise – hatten Neukundentarife eingeführt. Das soll sich bald ändern.

„Wir bereiten einen Grundversorgungstarif vor, bei dem es keine Unterscheidung mehr gibt zwischen Neu- und Bestandskunden“, kündigte der Essener Stadtwerke-Vorstand Lars Martin Klieve im Gespräch mit unserer Redaktion an. „Entsprechende Vorgaben hat der Gesetzgeber auf den Weg gebracht. Daran halten wir uns natürlich und berücksichtigen dann die aktuelle Preissituation an den Großhandelsmärkten.“

Die Änderungen im Energiewirtschaftsgesetz treten nach Darstellung der Verbraucherzentrale NRW einen Tag nach Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt in Kraft. „Es könnte theoretisch täglich kommen“, erklärt Udo Sieverding, der Energieexperte der Verbraucherzentrale. „Insofern greift die neue Praxis einiger Stadtwerke lediglich der gesetzlichen Regelung voraus.“ In der Branche wird erwartet, dass die neuen Vorgaben ab November oder Dezember gelten sollten.

Vielerorts schon neue Tarife

Nach Angaben der Verbraucherzentrale NRW hat die Gelsenwasser-Tochter Erenja bereits im Juli ihre Tarife vereinheitlicht. Die Stadtwerke in Herne, Osnabrück und Bielefeld würden im August tätig. Auch die Dortmunder Stadtwerken (DEW21) wollen schon in wenigen Tagen die Neu- und Bestandskundentarife wieder zusammenlegen. Danach soll der Verbrauchspreis für Erdgas bei rund 14,83 Cent pro Kilowattstunde (kWh) liegen. Hinzu kommt ein Grundpreis von knapp 204 Euro pro Jahr. Für die betroffenen Kunden könne dies sowohl eine Erhöhung oder Senkung der Preise bringen, erklärten die Stadtwerke.

Zum Vergleich: Vor einem Jahr lag der Gaspreis bei den Essener Stadtwerken für Neukunden bei sechs Cent pro Kilowattstunde. Mittlerweile müssen Neukunden 15,83 Cent bezahlen, Bestandskunden noch rund sieben Cent.

Generell werde sich für langjährige Stadtwerkekunden der Energieverbrauch verteuern, sagt Udo Sieverding von der Verbraucherzentrale NRW. „Die Neukundentarife dürften deutlich sinken – und die Bestandskundentarife steigen. Allerdings wird schwer zu unterscheiden sein, ob die Bestandskundentarife ohnehin durch die Großhandelspreise steigen oder durch die Aufnahme von Neukunden.“

Bei den Stadtwerken Duisburg wird betont, Neu- und Bestandskunden würden derzeit noch bewusst unterschiedlich behandelt. „Wir müssen unsere Kunden schützen“, sagte Duisburgs Stadtwerke-Chef Marcus Wittig zu Jahresbeginn, nachdem der Energiemarkt durch plötzliche Lieferstopps von Energiediscountern in Turbulenzen geraten war. „Unsere Bestandskunden dürfen nicht bestraft werden. Sie dürfen nicht das Risiko für die Discount-Anbieter tragen, bei denen sich die Geschäftsmodelle jetzt als nicht tragfähig erweisen“, betonte der Stadtwerke-Chef.

„Uns erreichen täglich Preiserhöhungen von Discountern“

Kurz vor Weihnachten hatte der Energie-Discounter Stromio seine Lieferungen an eine Vielzahl von Verbrauchern unter Verweis auf eine „Preisexplosion an den europäischen Energiehandelsplätzen“ eingestellt. Grundversorger – meist Stadtwerke – mussten danach Kundinnen und Kunden übernehmen. Die höheren Neukundentarife begründeten die Stadtwerke damit, dass sie Energie zu hohen Großhandelspreisen zukaufen mussten.

„Durch die Discounter-Kündigungswelle sind im vergangenen Winter mehr als eine Million Strom- und Gaskunden aus ihren Tarifen geflogen“, berichtet Sieverding. Die Lage sei weiterhin angespannt. „Jetzt erreichen uns täglich Preiserhöhungen von Discountern, die so drastisch sind, dass dies als Ausladung und Abschiedsbrief verstanden werden muss.“ Auf dem Energiemarkt gebe es derzeit aber kaum Alternativen. Daher laute derzeit in vielen Fällen die Empfehlung der Verbraucherzentrale, dass die Betroffenen die Ersatz- beziehungsweise Grundversorgung nutzen sollten. „Das ist derzeit vielfach der günstigste Tarif – genau genommen der am wenigsten teure Tarif.“

Verbraucherzentrale kritisierte „krasse Benachteiligung der Neukunden“

Die Verbraucherzentrale NRW hielt die Schaffung von Neukundentarifen für nicht rechtens und ist teils juristisch dagegen vorgegangen. „Die Splittung war nicht nur eine krasse Benachteiligung der Neukunden, sondern auch ein falsches Signal für den Energiemarkt, da sie im Charakter einer Bestrafung entsprach“, sagt Sieverding. Mit der Neuregelung gebe es nun Klarheit. Daher werde die Verbraucherzentrale ihre Klagen nicht weiter verfolgen.

Wichtig zu wissen sei, dass die Stadtwerke künftig zwischen Ersatz- und Grundversorgung unterscheiden könnten, erklärt Sieverding. Bei einem Lieferausfall eines bisherigen Anbieters sei eine dreimonatige Ersatzversorgung die Regel. „In diesen drei Monaten können die Stadtwerke deutlich höhere Tarife verlangen. Wir hätten es besser gefunden, wenn Betroffene direkt in die Grundversorgung aufgenommen würden, statt drei Monate in einer deutlich teureren Ersatzversorgung geparkt zu werden.“ Bei einem Umzug und bei Kündigung eines Altvertrags durch die Verbraucher – ohne Abschluss eines neuen Sondervertrags – würde indes automatisch ein Vertragsverhältnis in der Grundversorgung entstehen.