Essen. Thyssenkrupp spricht mit der Bundesregierung und dem Land NRW über Staatshilfen für den Stahl. Konzernchef Merz deutet weitere Einschnitte an.

Der Essener Traditionskonzern Thyssenkrupp steht im Zusammenhang mit möglichen Staatshilfen für die notleidende Stahlsparte in Kontakt mit der Bundesregierung und dem Land NRW. „Wir sind aktuell in Gesprächen mit der Bundesregierung unter Beteiligung der Landesregierung“, sagte Thyssenkrupp-Vorstandschefin Martina Merz. In einem Interview mit der FAZ verwies die Managerin auf einen hohen Finanzbedarf wegen der Corona-Krise und des bevorstehenden Umbaus der Stahlwerke hin zu einer klimaneutralen Produktion. Ein „Mix verschiedener Instrumente staatlicher Unterstützung“ sei dafür erforderlich, betonte Merz. Bisher habe Thyssenkrupp noch keine Hilfen aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) beantragt. Derzeit sei auch noch ungewiss, inwiefern das Unternehmen „auf eine unmittelbare Unterstützung“ angewiesen sein werde.

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Am Donnerstag (19. November) will der Konzern seine Bilanz für das Geschäftsjahr 2019/2020 vorstellen, das bis Ende September lief. Vorstandschefin Merz macht schon jetzt keinen Hehl daraus, wie ernst die Lage ist. „Unsere wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich durch Corona dramatisch verschlechtert, auch wegen der großen Abhängigkeit von der Autoindustrie“, sagt sie. Zwar hatte der Verkauf der Aufzugssparte mit mehr als 50.000 Beschäftigten dem Essener Konzern erst vor wenigen Monaten mehr als 17 Milliarden Euro eingebracht, dennoch sei möglicherweise staatliche Unterstützung für die Stahlwerke erforderlich, denn durch Corona seien „die Mittel für die Investitionen wieder verloren gegangen“.

„Wir sanieren gegen die Uhr“

Merz bereitet die Beschäftigten von Thyssenkrupp auf zusätzlichen Stellenabbau vor – über die bereits bekannten 6000 Arbeitsplätze hinaus. Angesichts der aktuellen Situation sei „ein zusätzliches Verbesserungsprogramm“ notwendig, sagt sie im FAZ-Interview. „Das wird auch weiteren Stellenabbau bedeuten.“ Generell verordnet Merz dem Konzern zunächst einmal einen Schrumpfkurs. So wolle sie späteres Wachstum ermöglichen, betont die Vorstandschefin. Für Unternehmensbereiche mit 20.000 Mitarbeitern suche das Management eine Perspektive „eher außerhalb des Unternehmens oder in Partnerschaften“. Dass es zu harten und schnellen Entscheidungen kommen wird, deutet Merz an, wenn sie sagt: „Wir sanieren gegen die Uhr.“

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Eine Entscheidung zur Zukunft der Stahlsparte nach dem Übernahmeangebot des britischen Konzerns Liberty Steel will Thyssenkrupp-Chefin Merz spätestens im Frühjahr kommenden Jahres treffen. Ein Verkauf oder eine Fusion mit einem bisherigen Konkurrenten seien aber in der aktuellen Lage ein „zähes Unterfangen“, räumt sie ein: „Es ist schwierig, in Corona-Zeiten eine Finanzierung für eine solche Transaktion zu finden.“

„Es geht nicht darum, den Stahl loszuwerden“

Bislang hat Liberty Steel lediglich ein unverbindliches Angebot für eine Übernahme der Thyssenkrupp-Werke mit mehr als 27.000 Beschäftigten und großen Standorten in Duisburg, Bochum und Dortmund abgegeben. Dem Vernehmen nach scheut Merz noch davor zurück, dem Konkurrenten Einblick in die Bücher zu gewähren („Due Diligence“) und damit vertieft in mögliche Verhandlungen einzusteigen.

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Während der vom britisch-indischen Unternehmer Sanjeev Gupta kontrollierte Konzern Liberty Steel Deutschlands größten Stahlhersteller am liebsten komplett übernehmen würde, betont Merz: „Es geht nicht darum, den Stahl loszuwerden.“ Die Frage sei, ob es ein Zusammenschluss mit einem anderen Unternehmen ermögliche, die Stahlwerke „zukunftsfähiger“ zu machen.

IG Metall fordert Staatseinstieg bei Thyssenkrupp Steel

Für eine Weiterentwicklung des Stahlgeschäfts innerhalb der Thyssenkrupp-Gruppe sei „viel Kapital in kurzer Zeit“ notwendig, sagt Merz und fügt hinzu: „Genau dafür hatten wir die Aufzüge verkauft. Das war es uns wert. Wir glauben an unser Stahlgeschäft, sind dort Technologieführer. Deshalb schauen wir uns alle Möglichkeiten an und sprechen daher auch mit dem Staat über Corona-Hilfen.“

Die IG Metall spricht sich vehement für einen direkten Einstieg des Staates bei der Stahlsparte von Thyssenkrupp aus. „Wir brauchen jetzt einen Schutzschirm“, sagte Stahl-Gesamtbetriebsratschef Tekin Nasikkol unlängst. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans fordert eine Landesbeteiligung an Thyssenkrupp Steel und setzt damit Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) unter Druck. Der nordrhein-westfälische Landtag sprach sich Ende vergangener Woche gegen einen von der SPD-Fraktion geforderten Einstieg des Landes aus – mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD bei Enthaltung der Grünen.