Mülheim. Es ist eine Alternative zum üblichen Blumenladen: Landwirte setzen auf Selbstbedienungs-Blumenfelder. So auch Familie Schulten-Baumer in Mülheim.
Zwei rote Oldtimer-Trecker stehen als Blick- und Kundenfang für das bunte „Selbst schneiden“-Blumenfeld an der vielbefahrenen Zeppelinstraße in Mülheim – wenn die beiden Oldies nicht im Arbeitseinsatz sind. Denn zu tun gibt es für Landwirt Frederik Schulten-Baumer und seine Familie auf der kleinen Fläche immer mehr, und dort sind die schmalen Trecker besonders geeignet. Von Narzissen im März bis Nordmanntannen zu Nikolaus reicht inzwischen das Geschäftsfeld von Familie Schulten-Baumer. Wenn das Wetter mitspielt, wird zu den Ostertagen die erste Ernte im Verkauf eingefahren.
Selbstschneide-Blumen liegen erkennbar im Trend. Blumen sind gewissermaßen die neuen Erdbeeren. Gelbe Schilder mit roter Schrift weisen den Weg – nicht nur in Mülheim, sondern auch andernorts in Deutschland: Der Betrieb Blumen Bär aus dem baden-württembergischen Bad Krozingen hat laut „Bauernzeitung“ vor 30 Jahren in Deutschland das erste Selbstbedienungs-Blumenfeld angelegt. Der Pionier beliefert heute nicht nur Schulten-Baumer mit Saatgut, Zwiebeln, Know-how und den markanten Werbetafeln, sondern über 600 weitere Betriebe unterschiedlicher Größe. Insgesamt sollen es in Deutschland mehr als 900 sein.
„Der reine Ackerbau bringt zu wenig“, stellt Frederik Schulten-Baumer (38) nüchtern fest, da hilft auch der durch den Krieg in der Ukraine stark gestiegene Weizen-Preis nur bedingt angesichts eines gleichzeitig verdreifachten Düngemittelpreises, um nur eine Kostensteigerung für den Landwirt zu nennen. „Blumen sind eine Nische für Landwirte, die immer größer wird“ – und die guten alten Selbstpflücker-Erdbeeren dagegen gehen nur drei bis vier Wochen im Jahr.
Auch Gurken und Zucchini im Angebot
Neu an der Mülheimer Zeppelinstraße im Angebot seit 2021: Gurken und Zucchini. In Zukunft sollen mehr Nahrungsmittel – nicht nur Kartoffeln – dazukommen, und Mietgärten zum Selbstanbau, ebenfalls ein Trend, der die Landwirts-Nische zum Erwerbszweig ausweitet.
Im Jahr 2016 hat Schulten-Baumer als Experiment mit den ersten einfachen „Blühern“ angefangen. „Mehr Spaziergänger durch Corona“, haben jetzt den Umsatz erhöht, sagt Charlotte Schulten-Baumer. Die 30-Jährige stammt aus der Pfalz, dort sei „Blumen to go“ länger ein Thema als hier. Das Ehepaar profitiert
auch von der verkehrsgünstigen wie einladenden Lage auf dem malerischen Ruhrhöhenzug in der Nähe des Flughafens Essen/Mülheim. „Vorne muss was Buntes stehen, um Kunden anzulocken“, sagt der Landwirt. Seine Preise liegen auf dem Niveau des Blumengroßhandels, so Frederik Schulten-Baumer, seine Qualität und naturgemäß auch die Frische seien aber viel höher als beim Discounter.
Knapp 100 Hektar Ackerland („Für norddeutsche Verhältnisse etwa eher klein“) umfasst der alteingesessene, bereits im Mittelalter erwähnte Hof. Doch für die im vergangenen Jahr um einen zweiten Standort auf 1,1 Hektar erweiterte Blumenfläche ist der Arbeitsanteil „bald halbe-halbe“, so der 38-Jährige. „Fast täglich auf den Knien unterwegs“ sei er dabei – Personal sei schwer zu finden, auch wegen der Knochenarbeit.
Ein langjähriger Angestellter arbeitet auf dem Hof mit. Gerade hat die Familie inklusive seiner Eltern und einer Tante 2000 Bartnelken per Hand unter die Erde gebracht, ein neuer Verkaufsschlager, der frisch gepflanzt für Laien wie besseres Unkraut ausschaut. Beständig ist auch auf dem Blumenfeld nur der Wandel. Die schwierigen Lilien erleben gerade ihren letzten Frühling.
Narzissen, Gladiolen oder Sonnenblumen
Irgendwas ist immer: letztes Jahr zu nass, die Jahre davor zu trocken. Die Narzissen waren diesmal früh, Gladiolen wurden gerade gesetzt, teils unter wärmenden „Verfrühungsvlies“. Tulpenzwiebeln lagert man warm oder kühl, um die Pflanze über das wahre Wetter zu täuschen und so den Blühzeitraum auseinanderzuziehen. Unter Folie werden die Stiele länger, weil die Tulpe sich nach dem Licht streckt. Schmückende Sonnenblumen sind gezüchtete Hybride und eignen sich nicht für die Ölproduktion, die Ausfälle in der Ukraine können hier nicht kompensiert werden, sagt der diplomierte Agraringenieur.
Und was haben die neuen, fünf Meter hohen Stangen auf dem Feld mit Botanik zu tun? Hier haben sich
wie geplant Greifvögel niedergelassen und bedienen sich am wachsenden Angebot der Wühlmäuse, die unterirdisch Blumen schneiden. Ihre Gänge wie üblich vergiften will Frederik nicht, auch wenn das Gas dafür unschädlich sein soll.
Schädlicher sind für den Blumenwirt alle, die oberirdisch nichts fürs Selbstschneiden bezahlen wollen. Das Unternehmen Blumen Bär beziffert den Prozentsatz der Ehrlichen mit 80 Prozent. Es hänge stark von dem Gefühl der Kontrolle bei den Selbstschneidern ab. Kameras wären gut, manchmal auch einfach große Bilder von Augen.
In der Gelddose von Schulten-Baumer fänden sich immer wieder Einkaufswagenchips, Kupfermünzen, sogar alte Pfennigstücke, aber wenigstens die neue Zahlungsmöglichkeit per Paypal werde gut angenommen. Den zwischenzeitlichen Nebeneingang zu den Narzissen hat er als beliebten Fluchtweg wieder geschlossen, das Gelände ist umzäunt. Und am Wochenende ist jetzt immer ein Mitarbeiter anwesend, was der Zahlungsmoral guttut. Jeder erwischte Dieb werde zur Anzeige gebracht, sagt Schulten-Baumer. Und zur Verfolgung stehen ja noch die beiden roten Trecker startbereit.