Essen. Thyssenkrupp ist an der Börse auf einen historischen Tiefstand gefallen. Spekulanten wetten auf fallende Aktienkurse. Investoren machen Druck.
Die Aktie des Essener Stahl- und Industriegüterkonzerns Thyssenkrupp ist auf einen historischen Tiefstand gefallen. Am Freitag verloren die Anteilsscheine des Unternehmens zeitweise mehr als sieben Prozent an Wert. Die Aktie notierte zwischenzeitlich nur noch bei 6,77 Euro. Bezogen auf die vergangenen fünf Tage ist dies ein Rückgang um mehr als 20 Prozent. Jede Menge Spekulanten wetten bei Thyssenkrupp wieder auf fallende Aktienkurse. Experten von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) und den Fondsgesellschaften Deka und Union Investment sehen Vorstandschefin Martina Merz gefordert, schnell für Klarheit bei der Strategie zu sorgen.
Vor einer Woche hatte Vorstandschefin Merz den Verkauf des Thyssenkrupp-Aufzuggeschäfts mit mehr als 50.000 Mitarbeitern für 17,2 Milliarden Euro an ein Konsortium um die Finanzinvestoren Advent und Cinven sowie die Essener RAG-Stiftung verkündet. Im Mai wolle das Management dann über die konkrete Mittelverwendung entscheiden.
„Thyssenkrupp ist gefangen in einem selbst verschuldeten Vakuum“, kommentiert dies Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Da der Vorstand erst im Mai verkünden wolle, wie es nach dem Verkauf der Aufzugsparte weitergeht, habe der Vorstand dem aktuellen Kursverfall kaum etwas entgegenzusetzen. „Die Unsicherheit ist Gift. Das dokumentiert sich auch im Aktienkurs“, sagt Tüngler. Thyssenkrupp-Chefin Merz müsse „jetzt liefern“, mahnt er. „Die Ungeduld wächst.“
Spekulanten wetten mit Leerverkäufen auf fallende Kurse
Verstärkt wetten wieder Spekulanten mit sogenannten Leerverkäufen auf fallende Kurse bei Thyssenkrupp. So setzen laut Bundesanzeiger unter anderem die Investmentfirmen AQR Capital Management mit 2,67 Prozent und die Blackrock Institutional Trust Company mit 0,49 Prozent auf einen Rückgang der Thyssenkrupp-Aktie. Das Management hat diese Entwicklung im Blick. Stabilisierend wirke, wird in Konzernkreisen betont, dass das Unternehmen mit der Essener Krupp-Stiftung sowie den Finanzinvestoren Cevian, Harris und GIC, dem Staatsfond aus Singapur, eine Reihe von langfristig orientierten Anlegern unter den Aktionären habe.
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„Thyssenkrupp ist sehr stark von der Konjunktur abhängig. Aktuell schwächelt diese unter anderem aufgrund des Coronavirus“, kommentiert Ingo Speich von der Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka die aktuelle Entwicklung bei Thyssenkrupp. „Außerdem ist Thyssenkrupp operativ schwach aufgestellt, die Zahlen konnten selbst bei einer starken Konjunktur nicht überzeugen.“
„Stabilitätsanker bald nicht mehr Teil des Unternehmens“
Durch den Verkauf des Aufzuggeschäfts werde zwar die Verschuldung reduziert, das Geschäftsmodell von Thyssenkrupp sei aber „weiter fragil“, gibt Speich zu bedenken. „Es hat sich sogar in diesem wirtschaftlichen Umfeld verschlimmert, da der Stabilitätsanker Aufzüge bald nicht mehr Teil des Unternehmens sein wird.“
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In eine Schreiben an die Mitarbeiter erklärt Thyssenkrupp-Finanzchef Johannes Dietsch, das Management analysiere derzeit, ob, wo und in welchem Umfang investiert werde. Dazu müssten zunächst Wirtschaftlichkeitsrechnungen erstellt werden. Diese sollen bis zu den Entscheidungen im Mai vorliegen. Dieser Zeitplan reiche aber augenscheinlich nicht allen Anlegern, was zu einer zusätzlichen Verunsicherung der Investoren führe – und zu Abschlägen beim Aktienkurs von Thyssenkrupp.
„Flucht in defensive Werte und sichere Häfen“
„Im aktuellen Marktumfeld findet eine Flucht in defensive Werte und sichere Häfen statt. Zyklische Aktien stehen stark unter Druck“, analysiert Michael Muders, Fondsmanager bei Union Investment, mit Blick auf den Essener Konzern. „Thyssenkrupp muss jetzt dringend ein überzeugendes Restrukturierungskonzept für den Stahlbereich vorlegen. Welche Maßnahmen werden getroffen? Wie hoch ist der Investitionsbedarf? Daran entscheidet sich, ob der freie Cashflow wie angekündigt innerhalb der nächsten zwei Jahre positiv werden kann. Das ist die Grundvoraussetzung für die Tragfähigkeit des künftigen Geschäftsmodells von Thyssenkrupp.“ Beim Verkauf der Aufzugssparte habe das Unternehmen einen „sehr guten Preis“ erzielt, sagt Muders. „Damit sollte die für die Restrukturierung nötige Liquidität vorhanden sein.“
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Deka-Manager Speich betont, es müsse rasch weitere Schritte zum Umbau des Konzerns geben. „Die Zeit drängt“, betont Speich. Auch wenn der Aktienkurs nun massiv unter Druck stehe, habe sich Thyssenkrupp durch die Trennung von der Aufzugssparte doch „Zeit erkauft“, diese müsse jetzt allerdings auch genutzt werden.
DSW-Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler fordert auch, die Frage nach der Führung von Thyssenkrupp schnell zu klären. Zur aktuellen Verunsicherung trage auch bei, dass ungewiss sei, ob die amtierende Vorstandsvorsitzende über das nächste halbe Jahr hinaus an Bord bleibe. „Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass es niemand machen will“, sagt Tüngler mit Blick auf den Thyssenkrupp-Chefposten.