Essen. Clemens Tönnies hat den familieneigenen Fleischkonzern groß gemacht. Die Corona-Krise bringt ihn in Bedrängnis – und löst einen Machtkampf aus.

Zu seinem 50. Geburtstag erzählte Clemens Tönnies eine Geschichte über seinen Vater. Es ging um einen Konflikt in der Kindheit. Mit 14 Jahren, so erinnerte er sich, habe er seinem Vater gesagt, er wolle nicht Metzger, sondern Radio- und Fernsehmechaniker werden. „Da kriegte ich rechts und links eine Ohrfeige“, bekannte Tönnies einmal freimütig als Gast bei einem Manager-Forum – und damit sei die Frage, was er werden wolle, beantwortet gewesen: „Metzger, Papa, natürlich.“

Was es bedeutet, einen Familienbetrieb zu führen, hat Clemens Tönnies schon in jungen Jahren erlebt. Als sieben- oder achtjähriger Junge sei ihm von seinen Eltern die Tageskasse der kleinen Metzgerei anvertraut worden. Dann habe er mitunter 2000 Mark zur Volksbank bringen müssen. „Wir wurden angehalten, mitzuhelfen und gewerblich zu denken“, sagt Tönnies.

Heute steht er an der Spitze von Deutschlands größtem Fleischkonzerns mit Marken wie Böklunder, Gutfried und Redlefsen. Als der Unternehmer, der nebenbei auch den Aufsichtsrat des Fußball-Bundesligisten Schalke 04 leitet, vor wenigen Monaten die jüngste Jahresbilanz für sein Unternehmen veröffentlichte, war es mal wieder ein mit Rekorden gespicktes Zahlenwerk. Erstmals in der Firmengeschichte knackte die Tönnies-Gruppe beim Umsatz die Marke von sieben Milliarden Euro. Das Geschäft mit dem Schlachten von Schweinen und Rindern lief rund. Im Laufe des Jahres 2019 sind Unternehmensangaben zufolge etwa 20,8 Millionen Schweine in den Tönnies-Betrieben verarbeitet worden, davon 16,7 Millionen in Deutschland. Hinzu kamen rund 440.000 Rinder.

„Ich mag die Schweine unglaublich gerne leiden“

Ob er nicht manchmal von Albträumen geplagt wach werde angesichts der vielen toten Tiere, wird Tönnies einmal gefragt. „Ich mag die Schweine unglaublich gerne leiden“, antwortet der Unternehmer. „Deshalb gehen wir auch ordentlich mit denen um. Die werden bei uns nicht zu Tode gequält, sondern die werden mit – zum großen Teil mit von uns selbst entwickelten Systemen – geschlachtet, sauber und ordentlich, wie man mit einer Kreatur umgeht.“

Clemens Tönnies zeigt sich gerne als bodenständiger Westfale, tief verwurzelt in seiner Geburtsstadt Rheda, die er als „den schönsten Punkt der Welt“ bezeichnet. Fleisch zu essen, das sei für ihn Genuss und eine Frage des Lebensstils. Privat ist Tönnies Jäger – und als Unternehmer zugleich ein nüchterner Stratege. Als „CT“, wie Tönnies oft genannt wird, Anfang der 80er Jahre in die Firma ging, sei es die Idee gewesen, „standardisiertes Fleisch nach Katalog“ zu liefern, das unter anderem von Wurstherstellern weiterverarbeitet werden sollte. Diesen Ursprungsgedanken entwickelte Tönnies beharrlich weiter.

„Wir demontieren im Grunde genommen“

Als sein Fabrikbetrieb einmal mit den Produktionsabläufen in der Autoindustrie verglichen wird, sagt Tönnies, bei ihm geschehe gewissermaßen das Gegenteil: „Wir demontieren im Grunde genommen.“ Aus einem Schwein würden mehr als 250 Teilstücke geschnitten, um diese dort in der Welt zu verkaufen, wo es Nachfrage gebe.

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Die Internationalisierung ist ein wichtiger Teil der Tönnies-Strategie. Produktionsstandorte betreibt der Fleischkonzern mit rund 16.500 Beschäftigten bereits in Dänemark, Frankreich, Polen, Spanien und Großbritannien. Auch für China hat Tönnies Expansionspläne.

Das Umsatzwachstum auf mehr als sieben Milliarden Euro im vergangenen Jahr begründet Tönnies-Geschäftsführer Andreas Ruff bei der Bilanzvorlage vor allem mit der internationalen Ausrichtung. „Aber wir haben dabei, im Gegensatz zu manch anderem Marktteilnehmer, Deutschland nicht aus dem Auge verloren“, betont Ruff.

Nummer eins im Geschäft mit SB-Wurst und Wurstkonserven

In Deutschland ist die Tönnies-Gruppe die Nummer eins im Geschäft mit SB-Wurst und Wurstkonserven. Mit mehr als 4000 Mitarbeitern produziert das Unternehmen eigenen Angaben zufolge jährlich mehr als zwei Milliarden Verbraucherverpackungen. Wurst-Marken aus dem Hause Tönnies sind neben Böklunder, Gutfried und Redlefsen auch Könecke, Hareico und Original Lechtaler. So wird das Angebot bei den großen deutschen Lebensmittelhändlern wie Aldi, Lidl, Edeka und Rewe geprägt.

Robert und Clemens Tönnies (von links) kämpfen um die Macht im Fleischkonzern.
Robert und Clemens Tönnies (von links) kämpfen um die Macht im Fleischkonzern. © dpa | Bernd Thissen

Als Clemens Tönnies im März seine Bilanz vorlegte, zeigt er sich auch für das Jahr 2020 optimistisch. Er rechne mit „einer positiven Gesamtentwicklung“, gibt er zu Protokoll. Zu diesem Zeitpunkt ist noch nicht absehbar, wie heftig das Coronavirus den Betrieb von Tönnies treffen würde – und zwar ausgerechnet in seiner Geburtsstadt Rheda.

Machtkampf von Robert und Clemens Tönnies

Mitten in der Coronakrise wird deutlich, dass auch der Machtkampf um den Familienkonzern ungelöst ist. Wie nun bekannt geworden ist, fordert Mitinhaber Robert Tönnies in einem Brief den Rücktritt seines Onkels Clemens Tönnies aus der Geschäftsleitung. In dem Schreiben vom 17. Juni wirft Robert Tönnies der Geschäftsleitung und dem Beirat des Konzerns unverantwortliches Handeln sowie die Gefährdung des Unternehmens und der Bevölkerung vor.

Der 42-jährige Robert Tönnies hält wie sein 64-jähriger Onkel Clemens 50 Prozent der Unternehmensanteile. Seit Jahren streiten sich die beiden um die Führung und Ausrichtung des Fleischkonzerns. „Dass gerade in Schlachtbetrieben die Infektionszahlen weit überdurchschnittlich hoch sind, ist ganz sicher auch dem System der Werkverträge geschuldet“, heißt es in dem Brief von Robert Tönnies, „es zwingt viele Arbeiterinnen und Arbeiter in unzumutbare Wohnverhältnisse, die mit einem hohen Ansteckungsrisiko verbunden sind und nur wenig Schutzmöglichkeiten bieten, wenn einmal eine Infektion auftritt“.