Essen. Welches Verhältnis hatte der Essener Industrielle Alfried Krupp zum NS-Regime? Ein Historiker forscht dazu im Auftrag der Krupp-Stiftung.

An Material, das zu sichten wäre, mangelt es nicht. Allein in Essen lagern rund 1000 Akten aus dem Privatsekretariat des Industriellen Alfried Krupp von Bohlen und Halbach – umgerechnet etwa 33 laufende Regalmeter, wie es Ralf Stremmel, der Leiter des Krupp-Archivs, in der Sprache der Historiker formuliert. Dokumente in anderen bedeutenden Archiven, in Washington oder London etwa, kommen hinzu. Es ist also durchaus eine beachtliche Aufgabe, die auf den Marburger Geschichtsprofessor Eckart Conze zukommt, der sich vorgenommen hat, im Auftrag der Essener Krupp-Stiftung das Verhältnis des Industriellen zum Nationalsozialismus neu zu beleuchten.

Überraschend hatte Stiftungschefin Ursula Gather Ende Oktober vergangenen Jahres den Anstoß gegeben, das Handeln des Essener Unternehmers in der NS-Zeit eingehend zu betrachten. Alfried Krupp habe „ohne Zweifel Schuld auf sich geladen, über die keineswegs schon alles gesagt und geschrieben“ sei, sagte sie zur Begründung. Bei einer Pressekonferenz in der Villa Hügel stellte Gather am Donnerstag Einzelheiten zu einem zunächst auf neun Monate angelegten Rechercheprojekt vor, das den Titel „Alfried Krupp und der Nationalsozialismus“ trägt.

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Das unternehmerische Handeln Alfried Krupps während der Herrschaft des NS-Regimes sei zwar im Kontext des Nürnberger Krupp-Prozesses und in späteren wissenschaftlichen Studien bereits thematisiert worden, eine umfassende Untersuchung seines Verhältnisses zum Nationalsozialismus gebe es bislang jedoch nicht, wird von der Stiftung betont. Das gelte insbesondere für die Zeit nach seiner Begnadigung 1951. Das Forschungsprojekt, das die Krupp-Stiftung mit 90.000 Euro finanziert, soll nun Erkenntnislücken füllen. „Was können wir wissen? Was müssen wir vielleicht wissen?“ Diese Fragen gelte es mit Blick auf Alfried Krupp neu zu stellen, sagt Stiftungsvorstand Volker Troche.

Eckart Conze, der das Projekt leitet, ist ein erfahrener Historiker. Im Jahr 2005 wurde er vom damaligen Bundesaußenminister Joschka Fischer in die Historikerkommission des Auswärtigen Amtes berufen, die den Auftrag hatte, die Geschichte des Ministeriums im Nationalsozialismus und den Umgang damit nach 1945 zu untersuchen. Auch die Recherchen zu Alfried Krupp, der im Jahr 1907 geboren wurde und 1967 starb, sollen nicht nur die unmittelbare Zeit des NS-Regimes umfassen, sondern auch die Nachkriegsjahre und das Geschehen in der Weimarer Republik.

Alfried Krupp schon vor Kriegsbeginn „förderndes Mitglied“ der SS

Conze sieht in dem Vorhaben eine Chance, ein präziseres Bild von Alfried Krupp zu gewinnen und zugleich einen zeithistorischen Forschungsbeitrag zu leisten. Aufhorchen lasse ihn, dass Krupp bereits im Jahr 1931 ein sogenanntes „förderndes Mitglied“ der Nazi-Organisation SS geworden sei. Das werfe Fragen auf, sagt Conze bei der Pressekonferenz in der Villa Hügel. Warum habe Krupp diesen Schritt getan? Sei er möglicherweise in bestimmte Netzwerke eingebunden gewesen? Das Thema Alfried Krupp und die NS-Zeit spielt in der existierenden Krupp-Literatur zwar durchaus eine wichtige Rolle, doch sei der eigentlich altbekannte Fakt der SS-Fördermitgliedschaft dort stets nur kurz abgehandelt worden.

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In den kommenden neun Monaten soll es vornehmlich um die Recherche gehen, so Conze. So umfasst das Projekt erst einmal die Identifizierung, Sichtung und Analyse verfügbarer Quellen zu Alfried Krupp und seiner Haltung zum Nationalsozialismus seit den 1920er Jahren. Denkbar sei, dass auf dieser Basis später eine „umfassende Biografie“ Alfried Krupps entstehen könnte. Ein solches Werk existiert noch nicht.

Der Historiker Golo Mann hatte in den 70er-Jahren zu Lebzeiten des langjährigen Stiftungschefs Berthold Beitz den Versuch unternommen, eine Krupp-Biografie zu schreiben. Das Projekt kam allerdings nicht zu einem Abschluss. Ein unfertiges Manuskript befindet sich im Essener Krupp-Archiv. Auf Nachfrage zeigte sich die Krupp-Stiftung grundsätzlich offen, den Text zu veröffentlichen. Es müssten aber unter anderem urheberrechtliche Fragen geklärt werden, betont Archiv-Leiter Stremmel. Tagebücher oder Memoiren von Alfried Krupp, die Rückschlüsse auf die Gedankenwelt des verschlossenen Unternehmers zuließen, existieren nach Angaben der Stiftung nicht.

„Umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung“ als Ziel

Ziel des Projekts ist nach Darstellung der Stiftung eine differenzierte Betrachtung der Person Alfried Krupps und seines Verhältnisses zum Nationalsozialismus. Dabei gehe es um eine „umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung“ der Thematik.

Bekannt ist, dass die Firma Krupp Zwangsarbeiter beschäftigt hat, auch jüdische. In den Nürnberger Prozessen wurde Alfried Krupp als Kriegsverbrecher verurteilt. Bereits im April 1945 war Alfried Krupp auf dem Gelände der Villa Hügel festgenommen worden. Bis Anfang 1951 blieb er in Haft.

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„Die Stiftung führt den Namen von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach. Daraus resultiert auch eine Verantwortung, sich mit der Biografie unseres Stifters zu befassen“, betont Stiftungschef Gather. Daher betrachte die Stiftung die Vergangenheit nun bewusst erneut – aus dem Blickwinkel aktueller Fragestellungen und neuer Forschungsperspektiven.

Conze sieht in dem Projekt auch die Chance, aus dem historischen Kontext Erkenntnisse für aktuelle Themen wie die Bedrohung der Demokratie, Hass und Hetze zu erlangen. „Das sind Themen, die omnipräsent sind“, sagt er.