Essen. Thyssenkrupp-Chefin Merz befeuert Spekulationen über eine Stahlfusion. Es gebe „keine Denkverbote“. Eine Trennung von der Mehrheit sei möglich.

Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz sagt von sich, sie halte sich gerne unterschiedliche Optionen offen. Alternativlosigkeit gebe es nicht, hat sie einmal formuliert. Stattdessen: Szenarien. Auf die Stahlsparte übertragen, von der Zehntausende Arbeitsplätze in NRW abhängen, heißt das nach der Herangehensweise der Thyssenkrupp-Chefin: Auch eine Fusion mit einem Konkurrenten ist möglich, sogar eine Trennung von der Mehrheit der Anteile. „Wir können uns das auch vorstellen“, sagt die Managerin in einer Telefonkonferenz für Journalisten, einen Tag nach der Aufsichtsratssitzung zur Zukunft des Essener Industriekonzerns. Der ganze „Optionen-Raum“ sei geöffnet, betont Merz – und: „Wir haben selber keine Denkverbote mehr.“

Es sind Sätze, die dem Management Möglichkeiten eröffnen, aber auch neue Unsicherheit in der Belegschaft schüren dürften. Schließlich schien es, nach dem Scheitern der Pläne für eine Stahlfusion mit dem indischen Wettbewerber Tata in Europa werde sich Thyssenkrupp wieder auf sich selbst konzentrieren und – gestärkt aus dem mehr als 17 Milliarden Euro schweren Verkauf der Aufzugsparte – kräftig in die Stahlwerke an Rhein und Ruhr investieren, insbesondere am wichtigen Standort Duisburg. Doch nun verkündet Merz die Strategie: „Dual Track.“ Was so viel heißt wie: Das Management plant zweigleisig, Fusion nicht ausgeschlossen.

Spekulationen über chinesischen Stahlkonzern und mögliche „deutsche Lösung“

Mit wem Thyssenkrupp im Traditionsgeschäft gemeinsame Sache machen will? „Wir werden heute keine Namen nennen“, sagt Merz dazu. Dies nehmen ihr andere Akteure ab. Knut Giesler, der Chef der IG Metall in NRW, betont, er befürworte eine „deutsche Lösung“ mit dem niedersächsischen Konzern Salzgitter und den Stahlkochern im Saarland. Vertreter des chinesischen Stahlkonzerns Baosteel haben bereits mit Thyssenkrupp-Managern gesprochen, ist zu hören. Es ist davon auszugehen, dass auch die Kontakte zum europäischen Ableger von Tata nicht abgerissen sind.

Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz: „Wir haben selber keine Denkverbote mehr.“
Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz: „Wir haben selber keine Denkverbote mehr.“ © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Der Aufsichtsrat von Thyssenkrupp sei über die Gespräche über eine mögliche Fusion informiert, berichtet Merz offen. „Ziemlich intensiv“ seien die Unterredungen mit denkbaren Partnern. Thyssenkrupp sage schon lange, dass es angesichts der Überkapazitäten der europäischen Stahlindustrie notwendig sei, über Zusammenarbeit nachzudenken. Auch das Ziel, klimaneutralen Stahl herzustellen, erfordere wegen anstehender Investitionen, die „Kräfte zu bündeln“, hebt die Thyssenkrupp-Chefin hervor. Und nun komme die Corona-Krise hinzu, mit der die Notwendigkeit von Veränderungen in der Branche zunehme. Daher, so sagt Merz, gebe es nun Gespräche „in alle Richtungen“.

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NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat unlängst eine „Agenda Stahl“ gefordert. Laschet sei „gut eingebunden“, sagt Thyssenkrupp-Chefin Merz. „Wir sind in einem sehr konstruktiven Austausch.“ Nach Informationen unserer Redaktion hat sich Laschet vor einigen Tagen mit Merz sowie Arbeitnehmervertretern getroffen, um die Lage zu erörtern.

Rückendeckung von IG Metall, Krupp-Stiftung und Cevian

Schon ihr Vor-Vorgänger Heinrich Hiesinger hat über Jahre hinweg auf eine Stahlfusion hingearbeitet und zumindest einen Abschluss mit dem Wettbewerber Tata erzielt, der aber letztlich angesichts von Wettbewerbsbedenken der EU-Kommission gescheitert ist. Das Bild für die Zukunft von Thyssenkrupp, das die amtierende Vorstandschefin Merz entwirft, unterscheidet sich indes erheblich von Hiesingers Zielvorstellungen. Statt eines integrierten Technologiekonzerns wolle sie eine „Group of Companies“ schaffen, sagt Merz – eine Firmengruppe mit weitgehend selbstständigen Geschäften unter dem Dach einer kleinen Holding.

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Nach der am Montagabend zu Ende gegangenen Thyssenkrupp-Aufsichtsratssitzung signalisieren wichtige Akteure grundsätzlich ihre Zustimmung zu den Plänen der Vorstandschefin. Jürgen Kerner von der IG Metall, der neue Vize-Aufsichtsratschef im Konzern, sagt, die Arbeitnehmervertreter tragen die „Neuordnung“ mit. Die Krupp-Stiftung betont, als Ankeraktionärin gehe sie „Seite an Seite mit Management und Beschäftigten durch diese schwierige Zeit“. Und auch der zweitgrößte Thyssenkrupp-Anteilseigner, der Finanzinvestor Cevian, gibt Merz eine positive Rückmeldung. „Der jetzt vorgestellte Restrukturierungsplan ist für Thyssenkrupp ein wichtiger Schritt, um das volle Potenzial aller seiner Geschäftsbereiche auszuschöpfen“, lässt sich Lars Förberg, Gründungspartner von Cevian, zitieren.

20.000 Beschäftigte sollen in Segment „Multi-Tracks“ wechseln

Während am Dienstagmorgen die Telefonkonferenz von Konzernchefin Merz läuft, steigt der Aktienkurs des angeschlagenen Unternehmens. Das Signal, der Vorstand wolle schneller und härter sanieren, kommt augenscheinlich bei den Anlegern an. Geschäfte mit rund 20.000 Mitarbeitern stellt Merz nun auf den Prüfstand. Ein Teil der bisherigen Aktivitäten werde künftig gesondert im Konzern geführt. Dabei handle es sich um Bereiche, in denen der Vorstand „keine nachhaltigen Zukunftsperspektiven“ innerhalb der Thyssenkrupp-Gruppe sehe. Betroffen sind unter anderem der Anlagenbau, die Grobblech-Produktion in Duisburg, Teile der Autosparte, das Bautechnik-Geschäft sowie das italienische Thyssenkrupp-Edelstahlwerk.

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Die Geschäfte würden künftig „in zwei Kategorien unterteilt“, wie es in einer Mitteilung von Thyssenkrupp heißt – zum einen in Unternehmensbereiche, die der Konzern „allein oder gemeinsam mit Partnern entwickeln wird“, zum anderen in Geschäfte, „für die das Unternehmen vorrangig Entwicklungspfade außerhalb der Gruppe verfolgen wird“. Letztere sollen in einem Segment namens „Multi-Tracks“ gebündelt werden, bald auch mit einer eigenen Finanzberichterstattung. Für Geschäfte wie die Bautechnik, Grobblech und Battery Solutions (Produktionsanlagen zur Batteriemontage) prüft Thyssenkrupp neben einem Verkauf sogar die Schließung von Standorten.

„Kleiner, aber stärker aus dem Umbau hervorgehen“

Derzeit gehören weltweit rund 160.000 Mitarbeiter zu Thyssenkrupp. Mehr als 50.000 Beschäftigte verlassen das Unternehmen ohnehin durch den Verkauf der Aufzugsparte. Weitere 20.000 Mitarbeiter gehören zu „Multi-Tracks“. Von einer Zerschlagung ist die Rede – und von einer „Bad Bank“ im Konzern. Merz hingegen betont, Thyssenkrupp werde „kleiner, aber stärker aus dem Umbau hervorgehen“.

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Ein Newsletter, den die IG Metall nach der Aufsichtsratssitzung verschickt, zeigt ein Foto von Beschäftigten, die ein Transparent mit der Aufschrift „Was ist mit unserer Zukunft?“ in die Höhe halten. „Thyssenkrupp steht vor einschneidenden Veränderungen, und das nicht zum ersten Mal in den letzten Jahren“, heißt es in dem Schreiben der IG Metall. „Für die nächste Stufe des Konzernumbaus muss gelten: Alle Unternehmensteile von Thyssenkrupp brauchen jetzt eine klare Perspektive. Nicht nur das ,neue Kerngeschäft‘. Dafür wird die IG Metall gemeinsam mit den Betriebsräten in den kommenden Wochen kämpfen.“