Berlin. Die Pflege in Deutschland steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Auf der einen Seite werden die Pflegekräfte knapp, auf der anderen werden die Senioren von morgen neue Wohnformen für sich entdecken. Zukunftsfragen, die nach Antworten suchen.

Wohngemeinschaft – das klingt nach Studenten, die sich lieber die Nächte um die Ohren schlagen, anstatt Vorlesungen zu besuchen. In Zukunft denken wir bei der Abkürzung „WG” vielleicht aber ebenso an rüstige Senioren beim Kaffeeklatsch. Viele Menschen haben den Wunsch, ihren Lebensabend in den eigenen vier Wänden zu verbringen und schließen sich zum Wohnen zusammen. Betreuungsdienste und Einkaufshilfen kommen nach Hause, nicht ins Heim. „Die Pflege wird individueller”, prognostiziert der Zukunftsforscher Horst Opaschowski.

Der Wissenschaftler glaubt nicht an das Schreckensszenario einer älter und gleichzeitig pflegebedürftiger werdenden Gesellschaft. „Ein 80-Jähriger von morgen ist so fit wie ein 70-Jähriger von heute”, sagt er. In seiner Vision des Jahres 2030 existieren keine Altenheime mehr, dafür aber Wohn- und Hausgemeinschaften, die mit externen Dienstleistern wie Pflegediensten und Beratungsstellen vernetzt sind.

Dass Deutschland künftig ohne Pflegeheime auskommt, ist freilich nicht zu erwarten. Einer, der kein Interesse an deren Verschwinden hat, ist Thomas Greiner. Der Vorstandschef der Dussmann-Gruppe, zu der auch der Pflegeheimbetreiber Kursana gehört, sieht in der Pflege und Betreuung von Senioren „das Megathema” für die nächsten Jahre. 2,25 Millionen Pflegebedürftige gibt es heute in Deutschland. Je nachdem, wie gesund unsere Gesellschaft in Zukunft sein wird, könnten es 2030 zwischen drei und 3,4 Millionen sein. Das hat das Statistische Bundesamt ausgerechnet.

Verstärkung aus Osteuropa

Wie gut die Menschen versorgt werden, hängt vom Angebot der Fachkräfte ab. Schon heute ist die Lage nicht rosig – es herrscht Fachkräftemangel. Zu wenig gut ausgebildetes Personal findet Kursana heute schon in Bayern und Baden-Württemberg, weil es viele Arbeitskräfte in die Schweiz zieht. „Dort wird einfach besser bezahlt”, erklärt Vorstandschef Greiner. In Zukunft sei Deutschland verstärkt auf osteuropäische Pflegekräfte angewiesen.

Dass sich der Engpass bei den Pflegekräften einfach durch polnisches oder russisches Personal beheben lässt, glaubt man beim Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe nicht. „Ausländische Pflegekräfte wandern an Deutschland vorbei”, erklärt Referentin Johanna Knüppel. Länder wie die USA oder Australien hätten bessere Pflegesysteme und böten attraktivere Löhne. Nur wenn die Berufe attraktiver gemacht würden, könne man dem Mangel entgegenwirken. „In Großbritannien wird 2020 jeder vierte Schulabgänger in der Pflege gebraucht”, gibt Knüppel zu bedenken, „in Deutschland wird es ähnlich aussehen.”

Die Sorge, im Alter selbst zum Pflegefall zu werden, beschäftigt viele. Fast jeder Zweite unter 30 Jahren verbindet seine Gedanken an das Alter „zumindest gelegentlich” mit der Sorge, pflegebedürftig zu werden. Das hat eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach ergeben. Die Mehrheit der Befragten ist überzeugt, dass die Leistungen der Pflegeversicherung im Pflegefall nicht genügen.

2010 steigen die Pflegesätze

Tatsächlich reichen die gesetzlichen Leistungen oftmals nicht aus. Mehrere Hundert bis weit über Tausend Euro bezahlen Betroffene für einen Heimplatz häufig selbst – oder Angehörige oder die Sozialhilfe springen ein. Zwar steigen 2010 die Pflegesätze und es gibt mehr Geld vom Staat. Doch wenn künftig immer weniger Junge für immer mehr Alte aufkommen, werden die Kosten für die Pflegeversicherung steigen müssen. Die Bundesregierung schmiedet schon Pläne, wonach sich jeder zusätzlich privat absichern soll.

Dass auch der Staat seine Ausgaben drücken will, zeigt ein Pilotprojekt in Hannover. Ältere Menschen werden von Fallmanagern unterstützt, ihre Pflege zu Hause zu organisieren. Das ist billiger als ein Heimplatz, und die Kommunen sparen Sozialhilfe. Hat der Modellversuch Erfolg, könnte es vielleicht doch weniger Pflegeheime geben und die Vision von Zukunftsforscher Opaschowski teilweise eintreffen.