Südwestfalen. Studienergebnis: Haupt- und Realschüler haben in NRW weniger Chancen Ausbildungsplätze zu bekommen. Doch in Südwestfalen sieht das anders aus.
Mit Real- oder Hauptschulabschluss wird es in NRW zunehmend schwerer, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Das ist eines der zentralen Ergebnisse einer Studie des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung. Doch gilt auch in Südwestfalen das Abitur als einzig sichere Zukunftschance?
Mehr als in den Ballungszentren etwa im Rheinland und Ruhrgebiet sind Arbeitgeber hier auch auf junge Menschen ohne allgemeine Hochschulreife angewiesen – und darauf, sie langfristig zu halten.
Ein Praktikum zahlt sich aus
Unsicher sei Kevin Schmidt in sein Vorstellungsgespräch gegangen: „Weil ich eben das Fachabi nicht hatte, das viele andere haben.“ Bei der Speditionsfirma Alfons Brass Logistik am Standort Medebach bewarb er sich auf einen Ausbildungsplatz zum Kaufmann für Speditions- und Logistikleistung. „Die Sorge wurde mir aber schnell genommen“, sagt er. Dass er bereits ein Praktikum in dem Betrieb vorweisen konnte, sei unter anderem ein klarer Pluspunkt gewesen, der zu seiner Einstellung führte.
Anders als im Sauerland sieht es laut Studie in weiten Teilen Nordrhein-Westfalens aus. Weniger als die Hälfte der Jugendlichen mit höchstens mittlerer Reife finden einen qualifizierenden Ausbildungsplatz. Die Studie spricht von einem „Nadelöhr für Jugendliche ohne Abitur“: Die Anzahl der dualen Ausbildungsplätze hat sich landesweit verringert. Gleichzeitig schließen deutlich mehr Jugendliche die Schule mit einer Studienberechtigung ab – und das Abitur wird zunehmend zur Eintrittsvoraussetzung für eine duale Ausbildung.
Studienautor Dieter Dohmen sagt: „Unsere Daten gelten landesweit, natürlich gibt es regionale Unterschiede.“ Die Situation in ländlichen Räumen des Sauer- und Siegerlandes stelle sich in Teilen völlig anders dar. Das belegen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Während im Ruhrgebiet nur 0,83 Ausbildungsstellen auf einen Bewerber kommen, sind es in Südwestfalen 1,42 Stellen, in Siegen sogar 1,67. Seit gut zwei Jahren ließe sich dieser Stellenüberhang in der Region beobachten: „Damit sind wir auffällig in NRW“, sagt Nina Appel, Sprecherin der Arbeitsagentur Siegen.
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So machte auch Louisa Schlömer gute Erfahrungen bei der Brass-Gruppe in Medebach: Nach ihrem Realschulabschluss ging sie auf ein Berufliches Gymnasium, brach jedoch vorzeitig ab, mit weniger guten Noten. Mit einer Ausbildung klappte es trotzdem: Ihre schulische Qualifikation habe nicht die größte Rolle gespielt. Entscheidender war ihre Motivation: „Ich wurde von Anfang an supergut aufgenommen“, sagt die heute ausgelernte Kauffrau für Speditions- und Logistikleistung. Ihren Abschluss konnte sie auf zweieinhalb Jahre vorziehen – mit Bestnoten an ihrem Standort: „Das war ein super Gefühl.“
Gute Erfahrungen mit Azubis ohne Abitur
Brass-Personalleiter Adrian Grimm kennt viele solcher Beispiele. „Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht mit Auszubildenden, die ohne Abitur hier aufgeschlagen sind.“ Die Übernahme-Chance liege bei weit über 90 Prozent. Für Bewerber mit Hauptschulabschluss böten sich ebenfalls genug Möglichkeiten: Berufskraftfahrer oder Fachlageristen seien sehr gefragt. „Wenn wir nur noch Studenten haben, ist irgendwann niemand mehr da, der die Waren belädt, den Lkw fährt und die Grundversorgung sicherstellt“, sagt Grimm.
Ein Wandel, der sich auch in anderen Branchen bemerkbar macht. „Viele Bewerbungen von jungen Leuten mit Realschulabschluss haben wir tatsächlich nicht mehr“, bestätigt Anke Heiken, Ausbildungsleiterin der Sparkasse Siegen. „Ich glaube, dass das Stimmungsbild ist: Ohne Abitur werde ich eh nicht genommen.“ Das Gegenteil sei der Fall: „Wir suchen gute Realschüler, weil wir davon ausgehen, dass die dann auch bei uns im Hause bleiben und unsere Weiterbildungsmöglichkeiten nutzen.“ Ein guter Realschulabschluss müsse es jedoch schon sein, sagt Heiken. Bewerber mit Hauptschulabschluss hätten sie auch – sie scheiterten allerdings häufig am Einstellungstest.
Projekt zur Berufsorientierung hilft
„Insgesamt wird in der Region viel getan, um gerade auch junge Menschen mit klassischem Real- oder auch Hauptschulabschluss für sich zu begeistern“, sagt Nina Appel von der Arbeitsagentur Siegen. Eine wichtige Rolle spielt die Vernetzung zwischen Schulen, Eltern und lokalen Betrieben – sagt auch Studienautor Dohmen: „Es braucht Formen der Unterstützung von Jugendlichen, die sich im Übergang von der Schule zur Ausbildung befinden und bessere, zielgenauere Unterstützung für Unternehmen.“
Das Logistikunternehmen Brass geht mit gutem Beispiel voran: Mit der Medebacher Maschinenbaufirma Paul Köster und dem Hallenberger Felgenhersteller Borbet nimmt sie an einem Projekt zur Berufsorientierung (ProBe) teil, das Acht- und Neuntklässlern der Sekundarschule ein Hereinschnuppern in acht verschiedene Berufsfelder bietet. Bereits seit 2010 wird das Projekt von der Hans-Viessmann-Schule mit der Verbundschule Medebach-Hallenberg umgesetzt und vom Sozialwerk Hochsauerland gGmbH und der Kusch-Stiftung e.V. unterstützt.