Essen/Bonn. Zusteller der Post liefern in Corona-Krise deutlich mehr, nun fordert Verdi ein dickes Plus in der Tarifrunde. DPV ließ im Ruhrgebiet streiken.

Sie zählen zu den Corona-Helden, haben im April riesige Pakete mit Klopapier an die Wohnungstüren gebracht, liefern nach wie vor mehr als üblich und blicken bang auf die Vorweihnachtszeit, in der neue Paketrekorde erwartet werden. Nun wollen die Post- und Paketboten Geld statt Lob: In den bis Freitag angesetzten Tarifverhandlungen in Kassel fordert Verdi 5,5 Prozent mehr. Die kleinere Gewerkschaft DPVKOM sitzt nicht am Tisch, hat aber zu ganztägigen Streiks auch im Ruhrgebiet aufgerufen.

Die Argumentationslinie der Arbeitnehmervertreter ist klar, Corona gibt sie vor: Die Deutsche Post zählt im Kerngeschäft auf ihrem Heimatmarkt zu den wenigen Krisengewinnern. Das Paketaufkommen stieg in der heißen Phase der Pandemie im Frühjahr deutlich an, was den Rückgang im Briefgeschäft mehr als ausglich. Die Zwangsschließungen von Geschäften, aber auch Engpässe der Supermärkte und Discounter bei manchen Produkten ließen viele Menschen erstmals oder mehr als sonst im Internet einkaufen. „Die Menschen haben online bestellt wie sonst nur vor Weihnachten“, bestätigt ein Konzernsprecher. Zugleich betont er, dass im Briefgeschäft vor allem das Aufkommen der Werbebriefe eingebrochen sei.

Verdi fordert „Geld statt Held“

Politik und Gesellschaft sparten nicht an Lob für die Zusteller, doch nun soll Bares folgen. Auf die Formel „Geld statt Held“ bringt das Verdi, oder ausformuliert: „Gerade jetzt müssen wir in den Unternehmen, die ihre Gewinne in der Krise steigern konnten, zu deutlichen Lohnerhöhungen kommen“, so Verhandlungsführerin Andrea Kocsis. Dass die Post bereits beschlossen hat, eine Corona-Prämie von 300 Euro an jeden seiner weltweit rund 550.000 Mitarbeiter zu zahlen, könne die Tariferhöhung nicht ersetzen. Die Post hat bisher kein Angebot vorgelegt.

Eine Briefträgerin ist mit dem Lastenfahrrad in Essen unterwegs. Verdi fordert 5,5 Prozent mehr Entgelt für sie und ihre Kolleginnen und Kollegen.
Eine Briefträgerin ist mit dem Lastenfahrrad in Essen unterwegs. Verdi fordert 5,5 Prozent mehr Entgelt für sie und ihre Kolleginnen und Kollegen. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Die DPVKOM fordert sechs Prozent mehr und hat am Donnerstag ihre Mitglieder in der Zustellung zu einem ganztägigen Warnstreik aufgerufen. Die Arbeitsniederlegungen in Bonn, Dortmund, Duisburg und Essen führten dazu, dass „mehrere Tausend Haus­halte“ keine Briefe und Pakete erhielten. Die Post betont dagegen, das seien lediglich „punktuelle Warnstreiks mit niedriger Beteiligungsquote“. Deshalb gebe es auch nur „marginale Auswirkungen für unsere Kunden“, sagte ein Post-Sprecher auf Anfrage. Punktuell könne es zu Verzögerungen in der Zustellung kommen.

Auch Verdi behält sich Warnstreiks vor

Das könnte sich ändern, wenn Verdi streiken ließe. Nach Ende der Friedenspflicht zum 1. September sei das „nicht ausgeschlossen“, betonte ein Sprecher der Gewerkschaft auf Anfrage, ohne konkret zu werden. Ob die Dienstleistungsgewerkschaft zu Arbeitsniederlegungen aufruft, dürfte vom Verlauf der zweiten Runde im Tarifkonflikt abhängen. Die Post müsse in Kassel „ein substanzielles Angebot vorlegen“, hieß es dazu aus der Verdi-Zentrale in Berlin.

Das Bonner Unternehmen ließ sich vor den Verhandlungen nicht in die Karten schauen. Klar ist: Die Post braucht vor allem ihre Paketzusteller mehr denn je – und für den „Starkverkehr“, wie der Konzern die Paketflut vor Weihnachten nennt, noch Tausende mehr. Im vergangenen Jahr stellte die Post dafür rund 10.000 Saisonkräfte ein, wie viele sie in diesem Jahr benötigt, konnte der Sprecher noch nicht beziffern. Aber bestätigen, dass wegen der Corona-Auswirkungen die Vorbereitungen dafür früher als üblich begännen.

Post- und Paketsparte steigert Gewinn um fast 50 Prozent

Die Sparte Post & Paket Deutschland, um die es in der Tarifrunde vor allem geht, steigerte im „Corona-Quartal“ von April bis Juni ihren Umsatz um sieben Prozent. Der operative Gewinn (Ebit) stieg wegen des stark gewachsenen Paketgeschäfts und dank höherer Preise sogar um die Hälfte (49,2 Prozent). Im ersten Halbjahr bescherte die Sparte dem Konzern einen Betriebsgewinn von knapp 600 Millionen Euro. Weil das besonders einträgliche Weihnachtsgeschäft erst noch ansteht, erwartet der Konzern im Gesamtjahr insgesamt 1,5 Milliarden Euro Ebit von seinen Paketdiensten und Briefträgern in Deutschland, das wäre eine Steigerung um gut ein Fünftel. Die Kosten der Corona-Prämie sind darin bereits verrechnet.