Duisburg/Essen. Thyssenkrupp plant gewaltige neue Anlagen zur klimaneutralen Stahlproduktion in Duisburg. Thyssenkrupp-Stahlchef Osburg nennt Details.
Bernhard Osburg, der Chef von Thyssenkrupp Steel, geht sehr offen damit um, wie stark die konzerneigenen Stahlwerke in Duisburg das Klima belasten. Etwas mehr als 2,5 Prozent der gesamten CO2-Emissionen in Deutschland gehen auf das Konto des Stahlkonzerns. Bezogen auf das Ruhrgebiet seien es 25 Prozent aller CO2-Emissionen oder – Osburg nennt auch dieses Beispiel – zehn Mal so viel wie der Ausstoß durch den innerdeutschen Flugverkehr. „Wir sind ein großer Teil des Problems heute“, sagt der Thyssenkrupp-Stahlchef. Damit sei das Unternehmen aber auch „ein großer Teil der Lösung“.
Da Stahl kein „aussterbendes Produkt“ sei und als Werkstoff global gebraucht werde, müsse die Produktion klimaneutral werden, argumentiert Osburg. Den ersten grünen Stahl aus Duisburg will Thyssenkrupp im kommenden Jahr auf den Markt bringen. „Im Jahr 2022 wollen wir die ersten 30.000 bis 50.000 Tonnen erzeugen“, sagt der Manager bei einem Auftritt vor der Düsseldorfer Wirtschaftspublizistischen Vereinigung (WPV). Gemessen an den rund elf Millionen Tonnen Rohstahl, die der Revierkonzern jährlich produziert, ist das noch wenig.
Eine neue Direktreduktionsanlage, die als grüne Alternative zum Hochofen gilt und höhere Volumina
verspricht, wird im nächsten Jahr noch nicht in Betrieb sein. Aber über die Wasserstoff-Einspeisung im laufenden Betrieb und mit Hilfe von Recycling kann der Stahlkonzern seine Klimabilanz zumindest ein wenig verbessern. „Das ist eine bilanzielle Rechnung“, merkt Osburg an.
„1,2 Millionen Tonnen grüner Stahl im Jahr 2025“
Deutlich mehr klimaneutralen Stahl will Thyssenkrupp in vier Jahren bieten – mit dem Start einer ersten Direktreduktionsanlage, die mit Wasserstoff oder Erdgas betrieben werden kann. „Da sind wir dann mit 1,2 Millionen Tonnen im Jahr 2025 dabei“, sagt Osburg. Im Jahr 2030 – mit einer weiteren neuen Anlage – sollen es dann drei Millionen Tonnen grüner Stahl sein.
Um im Jahr 2030 drei Millionen Tonnen grünen Stahl produzieren zu können und damit 30 Prozent der bisherigen CO2-Emissionen einzusparen, seien Investitionen von rund zwei Milliarden Euro nötig, erklärt Osburg. Bis zum Jahr 2045 rechne er mit einem Investitionsbedarf von rund acht Milliarden Euro für den Umbau der Stahlwerke von Thyssenkrupp.
Hochofen soll in Zukunft ausgedient haben
Es sind riesige Industriekomplexe, die der Revierkonzern in Duisburg plant. 150 Meter hoch sollen die Direktreduktionsanlagen nach Darstellung von Osburg sein. Die bisherigen Hochöfen würden sie locker überragen. „Da ist jedes Windrad echt ein nettes, kleines Spielzeug dagegen“, sagt Osburg mit Blick auf Überlegungen, die neuen energieintensiven Aggregate zur Stahlerzeugung an der Nordsee zu bauen, um nah an der Offshore-Stromerzeugung zu sein. Für den Standort Duisburg spreche, dass sich die neue Technologie in die bestehende Struktur des Stahlwerks integrieren lasse, betont Osburg.
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Im Hochofen wird flüssiges Roheisen hergestellt, in Direktreduktionsanlagen sind es feste Brocken von Eisenschwamm mit einer Temperatur von rund 500 Grad Celsius. Nach Einsatz eines sogenannten Einschmelzers könnte das Material auf den bestehenden Anlagen von Thyssenkrupp im Ruhrgebiet weiterverarbeitet werden.
Ohne staatliche Unterstützung, das betont Osburg auch bei der WPV, seien die milliardenschweren Investitionen für den Aufbau einer klimaneutralen Stahlproduktion nicht wirtschaftlich. Bislang habe das Unternehmen bereits Förderanträge mit dem Volumen von mehr als 700 Millionen Euro vorgelegt. Die Prüfung läuft.
Thyssenkrupp-Stahlchef: „Wir haben einen Stahlengpass in Europa“
Dass Stahl weltweit gebraucht werde, zeige auch die aktuelle Lage, sagt Osburg. „Wir haben einen Stahlengpass in Europa“, berichtet der Thyssenkrupp-Stahlchef. Die europäische Stahlindustrie habe nach dem Corona-Lockdown zwar ihre Kapazitäten hochgefahren, das reiche aber nicht, um die Nachfrage zu decken. Auch die Stahlwerke von Thyssenkrupp seien sehr gut ausgelastet, sagt der Thyssenkrupp-Manager. Kurzarbeit sei praktisch kein Thema mehr.
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Den Stahlüberschuss, der die Lage auf dem Weltmarkt viele Jahre bestimmt habe, gebe es aktuell nicht mehr, erklärt Osburg. China, wo die Corona-Krise schon im vergangenen Jahr überwunden worden sei, habe einen extremen „Stahlhunger“. Stahl aus China fehle auf dem Weltmarkt. Was noch vorhanden sei, „sucht sich vor allem den Weg in die USA“.
Börsengang der Thyssenkrupp-Stahlsparte weiterhin eine Option
Trotz der gestiegenen Nachfrage und höherer Preise für ihre Produkte blieben die Stahlkonzerne unter Druck, auf ihre Kosten zu achten und ihre Strukturen zu überprüfen, betont Osburg. Die Frage nach Zusammenschlüssen in der Branche bleibe damit aktuell. Es sei immer die Position von Thyssenkrupp gewesen, das Gesamtspielfeld im Blick zu haben, sagt der Stahlchef, wenn er nach den Chancen für eine Fusion der deutschen Hersteller gefragt wird. „Es gibt viele Gründe, die dafür sprechen. Es gibt einige, die dagegen sprechen. Schau wir mal, was die Zukunft bringt.“
Thyssenkrupp-Vorstandschefin Martina Merz erwägt, die Stahlsparte mit rund 27.000 der mehr als 100.000 Beschäftigten im Konzern zu verselbstständigen. Auch ein Börsengang gilt als Option. „Wir haben entschieden, dass wir uns mit der Thematik ernsthaft auseinandersetzen“, sagt Osburg. „Da gehören eine Menge Dinge zu.“ Für einen Börsengang müsse auch das Marktumfeld stimmen.