Essen. Raffinerie-Müll von Shell wurde lange falsch deklariert und zur Steag geliefert. Strafermittlungen bleiben aus. Politiker sehen Handlungsbedarf.
Jahrelang sind Raffinerie-Rückstände des Mineralölkonzerns Shell, die das NRW-Umweltministerium mittlerweile als gefährlichen Abfall einstuft, als vermeintlich handelsüblicher Brennstoff für Kohlekraftwerke von Steag und RWE verkauft worden. Das Material sei „fälschlicherweise als Petrolkoks deklariert“ worden, heißt es in einem Ministeriumsbericht, der vor wenigen Tagen veröffentlicht worden ist. Doch eine juristische Aufarbeitung des Falls wird es voraussichtlich nicht geben. Die zuständige Staatsanwaltschaft Köln teilt auf Anfrage unserer Redaktion mit, sie lehne es ab, Ermittlungen aufzunehmen.
„Das ist schon sehr enttäuschend“, sagt Wilfried Kohs, ein früheren Lokführer der Wanne-Herner Eisenbahn (WHE), der das mit krebserregenden Schwermetallen belastete Material aus der Shell-Raffinerie transportiert hat. Landtagsabgeordnete von SPD und Grünen fordern angesichts der Entscheidung der Ermittler Konsequenzen.
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Die Staatsanwaltschaft Köln weist darauf hin, dass es eine „abfallrechtliche Neubewertung“ gegeben habe. Bis dahin sei die Entsorgung des Rußrückstandes, der unter anderem in Kraftwerken, Ziegeleien und in der Kokerei Prosper-Haniel in Bottrop eingesetzt wurde, „nicht unbefugt“ gewesen.
Mehr als 150.000 Tonnen Industriemüll für Steag-Kraftwerke
Es geht um Material aus der Shell-Raffinerie in Wesseling bei Köln, das über Jahre hinweg mit Gütertransporten zu Industriestandorten im Ruhrgebiet gebracht worden ist. Das NRW-Umweltministerium ist eigenen Angaben zufolge im Zusammenhang mit der Beseitigung von Ölpellets aus der Raffinerie des Aral-Mutterkonzerns BP in Gelsenkirchen-Scholven auf die Vorgänge aufmerksam geworden. Daher habe es Nachforschungen zu den Rückständen aus der Schwerölvergasung von Shell gegeben. Mittlerweile ist die Einschätzung des Ministeriums klar: Das Material aus der Shell-Raffinerie sei nicht als „Petrolkoks“, sondern als gefährlicher Abfall einzustufen, sprich: als Sondermüll. Gründe seien ein hoher Wassergehalt und eine Belastung mit Schwermetallen. So weise das Material im Vergleich zu „handelsüblichem Petrolkoks“ höhere Gehalte von Nickel, Vanadium und Schwefel auf.
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Allein in den Steag-Kohlekraftwerken Herne und Lünen wurden nach Angaben des NRW-Umweltministeriums über Jahre hinweg mehr als 150.000 Tonnen des mit Schwermetallen belasteten Raffinerie-Rückstands von Shell verbrannt. Auch die Bottroper Kokerei von ArcelorMittal und das RWE-Kraftwerk Weisweiler sind mit vermeintlichem „Petrolkoks“ beliefert worden.
Grüne fordern Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Umweltkriminalität
„Immer wenn es um mögliche Straftaten im Umweltbereich geht, werden Verfahren erstaunlich schnell eingestellt oder nicht einmal begonnen“, sagt der Grünen-Landtagsabgeordnete Norwich Rüße zur Entscheidung der Staatsanwaltschaft im Fall Shell. „Dabei sind Umwelt- und Tierschutz sogar im Grundgesetz verankert, es handelt sich also mitnichten um Kavaliersdelikte. Die einzig richtige Konsequenz aus dieser Tatsache kann daher nur die Errichtung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Umweltkriminalität sein, die gezielt solche Fälle aufarbeitet.“
Auch SPD-Landtagsfraktionsvize Michael Hübner sieht Handlungsbedarf. „Dass die Staatsanwaltschaft Köln keinen Anfangsverdacht feststellen konnte, macht nur deutlich, dass die Rechtslage oder aber die Genehmigungs- und Kontrollpraxis mit Blick auf Raffinerie-Rückstände nicht ausreichend ist“, sagt Hübner. Auch wenn bei der Genehmigung vor vielen Jahren rechtlich noch nicht genau definiert gewesen sei, was als Petrolkoks deklariert werden dürfe und Shell zu diesem Zeitpunkt nicht illegal gehandelt habe, entlasse dies ein Unternehmen aus seiner Sicht „nicht aus der Verantwortung“, betont Hübner. „Den Beteiligten hätte zumindest irgendwann klar werden müssen, dass die Shell-Rückstände nichts mehr mit dem zu tun haben, was im Rest der Welt als Petrolkoks gehandelt wird.“
Möglicherweise hatten Mitarbeiter der Wanne-Herner Eisenbahn über Jahre hinweg ohne hinreichenden Schutz Kontakt zu gefährlichen Stoffen. „Wir haben uns immer auf unsere Papiere verlassen“, berichtet der frühere Lokführer Kohs. Dort sei nichts von einer gefährlichen Fracht zu lesen gewesen.
Abgeordneter spricht von „illegaler Müllentsorgung“
„Wenn mit den Shell-Rückständen gearbeitet wurde, hätten strenge Arbeitsschutzmaßnahmen gelten müssen“, urteilt Hübner. „Dieser sogenannte Petrolkoks war keiner.“ Deshalb gehe es um „illegale Müllentsorgung“. Die Staatsanwaltschaft Köln lehnt indes die Aufnahme von Ermittlungen auch mit dem Argument ab, dass „eine Umweltgefährdung bei dem Einsatz des Rückstandes nicht festgestellt“ worden sei. Diese Einschätzung sei noch zu beweisen, hebt Hübner hervor.
„Traurig“, sagt der frühere WHE-Mitarbeiter Kohs kurz und knapp, als er von der Entscheidung der Kölner Ermittler erfährt. „Es war meine Hoffnung, dass die Staatsanwaltschaft aktiv wird.“