Essen. Die Corona-Krise trifft Filialisten wie Deichmann, P&C oder Picture People hart. In Deutschland kommt Kurzarbeit in einem nie dagewesenen Maße.

Es ist eine Lage, auf die sich Christian Hamer nicht vorbereiten konnte. Das Szenario, dass auf einen Schlag sämtliche Umsätze wegfallen, hat sich noch vor einigen Wochen nirgendwo abgezeichnet. Bisher ging es für Hamer meist darum, gute Mitarbeiter für seine schnell wachsende Bochumer Fotostudiokette zu finden, ein „kerngesundes Unternehmen“, wie er sagt. Jetzt befasst sich Hamer plötzlich mit Kurzarbeit, ebenso wie viele andere Filialisten, darunter Deichmann oder P&C. „Wir mussten von jetzt auf gleich alle Läden schließen“, sagt Hamer. „Das ist natürlich für uns eine absolute Ausnahmesituation.“

Auf Deutschland rollt eine Welle von Kurzarbeit in einem nie dagewesenen Maße zu. Auf rund 2,15 Millionen Fälle stellt sich das Bundesarbeitsministerium angesichts der Corona-Krise ein. Christian Hamer muss einen Großteil seiner Belegschaft in Kurzarbeit schicken, etwa 420 seiner bundesweit 500 Beschäftigten, erst einmal bis Ende Mai. Die 80 Auszubildenden sollen übergangsweise ein Trainingsprogramm absolvieren, „womit wir sie halten können“, wie Hamer sagt.

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Bei Kurzarbeit übernimmt die Bundesagentur für Arbeit 60 Prozent des ausgefallenen Nettolohns, 67 Prozent sind es bei Arbeitnehmern mit Kind. Die finanziellen Einbußen für die Belegschaft nennt Christian Hamer „knallhart“. Aber: „Wir machen das, um keine betriebsbedingten Kündigungen aussprechen zu müssen.“

Firmen wie Deichmann, P&C und Ernsting’s family schließen alle deutschen Läden

Für seine Fotostudiokette gilt, was derzeit viele Unternehmen betrifft, insbesondere Modeläden oder Gastronomiebetriebe: Die Mietkosten laufen weiter, aber es gibt keine Kunden oder Umsätze aus den Filialen. Die Essener Schuhhandelskette Deichmann zum Beispiel musste allein in Deutschland wegen der Corona-Krise rund 1200 Läden schließen. Tausende Mitarbeiter sollen in Betriebsferien und Kurzarbeit gehen. Immerhin geht der Online-Handel weiter.

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Auch beim Textilfilialisten P&C bleiben die Verkaufshäuser in Deutschland „vorerst geschlossen“, wie es auf der Internetseite der Firma heißt. Bei Ernsting’s family geht es um 1860 Filialen in Deutschland und Österreich, wie Unternehmenssprecher Marcello Concilio erklärt. „Während zahlreiche Unternehmen in höchster Not bereits auf reduziertes Kurzarbeitergeld umstellen mussten, werden wir für den Monat März pünktlich für die tatsächlich geleistete Arbeitszeit alle Gehälter vollumfänglich überweisen“, betont er. Wie es danach weitergeht? „Wir beobachten die Situation stündlich und täglich“, sagt Concilio.

„Die laufenden Mietkosten ohne Einnahmen sind für unser Unternehmen eine große Belastung“, erzählt Christian Hamer. „Wir haben unsere Vermieter mit der Bitte angeschrieben, finanziell auf uns zuzukommen. Einige Vermieter sind da auch gesprächsbereit und helfen uns. In der Krise zeigt sich bekanntlich der wahre Charakter.“

Auch Ertragsausfall-Versicherung hilft Firma Picture People nicht weiter

Es gebe zwar Ertragsausfall-Versicherungen, berichtet Hamer, aber die helfen hier nicht, weil es sich beim Coronavirus um eine neue Krankheit handele und nicht etwa um einen Brand oder Wasserschaden. Dass die Versicherung nicht einspringe, betreffe nicht nur seine Fotostudio-Kette, sondern viele andere Unternehmen auch. „Ich bekomme mit, dass es in manchen Betrieben um uns herum schon jetzt viele fristlose Kündigungen wegen der Coronakrise gibt, gerade bei Gastronomen oder Fitnessstudios“, erzählt Hamer.

Christian Hamer, Chef der Bochumer Fotostudiokette Picture People, über die Corona-Krise: „Die Konsequenzen für den Arbeitsmarkt werden heftig sein, denke ich. Da rollt ein Tsunami auf uns zu.“
Christian Hamer, Chef der Bochumer Fotostudiokette Picture People, über die Corona-Krise: „Die Konsequenzen für den Arbeitsmarkt werden heftig sein, denke ich. Da rollt ein Tsunami auf uns zu.“ © Picture People

Den Arbeitgebern sollen die Sozialversicherungsbeiträge, die sie üblicherweise bei Kurzarbeit zu zahlen haben, angesichts der Corona-Krise in voller Höhe erstattet werden. Verdi-Chef Frank Werneke kritisiert, es sei unsozial, dass die Arbeitnehmer davon nichts bekämen. Werneke fordert, dass für die Beschäftigten 80 Prozent des Lohns weiter fließen sollten, bei Arbeitnehmern mit Kindern 87 Prozent. „Bei großen Teilen der Beschäftigten ist Kurzarbeit sonst der sichere Weg in die Sozialhilfe“, warnt Werneke.

In manchen Branchen wird das Kurzarbeitergeld aufgestockt

In einigen Branchen gibt es Tarifregelungen über eine Aufstockung, wie das Institut WSI der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung erklärt. Demnach verpflichten sich die Arbeitgeber, einen Zuschuss zu zahlen, so dass die Beschäftigten zwischen 75 und 97 Prozent des Nettogehalts erhalten. Bei der Deutschen Bahn zum Beispiel seien es 80 Prozent des Bruttogehalts. Beim Volkswagen-Konzern wird das Kurzarbeitergeld laut WSI in Abhängigkeit der Entgeltstufen auf 78 bis 95 Prozent erhöht. „Insbesondere in den klassischen Niedriglohnsektoren gibt es oft keine tarifvertraglichen Zuschüsse zum staatlichen Kurzarbeitergeld“, sagt WSI-Experte Thorsten Schulten.

Christian Hamer, eigentlich ein Berufsoptimist, rechnet mit massiven Folgen für die Beschäftigten angesichts der Corona-Krise: „Die Konsequenzen für den Arbeitsmarkt werden heftig sein, denke ich. Da rollt ein Tsunami auf uns zu. In vielen Betrieben herrscht Endzeitstimmung.“