Hagen. Rund 300 Firmen aus Südwestfalen exportieren Waren nach Russland. Wie lange das Geschäft weiter geht, wissen selbst Experten nicht.

Der Sanktionskatalog des Westens ist noch nicht genau bekannt. Aber bereits jetzt dürfte klar sein, dass die Entwicklungen in der Ukraine sich bei uns deutlich bemerkbar machen werden. Mit der Ankündigung des Bundeskanzlers, die Gaspipeline Nordstream 2 von Russland nach Deutschland mindestens vorerst auf Eis zu legen, reagierten die Märkte bereits.

Die Handelsbeziehungen des Westens mit Russland haben spätestens seit 2014 deutlich gelitten. Auf die Annexion der Krim durch Russland folgten bereits Wirtschaftssanktionen des Westens. Dennoch gibt es aktuell in Südwestfalen immer noch viele Unternehmen, die nach wie vor gute Geschäftskontakte nach Russland pflegen und auch in der Ukraine aktive sind.

Nach Angaben der Industrie und Handelskammern in Arnsberg, Siegen und Hagen exportieren rund 300 Firmen aus Südwestfalen regelmäßig nach Russland, deutlich weniger dagegen in die Ukraine.

China ersetzt zunehmend den Westen

Einige, wie etwa die Dortmunder Wilo-Gruppe, Weltmarktführer für Pumpen, betreiben sogar Produktionsstandorte hier wie dort. Der Wilo-Vorstandsvorsitzende Oliver Hermes äußert sich in seiner Funktion als Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft am Dienstag kritisch: „Wir verurteilen die gestrigen Entscheidungen der russischen Regierung. “

Hermes fordert Russland im Namen der deutschen Wirtschaft auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, nicht allein wegen potenzieller Geschäfte. Ebenso appelliert der Wirtschaftsvertreter an die Bundesregierung und die Europäische Union, „die Türen zum Dialog nicht endgültig zuzuschlagen“.

Es gehe nicht zuletzt um die Menschen in der Region, auch um das Wohlergehen der 350.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei deutschen Unternehmen in der Ukraine und Russland. Die Beschäftigtenzahlen schwanken hier etwas. Aber auch die Bundesbank gibt die Zahl mit immerhin noch 277.000 an.

Ukraine entwickelte sich zum attraktiven Produktionsstandort

In jedem Fall hat sich die Ukraine in den vergangenen Jahren als interessanter Standort für heimische Unternehmen entwickelt. Hier locken günstige Produktionskosten und es gibt gute Fachkräfte, etwa im IT-Bereich. Der Automobilzulieferer Kostal aus Lüdenscheid etwa hat gleich zwei Produktionsstandorte in oder nahe bei Kiew und dazu einen Standort für Forschung und Entwicklung dort.

Noch ist Deutschland der zweitgrößte Handelspartner Russlands – nach China. Frank Herrmann, Außenhandelsexperte der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer, hält Russland nach wie vor für einen attraktiven Markt. Vergangenes Jahr führte die Kammer noch eine virtuelle Russlandreise für Unternehmen rund um Gebäudetechnik durch. „Hier gibt es einen hochwertigen Markt in Russland, wo insbesondere in Moskau viel gebaut wird“, weiß Herrmann – und Leuchten oder Armaturen aus Südwestfalen gefragte Produkte seien. Inzwischen erobern die Chinesen das Feld. Ähnlich wie sie es im Iran geschafft hätten, nachdem der Westen Wirtschaftssanktionen ausgerufen habe, so Herrmann.

Ausschluss vom internationalen Zahlungsverkehr wäre das große Sanktionsbesteck

Eine der härtesten Einschränkungen dieser Tage wäre der Ausschluss Russlands vom Zahlungssystem SWIFT. „Importe und Exporte sind dann zwar immer noch möglich, aber mit deutlich mehr Aufwand und Kosten“, sagt Klaus Gräbener, Chef der Industrie- und Handelskammer Siegen: „Ein solcher Ausschluss wäre schon das große Besteck bei den Sanktionen.“

Eine Folge der Krise, die die komplette Wirtschaft betreffen wird, sind steigende Energiekosten. Bereits heute sehen hier nahezu Dreiviertel der Unternehmen im Bezirk der IHK Siegen die größte Belastung. „Das ist besorgniserregend“, sagt Gräbener – und zwar auch für Privathaushalte.

Russland drohte am Dienstag bereits, die Gaspreise deutlich anheben zu wollen. „Willkommen in der schönen neuen Welt, in der die Europäer sehr bald 2000 Euro für 1000 Kubikmeter Erdgas bezahlen werden“, drohte Dmitri Medwedew, Vizechef des Nationalen Sicherheitsrates in Russland, auf Twitter. Damit würde sich der ohnehin hohe Gaspreis angesichts ungefähr um den Faktor 2,5 erhöhen.

Die Gaspreise und Nordstream2

Fachleute und die Politik erwarten wegen des Stopps für Nordstream 2 vorerst keine Engpässe. „Wir benötigen diese Pipeline nicht, da sie auch zur Sicherung der Energieversorgung nicht notwendig ist“, sagte Claudia Kemfert, Energie-Expertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), unserer Redaktion. „Wir können Gas aus ausreichenden anderen Quellen beziehen.“ Die Frage sei eher, ob es zu einem generellen Lieferstopp von Gas aus Russland kommt. Kemfert: „Auch dies könnten wir überbrücken, zumindest für einen gewissen Zeitraum.“ Sollten jedoch die gesamten fossilen Energiebezüge aus Russland gestoppt werden, bedürfe es „erheblicher Anstrengungen“, diese auszugleichen. Dabei geht es auch um Importe von Kohle (45 Prozent der EU-Importe kommen aus Russland) und Öl.

„Es ist mit weiteren Preissteigerungen zu rechnen, aber nicht, weil Nordstream 2 gestoppt wird, sondern weil es sich generell um eine sehr ernste geopolitische Krise handelt“, sagt Kemfert.

Handelsbilanz NRW – Russland 2020

Die nordrhein-westfälische Wirtschaft importierte 2020 Waren im Wert von 2,6 Milliarden Euro aus Russland. Im Vergleich zu 2019 waren das bereits 1,45 Mrd. Euro oder 35,6 Prozent weniger. Damit lag Russland lediglich auf Platz 18 der wichtigsten Importländer der NRW-Wirtschaft.

Ein Drittel des Importvolumens aus Russland nach NRW waren 2020 mit 0,85 Mrd. Euro Erdgas und Erdöl – deutlich weniger als 2019. Da waren es fossile Brennstoffe für 1,5 Mrd. Euro.

NRW exportierte 2020 nach Russland Produkte und Dienstleistungen im Wert von 3,2 Milliarden Euro – nur noch Platz 16. (Quelle: IT NRW)