Essen. Bayer steigert Gewinn um ein Fünftel – vor allem dank Vorratskäufen rezeptfreier Arzneien. Zahl der Glyphosat-Klagen in USA auf 52.500 gestiegen.
Die deutsche Wirtschaft ächzt unter der Corona-Krise, doch Bayer profitiert von der Pandemie: Weil die Menschen neben Klopapier und Mehl auch frei verkäufliche Medikamente gehortet haben, steigerte der Leverkusener Dax-Konzern in den ersten drei Monaten 2020 Umsatz und Gewinn deutlich. Mit dieser guten Bilanz tritt der Pharma- und Agrarchemiekonzern am Dienstag – erstmals virtuell – gestärkt vor seine Aktionäre. Allerdings wird ein altes Problem immer größer: Die Zahl der Glyphosat-Klagen in den USA ist seit Februar um weitere 3900 gestiegen. Damit machen nun 52.500 Amerikaner die Bayer-Tochter Monsanto für ihre Krebserkrankung verantwortlich, angeblich verursacht durch das Glyphosat-basierte Mittel Roundup.
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Bayer-Chef Werner Baumann betonte dazu, weiter auf die in den USA laufende Mediation zu setzen, in der eine außergerichtliche Lösung gesucht wird. Man habe darin auch „Fortschritte erzielt“, allerdings habe der vor allem in den USA massive Ausbruch der Corona-Pandemie das Verfahren „erheblich verlangsamt“. Das bereitet Aktionärsvertretern Sorgen: „Die Rechtsrisiken haben nicht ab-, sondern sogar noch zugenommen“, sagte Ingo Speich, Leiter für Nachhaltigkeit und Corporate Governance der Sparkassen-Gesellschaft Deka Investment. „Solange sich Bayer nicht von den Klagen befreien kann, werden wir wahrscheinlich keine Erholung des Aktienkurses sehen.“
Deka-Manager sieht Kursverfall durch Monsanto
Speich lobt aber den „Strategiewechsel bei den Rechtsverfahren“, sprich, dass Bayer einen Vergleich anstrebt, um die Risiken aus der Welt zu schaffen. Der Deka-Manager bleibt aber dabei, der Monsanto-Zukauf habe „zu einer gigantischen Wertvernichtung geführt, die Bayer massiv geschwächt hat“. Die Hoffnung des Vorstands, Bayer durch Monsanto krisenfester und stärker zu machen, sei gescheitert: „Monsanto wirkt vielmehr als Brandbeschleuniger und Katalysator für den Kursverfall“, so Speich.
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An den Finanzmärkten fing die Freude über die guten Quartalszahlen die neuen Glyphosat-Klagen zunächst auf, der Bayer-Kurs legte zum Börsenstart wie der gesamte Dax um gut zwei Prozent zu. Der Umsatz stieg bereinigt um Wechselkurse und andere Sondereffekte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um sechs Prozent auf 12,85 Milliarden Euro, der bereinigte Betriebsgewinn (Ebitda) kletterte um 10,2 Prozent auf 4,39 Milliarden Euro, der Nettogewinn gar um rund 20 Prozent auf 1,49 Milliarden Euro.
Leute kauften Aspirin & Co. auf Vorrat
Die guten Zahlen wurden vor allem getrieben durch die frei verkäuflichen Medikamente. Nach den sich abzeichnenden Einschränkungen durch die Corona-Krise legten sich viele Menschen offenkundig Arznei-Vorräte mit Aspirin & Co. an, wie Bayer erläutert. Der Umsatz mit rezeptfreien Gesundheitsprodukten stieg deshalb weit überdurchschnittlich und dies weltweit um 13,5 Prozent auf knapp 1,4 Milliarden Euro. Schmerzmittel waren dabei besonders gefragt, ihr Umsatz wuchs um knapp 20 Prozent. Noch stärker stiegen nur die Verkäufe von Nahrungsergänzungs-Mitteln, nämlich um ein gutes Drittel (+ 33,7 Prozent).
Der Umsatz mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln stieg um 3,9 Prozent auf 4,55 Milliarden Euro. Auch das Agrargeschäft (Crop Science) legte zu – um 5,7 Prozent auf 6,83 Milliarden Euro. Wie sich die weltweite Ausbreitung des Covid-19-Virus im weiteren Jahresverlauf auswirkt, kann Bayer nach eigener Aussage noch nicht vorhersehen, hält aber zunächst an seinen bisherigen Geschäftsprognosen fest. Hoffnungen, das Malaria-Mittel Chloroquin von Bayer könne sich als wirksam bei der Behandlung des Coronavirus erweisen, werden derzeit geprüft, erhielten zuletzt durch eine negative US-Studie allerdings einen Dämpfer.
Wenning hört nach 54 Jahren bei Bayer auf
Bayer plant an diesem Dienstag die erste online veranstaltete Hauptversammlung. Die Leverkusener nutzen damit als erster Dax-Konzern die entsprechende Änderung des Aktionärsrechts durch die Bundesregierung, die wegen der Corona-Beschränkungen die eigentlich obligatorische Präsenzpflicht der Aktionäre ausgesetzt hat. Deka will Vorstand und Aufsichtsrat voll entlasten, sieht aber den Wechsel an der Spitze des Aufsichtsrats kritisch. Bayer-Urgestein Werner Wenning (73) tritt – dies auch noch virtuell – ab und übergibt an Norbert Winkeljohann (54), den früheren Europa-Chef des Beratungsunternehmens Pricewaterhouse Coopers (PWC). Winkeljohann bringe „nicht die notwendige Expertise für den Vorsitz des Aufsichtsrats mit“, kritisiert Deka-Manager Speich.