Essen. Mit dem Ende der Kohlekraftwerke soll das Ruhrgebiet 662 Millionen Euro erhalten. Die Verteilung müssen nun die Kommunen regeln. Ein Novum.
Das Ruhrgebiet muss in den nächsten Jahren seine Steinkohlekraftwerke abschalten. Als Entschädigung insbesondere für den bevorstehenden Verlust von Arbeitsplätzen hat die Bundesregierung 662 Millionen Euro Strukturhilfen zugesagt. Wie das Geld auf welche Projekte verteilt wird, müssen die Kommunen selbst entscheiden und untereinander regeln. Ein Novum.
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Um den komplexen Prozess zu steuern und zu moderieren, hat die Landesregierung die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Business Metropole Ruhr (BMR) beauftragt. Das Projektbüro mit zwei neu eingestellten und zwei Mitarbeitern aus dem BMR-Team hat bereits seine Arbeit im Essener Thyssenhaus aufgenommen. Der Name „Fünf Standorte“ steht für die Städte Duisburg, Gelsenkirchen und Herne sowie für die Kreise Hamm und Unna mit Kohlekraftwerken, die bis zum Jahr 2026 freiwillig vom Netz gehen sollen. Danach drohen Zwangsabschaltungen ohne Entschädigungen. Im Blick hat das Projektbüro aber ausdrücklich das gesamte Ruhrgebiet.
„Wirtschaftsförderung macht nicht an den Stadtgrenzen halt. Man muss den Raum als Ganzes betrachten“, mahnt Christoph Dammermann, Staatssekretär im NRW-Wirtschaftsministerium. Das Projektbüro habe deshalb auch die Aufgabe, „die Zusammenarbeit mit umliegenden Städten und Kreisen zu organisieren“. Denn von den 662 Millionen Euro soll die gesamte Region profitieren. „Die fünf Kommunen haben jetzt die Chance, ihre guten Ideen einzubringen und ihre eigene Zukunft zu gestalten“, so Dammermann.
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BMR-Geschäftsführer Rasmus C. Beck ist zuversichtlich, dass die Revierstädte und deren Oberbürgermeister diese Chance auch nutzen werden. „Der Wille zur Kooperation ist groß, weil die Spielregeln im Strukturstärkungsgesetz klar formuliert sind und es keine vorverhandelten Budgets gibt“, sagt der Wirtschaftsförderer. „Die Mittel sollen für gute Projekte fließen und nicht mit der Gießkanne verteilt werden.“ Beck warnt schon jetzt vor „Proporz-Denken“ und betont: „Durch Kooperation entstehen gute Projekte mit Aussicht auf eine Förderung.“
Welche Investitionen das sein können, soll in gemeinsamen Workshops erarbeitet werden. Auch auf Wunsch der Landesregierung sind die vier großen Themen aber schon im Vorfeld gesetzt: die Entwicklung zusätzlicher Gewerbe- und Industrieflächen, bessere Mobilitätskonzepte, Klimaschutz und erneuerbare Energien sowie Innovation und Bildung.
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Mit konkreten Ideen hält sich Beck erst einmal zurück. Am Zukunftsthema Wasserstoff kommt das Ruhrgebiet aus seiner Sicht aber nicht vorbei – nicht nur, weil Thyssenkrupp seine Stahlproduktion in Duisburg von Kohle auf Wasserstoff umstellen will, um die Klimaziele zu erreichen. Aber auch das in der Bottroper Kokerei von Arcelor Mittal anfallende Kokereigas hat einen hohen Wasserstoff-Anteil, der genutzt werden könnte. „Wir müssen uns intensiv damit beschäftigen, wie der Wasserstoff, der im Ruhrgebiet produziert wird, sinnvoll genutzt werden kann“, fordert der BMR-Geschäftsführer. „Dafür brauchen wir Innovationen aus der Forschung und Projekte für neue Infrastruktur.“
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Der erste Workshop zum Thema Wasserstoff ist bereits für den 16. März terminiert. Im Sommer will Beck in Abstimmung mit den Kommunen die ersten Projektideen vorlegen. „Wir haben keine Zeit zu verlieren im Ruhrgebiet, denn wir brauchen mehr Wachstum und die Konkurrenz schläft nicht“, meint der Wirtschaftsförderer. Dabei ringen Bund und Länder immer noch um wichtige Details des Kohleausstieggesetzes und des Strukturstärkungsgesetzes.
„Es gibt durchaus noch Unsicherheit. Wir wissen nicht, wie am Ende die Rahmenbedingungen des Kohleausstiegsgesetzes genau aussehen werden“, räumt Wirtschaftsstaatssekretär Dammermann ein. Über den Bundesrat versucht die NRW-Landesregierung in diesen Wochen, Verbesserungen zu erreichen. „Die Entschädigungsfrage für die Betreiber von Steinkohlekraftwerken ist im Gesetzentwurf der Bundesregierung schlecht geregelt“, kritisiert Dammermann. Er sieht aber auch Nachteile für das Revier. „Im Ruhrgebiet müssen wir uns beeilen, weil der Ausstieg aus der Verstromung der Steinkohle ambitionierter ist. Die Braunkohlekraftwerke in Ostdeutschland und auch die Steinkohlekraftwerke in Süddeutschland laufen länger“, so der Staatssekretär.
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Offen ist auch die Frage, wer für den Abriss der Kraftwerke aufkommt. Die Landesregierung plädierte bislang dafür, dass die Betreiber wie Steag, Uniper und RWE die Kosten zu tragen hätten – Schätzungen zufolge immerhin rund 60 Millionen Euro pro Standort. Nun sagt Dammermann: „Die Frage, ob die Energiekonzerne die Abrisskosten tragen, müsste idealerweise mit der Zahlung einer adäquaten Entschädigung verknüpft werden. Daran will der Bund im Augenblick jedoch nicht heran.“ Indes begrüßt der Staatssekretär, dass der Gesetzgeber die Unternehmen verpflichten will, zumindest ein Konzept für die Nutzung der Kraftwerksflächen nach der Abschaltung vorzulegen.
Verbesserungsbedarf sieht die Landesregierung aber auch beim Strukturstärkungsgesetz. „Im Moment steht noch im Gesetzentwurf, dass nur Kommunen Mittel beantragen können“, erklärt Dammermann. „Wir wollen erreichen, dass auch Institutionen aus den Städten Anträge stellen können – Kammern, Unternehmen, Hochschulen oder Forschungseinrichtungen – aber natürlich im Einvernehmen mit den Standorten.“