Essen/Herne. Die Steag beendet ein einstiges Vorzeigeprojekt: In Pflastersteinen, die Diesel-Abgase fressen sollen, steckt wohl ein krebserregender Stoff.
In einem Projektsteckbrief für das Produkt „Photoment“ verspricht der Essener Kommunalkonzern Steag vollmundig „saubere Luft“ und „saubere Oberflächen“. Von jahrelanger Entwicklungsarbeit für den Betonzusatzstoff ist die Rede – und vom Potenzial, „gesundheitsgefährdende Stickoxide aus der Umgebungsluft abzubauen“. Insbesondere in der Diskussion über Diesel-Abgase in Deutschlands Städten warb die Steag damit, „Photoment“ könne in Pflastersteinen, Terrassen- oder Gehwegplatten zur Verbesserung der Luftqualität beitragen. Doch aus einem Erfolgsprodukt ist nichts geworden. Weil in dem Steag-Produkt auch ein potenziell krebserregender Stoff enthalten ist, hat das Unternehmen die Produktion eingestellt.
Es klang nach einer vielversprechenden Idee der Steag-Tochterfirma Power Minerals aus Dinslaken: Pflastersteine, die Abgase aus Diesel-Autos unschädlich machen. Durch den Betonzusatzstoff sollte auf den Steinen eine chemische Reaktion namens Photokatalyse entstehen, um die gesundheitsschädlichen Stickoxide in Nitrat umzuwandeln – „in unbedenklichen Mengen“, so die Steag, könnte dieses vom nächsten Regenschauer fortgespült werden.
Pflastersteine in Bottrop, Herne, Essen und Stuttgart
In mehreren deutschen Städten seien Pflastersteine mit Photoment verbaut worden, berichtete die Steag im September 2017: in der Bottroper Innenstadt im Zuge des Klimaschutzprojekts Innovation City zum Beispiel, vor der Essener Steag-Zentrale und in Stuttgart. Auch der Europaplatz am Eingang der Herner City ist mit Photoment-Steinen gepflastert worden. Das Ziel sei der Massenmarkt, verkündete die Steag vor drei Jahren. Interesse gebe es sogar aus Asien. Überlegungen gab es auch dazu, Photoment in Betonstraßenbelägen und in Putz für Gebäudefassaden einzusetzen.
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Doch aus dem großen Geschäft wird nichts. „Wir haben uns dazu entschieden, die Produktion von Photoment einzustellen“, teilte Steag-Sprecher Daniel Mühlenfeld auf Anfrage unserer Redaktion mit. Im Photoment-Grundstoff sei auch Titandioxid enthalten, und dieser Stoff werde seit einem Dreivierteljahr von der EU-Kommission als potenziell krebserregend eingestuft. Die Steag hätte das Produkt künftig beim Verkauf mit einem Warnhinweis versehen müssen, um auf potenzielle Gefahren hinzuweisen. Damit wäre eine Vermarktung kaum möglich gewesen. Dabei sollten die Pflastersteine mit Photoment eigentlich etwas teurer sein als herkömmliches Material.
„Der Stoff galt als unbedenklich“
„Als das Produkt entwickelt wurde und an den Markt gegangen ist, gab es die Einschätzung der EU noch nicht. Der Stoff galt als unbedenklich“, betont Steag-Sprecher Mühlenfeld. Die Klassifizierung sei erst zum Ende vergangenen Jahres erfolgt. Danach habe das Steag-Management schnell entschieden.
Die Verbindungen der Steag zu den Städten des Ruhrgebiets sind eng. Schließlich befindet sich das Unternehmen in den Händen mehrerer Stadtwerke aus dem Ruhrgebiet. Vor einigen Jahren hatte die kommunalen Unternehmen die Steag für 1,2 Milliarden Euro vom Essener Chemiekonzern Evonik übernommen. Allerdings wollen fünf Ruhrgebietskommunen – Essen, Bochum, Duisburg, Oberhausen und Dinslaken – wieder aus der Steag aussteigen. Lediglich Dortmund bliebe demnach dabei.
Müssen die Pflastersteine entfernt werden?
Mit Blick auf das Steag-Produkt „Photoment“ sieht sich die Herner Stadtverwaltung nun mit der Frage konfrontiert, ob von den Pflastersteinen in der Innenstadt gesundheitliche Gefahren ausgehen könnten und der Untergrund entfernt werden sollte. Die Grünen haben eine entsprechende Anfrage für die nächste Sitzung des Umweltausschusses im September gestellt. Gerhard Kalus, Mitglied der Grünen im Herner Umweltausschuss, weist darauf hin, dass Titandioxid in Pulverform von der EU als potenziell krebserregend eingestuft werde und damit auch der Abrieb auf dem Gehweg ein potenzielles Krebsrisiko darstellen könnte.
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„Da unser Produkt in Pflastersteinen gebunden eingesetzt wird, sehen wir kein Risiko für die Gesundheit durch Photoment. Potenzielle Risiken entstehen lediglich dann, wenn der Stoff eingeatmet wird“, betont hingegen Steag-Sprecher Daniel Mühlenfeld. „Aus unserer Sicht ist es nicht erforderlich, die verbauten Pflastersteine zu entfernen. Wir sehen uns dabei in Einklang mit den Einschätzungen der EU.“
Auch die Stadt Herne hebt hervor, eine gesundheitliche Gefahr sei nicht zu befürchten. Titandioxid sei von der EU zwar als vermutlich krebserregend beim Einatmen eingestuft worden. Diese vermutete Gefahr könne aber nur auftreten, wenn Stäube in extrem hoher Konzentrationen über einen längeren Zeitraum eingeatmet würden, betont Stadtsprecherin Anja Gladisch auf Anfrage. Aus Sicht der Stadtverwaltung sei aber nicht zu befürchten, dass es auf dem Herner Europaplatz „zu einer Freisetzung von einatembaren Partikeln“ komme.
„Beitrag zur Verbesserung der Luft in den Städten“
Photoment befindet sich nach früheren Darstellungen der Steag auf dem obersten Zentimeter der Pflastersteine. Das Produkt hat die Steag-Tochter Power Minerals gemeinsam mit dem Leverkusener Titandioxidhersteller Kronos entwickelt. Die Herstellung erfolgte Unternehmensangaben zufolge bei einem Fremdbetrieb, der Firma EuroQuarz in Dorsten.
Trotz des Produktionsstopps beteuert Steag-Sprecher Mühlenfeld: „Wir sind weiterhin davon überzeugt, dass die Pflastersteine mit Photoment einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Luft in den Städten leisten können.“