Düsseldorf. Rheinmetall rechnet mit Rekordaufträgen aus aller Welt und braucht Tausende neue Mitarbeiter. Die Ertüchtigung der Bundeswehr dauere zehn Jahre.

Vieles, was dieser Tage an Bildern und Nachrichten über den Bildschirm in die Wohnzimmer und Köpfe gesendet wird, war vor einem Monat noch unvorstellbar. Das vergisst auch Armin Papperger nicht zu betonen, bevor der Chef des Rüstungskonzerns Rheinmetall den Rekordgewinn für 2021 vorstellt, der schon bald Makulatur sein wird. Denn Deutschlands größter Rüstungskonzern wird seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine von Aufträgen für Munition, Panzer und andere Militärfahrzeuge überrannt. Das größte Problem der Düsseldorfer ist nun, die Wünsche der Bundeswehr und von Armeen aus aller Welt zu erfüllen, bevor dieses Jahrzehnt um ist.

Rheinmetall sieht „Exekutionsrisiko“ für Rüstungsaufträge

Von „Exekutionsrisiko“ spricht Papperger in diesem Zusammenhang. Dass er es gerne eingeht, daraus macht der Rheinmetall-Chef allerdings keinen Hehl. „Eine weise Entscheidung des Bundeskanzlers“ nennt er den von Olaf Scholz (SPD) im Schnellverfahren aufgelegten Sonderfonds zur Ertüchtigung der Bundeswehr von 100 Milliarden Euro. Das heimische Militär ist der größte Kunde der Düsseldorfer, doch seit Kriegsbeginn kommen auch täglich neue Anfragen aus anderen EU-Staaten, besonders aus Osteuropa.

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Die bereits erteilten Militär-Aufträge türmen sich auf den Rekordbestand von knapp 14 Milliarden Euro, die avisierten Bestellungen lassen sich noch nicht beziffern. Aber Gigantisches erahnen: Macht die Bundesregierung ernst und investiert künftig wie von der Nato seit vielen Jahren gewünscht, mindestens zwei Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) in die Verteidigung, müsste der Wehretat von aktuell 47 auf jährlich 70 bis 80 Milliarden Euro steigen. Jeder vierte Euro davon wird an den Rhein fließen, erwartet der Düsseldorfer MDax-Konzern.

Zehntausende bewerben sich beim Rüstungskonzern

Für ein Unternehmen, das im vergangenen Jahr mit Rüstungs- und Autozulieferer-Gütern insgesamt „nur“ 5,66 Milliarden Euro umgesetzt hat, bedeutet das volle Auslastung auf viele Jahre. Und den Auftrag, sehr schnell wachsen zu müssen. Bis zu 3000 zusätzliche Beschäftigte will Papperger weltweit neu einstellen, die Hälfte davon in Deutschland. Der Großteil, erklärt Papperger auf Nachfrage, soll bereits bis zum Jahresende die Rheinmetall-Fabriken verstärken. Da trifft es sich gut, dass Zehntausende junge Menschen derzeit tatsächlich ihre Zukunft im Rüstungsgeschäft sehen. Rheinmetall habe bereits 2021 allein in Deutschland 64.000 Initiativbewerbungen erhalten.

Rheinmetall-Chef Armin Papperger erwartet Rekordaufträge für den Rüstungskonzern.
Rheinmetall-Chef Armin Papperger erwartet Rekordaufträge für den Rüstungskonzern. © dpa | Marius Becker

Was ebenfalls hilft, ist das große Erbe des kalten Krieges: Rheinmetall hat in Deutschland, Europa und Nordamerika viele überdimensionierte Werke aus den 70er-und 80er Jahren, die schon lange nicht mehr ausgelastet sind. Oft werden im Ein-Schicht-Betrieb Panzer, Waffenträger, Militär-Lkw und Munition gefertigt. Mit zusätzlichem Personal könnte die Produktion schnell auf drei Schichten hochgefahren werden. Wenn, und das scheint aktuell die größte Bremse auch für die Rüstungsindustrie, genügend Stahl, Titan, Keramik, Elektronikteile und anderes Rohmaterial verfügbar wäre.

Rheinmetall stellt Zehn-Jahres-Plan für Bundeswehr auf

Klar ist: Die Bundeswehr lässt sich nicht über Nacht ertüchtigen. Vielmehr hat Rheinmetall eine Art Zehn-Jahres-Plan aufgestellt, um die benötigte Munition, Trucks und Panzer liefern zu können. Ein neuer Puma-Panzer würde zwei Jahre auf sich warten lassen, Waffen tragende Panzerfahrzeuge ein bis anderthalb Jahre. Um die erwarteten Stückzahlen bauen zu können, veranschlagt Rheinmetall jeweils sechs bis sieben Jahre. Neu bestellte Munition kommt nach frühestens sechs Monaten, also in diesem Herbst. So lange müsse das Pulver für neue Patronen und Sprengkörper „reifen“. Die erwarteten Munitionsaufträge werden Rheinmetall zehn Jahre lang beschäftigen, so die Prognose. Denn sowohl die Bestände der Bundeswehr als auch die Rheinmetall-Lager seien ziemlich leer.

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Neue Werke braucht das Unternehmen dafür nicht, betont das Management. Bereits eingerechnet ist die neue Panzerfabrik in Ungarn, die in Kürze eröffnet werden soll. Gebaut wird dort der neue Schützenpanzer Lynx. Allein Australien will 400 Stück bestellen und dafür vier Milliarden Euro ausgeben, die Slowakei will Lynx-Panzer für 1,5 Milliarden Euro kaufen, die Entscheidungen werden in diesem Jahr erwartet. Papperger betont, dass aktuell nur zehn der 29 Nato-Staaten das zwei-Prozent-Ziel erfüllen, neben Deutschland hätten auch Frankreich, Polen, Rumänien, Italien und Lettland angekündigt, nun mehr in ihre Armeen investieren zu wollen. Das könnte Rheinmetall und seinen weltweit mehr als 25.000 Beschäftigten weitere „Exekutionsrisiken“ bescheren.

Obwohl die meisten Neuaufträge in diesem Jahr noch nicht erfüllt werden können, hat Rheinmetall seine Prognose für das Umsatzwachstum von zehn auf bis zu 20 Prozent verdoppelt – allein wegen der neuen Bundeswehr-Bestellungen. Nach dem bereits vor drei Wochen durchgesickerten operativen Rekordgewinn von 594 Millionen Euro rechnet der Konzern für dieses Jahr mit einem noch nicht bezifferten neuen Höchstwert.