Düsseldorf. Mangel an Baumaterial kann echte Konjunkturbremse werden, warnt Handwerkspräsident Andreas Ehlert. Trotz voller Auftragsbücher drohe Kurzarbeit.
Die einen leiden unter Zwangsschließungen, die anderen unter Stillständen aus Mangel an Nachschub: Die Corona-Pandemie trifft auch das Handwerk, aber auf sehr unterschiedliche Weise. Sie hat die Schere zwischen florierenden und gebeutelten Berufen weit geöffnet. Die so ungemein breit gefächerte Branche zusammenzuhalten, wird für Andreas Ehlert in seiner dritten Amtszeit umso schwerer: Der in Duisburg geborene Schornsteinfegermeister wurde gerade für weitere fünf Jahre zum Präsidenten der Handwerkskammer Düsseldorf wiedergewählt, die auch für das westliche Ruhrgebiet zuständig ist.
„Im Bau-Ausbaugewerbe etwa türmen sich die Aufträge, während in den personenbezogenen Dienstleistungen viele Betriebe um ihre Existenz kämpfen“, sagt Ehlert (59) im Gespräch mit unserer Zeitung. Vor allem Friseure, Kosmetiker und Kfz-Betriebe hätten es schwer. Gleichzeitig bremst ein globaler Bauboom heimische Handwerker, weil ihnen die Baumaterialien ausgehen. „Das kann sich zur echten Konjunkturbremse auswachsen. Viele Betriebe laufen trotz voller Auftragsbücher bereits Gefahr, Kurzarbeit anmelden zu müssen“, sagt Ehlert.
„Nie dagewesener Mangel“ an Baumaterial
Es herrsche vor allem bei Holz, Dämmstoffen und Metallprodukten „ein nie dagewesener Mangel“, und die Lage drohe sich weiter zuzuspitzen. Gründe sind Ehlert zufolge massive Exporte etwa von deutschem Holz in die USA und nach China. In Amerika sorgt das historische Konjunkturprogramm von Präsident Joe Biden für einen Bauboom, in China gibt es eine Offensive für Holzbauten. Dass Russland einen Exportstopp verhängt habe, verschärfe die Lage weiter. Das sorge für Verzögerungen und „teils exorbitant steigende Beschaffungspreise“. Binnen kürzester Zeit hätten sich die Preise für manche Materialien verdoppelt.
Viele Baustoffe würden inzwischen zu Tagespreisen angeboten, weshalb die Kammer Handwerkern rate, in neue Verträge „Preisgleitklauseln“ aufzunehmen, damit sie nicht auf den Mehrkosten sitzen bleiben. Alte Aufträge zu Festpreisen könnten viele Handwerker nur noch mit Verlusten erfüllen, so Ehlert. „Der Kubikmeterpreis für Styropor hat sich auf über 120 Euro fast verdoppelt“, berichtet etwa der Oberhausener Dachdeckermeister Mark Notthoff. Er rechnet zudem mit weiteren Aufschlägen – „denn wir zahlen Vorkasse, der avisierte Auslieferzeitpunkt ist aber erst Ende Juni“.
Metallhandwerker klagen über Preisverdopplung
Die Preisdynamik bereitet auch Johannes Arnzen große Sorgen, Obermeister der Innung für Metallhandwerke in Mülheim und Oberhausen: „Bei Stahl gibt es aktuell Preiszusagen für höchstens drei Tage. Eine Tonne kostet um elf Uhr 1500 Euro, um 15 Uhr schon 1600 Euro; der Bezugspreis ist seit Jahresbeginn um 100 Prozent gestiegen.“
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Doch nicht nur die Preise gehen durch die Decke, auch die Wartezeiten für die Bauherren verlängern sich immer mehr. So müssten die Handwerker inzwischen bis zu drei Monate auf Dämmstoffe warten, sagt Handwerkspräsident Ehlert. Das hat vielerlei Folgen: „Die Lieferketten sind zerstört. Wenn die Dämmung etwa für einen Boden fehlt, steht der ganze Bau still. Dann müssen alle nachfolgenden Gewerke warten.“
Bauprojekte um Monate verschoben
Bekommt der Zimmermann kein Holz, kann auch der Dachdecker nicht loslegen. „Andere Betriebe unserer Branche haben wegen der Holznot schon Kurzarbeit anmelden müssen. Wir sehen zu, dass wir alle Lagerkapazität jetzt gefüllt bekommen, damit wir im Sommer überhaupt arbeiten können“, sagt Dachdecker Notthoff. Vielerorts stehen Baustellen schon still. Metallbauer Arnzen etwa musste ein Projekt, das er mit einem Dachdecker geplant hatte, „um ein halbes Jahr“ verschieben, „weil im Augenblick die benötigten Trapezbleche fehlen“.
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Neben den akuten Auswirkungen der Corona-Krise befürchtet Handwerkspräsident Ehlert aber auch langfristige Folgeschäden, die es zu verhindern gelte. Als wichtigstes Ziel seiner dritten Amtszeit nennt er daher: „Wir müssen das Unternehmertum wieder stärken, denn wir brauchen Gründer.“ Warum er um den Nachwuchs bangt? „In der Corona-Krise hat der Staat vor allem kleinen Betrieben nur unzureichend geholfen. Dagegen sind andere, weniger riskante Berufsfelder attraktiver geworden, etwa im öffentlichen Dienst. Doch es waren selbstständige Unternehmer, die den Impfstoff und Virenfilter erfunden haben – nicht der Staat.“
Staat rettet Banken, Selbstständige kriegen Grundsicherung
Entsprechend verärgert ist er über die Gewichtung der Corona-Hilfen. „Durch die Fixkostenerstattung wurden vor allem Fremdkapitalgeber wie die Vermieter und Banken gerettet. Für Soloselbstständige ohne hohe Betriebskosten, die ein unternehmerisches Wagnis eingegangen sind, hatte der Staat dagegen nur die Grundsicherung übrig“, kritisiert der 59-Jährige.
„Sehr geärgert“ hat sich der Handwerkspräsident auch darüber, dass die schwarz-gelbe Landesregierung auf eine eigene Grundsteuer-Reform verzichtet hat. Dadurch gilt in NRW das neue Bundesrecht, das als besonders teuer und bürokratisch gilt. „Das war für mich der Lackmustest der Bürokratie-Vermeidung. NRW hätte die Öffnungsklausel für ein eigenes Modell nutzen müssen. Der mangelnde Reformwille bei der Neugestaltung der Grundsteuer ist sehr enttäuschend. Dadurch droht uns ein Standortnachteil gegenüber anderen Bundesländern“, sagt Ehlert.