Essen. Die Grünen in NRW fordern Hilfe für Thyssenkrupp und erhöhen den Druck auf Ministerpräsident Laschet. „Eilantrag“ für kleinen Parteitag in Essen.
Die Grünen in NRW wollen sich für einen Erhalt der heimischen Stahlindustrie einsetzen und rufen nach massiver staatlicher Unterstützung für Konzerne wie Thyssenkrupp. In einem Eilantrag zum kleinen Parteitag am kommenden Sonntag in Essen spricht sich eine Gruppe um Landeschefin Mona Neubaur und Grünen-Wirtschaftspolitikerin Katharina Dröge dafür aus, durch staatliche Mittel „die konkrete Investitionsentscheidung“ für eine CO2-freie Stahlherstellung zu ermöglichen. „Die erste CO2-freie Bramme muss aus NRW kommen“, heißt es in dem Eilantrag. Die Grünen erhöhen damit den Druck auf NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und Landeswirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP).
Die NRW-Landesregierung und die Bundesregierung seien „offensichtlich nicht bereit, die Stahlindustrie bei der notwendigen Transformation mit gezielten politischen Maßnahmen zu unterstützen“, kritisieren die Grünen in ihrem Eilantrag. Die bisherigen Vorschläge der Landesregierung seien „viel zu vage“.
Stahlindustrie „im Sog der Industrie-Rezession“
Die Branche befindet sich in einer schwierigen Situation. Im September ging die Rohstahlerzeugung in Deutschland gegenüber einem bereits schwachen Vorjahresmonat um vier Prozent zurück, wie die Wirtschaftsvereinigung Stahl in Düsseldorf mitteilte.
Die deutsche Stahlindustrie befinde sich aktuell „im Sog der Industrie-Rezession“, erklärte das Essener Wirtschaftsforschungsinstitut RWI. Schätzungen des Instituts zufolge dürfte die Rohstahlerzeugung 2019 im Jahresdurchschnitt um 5,6 Prozent sinken. Auch die Aussichten sind trübe. Da die Stahlkonjunktur wohl auch im kommenden Jahr schwach bleiben werde, rechnet das RWI mit einem Rückgang der Beschäftigung um knapp zwei Prozent. Das entspricht einem Abbau von rund 1500 Arbeitsplätzen.
Ende der klassischen Hochöfen absehbar
Angesichts weltweiter Überkapazitäten in der Stahlindustrie sei es „völlig klar, dass in NRW, Deutschland und Europa kein neuer Hochofen auf der klassischen, klimaschädlichen Kokskohlenbasis mehr gebaut werden wird“, betonen die Grünen. Der fortschreitende Alterungsprozess der vorhandenen Hochöfen und dadurch absehbare Stilllegungen führten dazu, dass die bisherige Art der Stahlproduktion in den nächsten 20 Jahren aus NRW, Deutschland und Europa verschwinden werde, heißt es im Eilantrag zum kleinen Parteitag am Sonntag (27. Oktober) in Essen. „Nur der nächste große Innovationsschritt in der Stahlerzeugung – nämlich vor allem die Umstellung auf den klimaneutralen Hochofenprozess mit erneuerbar erzeugtem Wasserstoff – bietet die Chance, die Stahlindustrie hierzulande zu erhalten.“
Auch NRW-Wirtschaftsminister Pinkwart hatte unlängst in einem Gespräch mit unserer Redaktion betont, im Stahlbereich seien „im kommenden Jahrzehnt Milliarden-Investitionen erforderlich, damit Thyssenkrupp langfristig weitgehend klimaneutral produzieren kann“.
Grüne fordern Quote für klimaneutralen Stahl
Für Investitionen in eine CO2-freie Stahlerzeugung sollten nach Ansicht der Grünen unter anderem Mittel aus dem Innovationsfonds des Europäischen Emissionsrechtehandels in NRW zum Einsatz kommen. Zudem regen die Grünen „eine Quote für klimaneutralen Stahl“ sowie eine Kompensation von möglichen Wettbewerbsnachteilen durch höhere Produktionskosten an.
Die Grünen heben in ihrem Eilantrag unter der Überschrift „Stahlstandort NRW stärken“ die große Bedeutung der Branche mit rund 46.000 Beschäftigten allein an Rhein und Ruhr hervor. Tausende Arbeitsplätze bei Zulieferern und Dienstleistern seien ebenfalls an die Stahlbranche gekoppelt. „Klimafreundliche, innovative und wettbewerbsfähige Stahlproduzenten sind unverzichtbar für die ökologische Modernisierung der Industrie“, heißt es in dem Antrag der Grünen.
„NRW ist Stahlland“
„NRW ist Stahlland – und muss es auch in Zukunft bleiben“, sagte die nordrhein-westfälische Grünen-Vorsitzende Mona Neubaur unserer Redaktion. „Wir Grüne wollen, dass der erste CO2-freie Hochofen in NRW steht.“
Pinkwart hatte unlängst Hilfen für die Stahlhersteller in Aussicht gestellt. „Wir wollen die Stahlindustrie dabei unterstützen, trotz der bestehenden großen Herausforderungen Investitionen in Zukunftstechnologien zu tätigen“, sagte der NRW-Wirtschaftsminister. Als Ansätze nannte er beispielsweise Entlastungen beim Strompreis sowie den CO2-Zertifikaten und die Förderung von Zukunftsprojekten in der Stahlindustrie.
Strengere Umwelt- und Klimaschutzauflagen setzen die Stahlhersteller in Deutschland unter Druck. Thyssenkrupp strebt an, bis zum Jahr 2030 die Emissionen aus eigener Produktion und eingekaufter Energie um rund 30 Prozent zu senken. Derzeit fallen pro Jahr etwa 24 Millionen Tonnen Kohlendioxid an. Ab dem Jahr 2050 will Thyssenkrupp klimaneutral sein, also in Summe keine Emissionen mehr verursachen.
Wasserstoff soll Kohle ersetzen
Um Klimaneutralität zu erreichen, müsste Thyssenkrupp sämtliche Hochöfen durch sogenannte Direktreduktionsanlagen auf Wasserstoffbasis ersetzen. Ein Pilotprojekt für den Hochofen 9 in Duisburg-Hamborn hat das Unternehmen bereits präsentiert. Später könnte Thyssenkrupp komplett auf die Kohle verzichten und stattdessen „grünen Wasserstoff“ einsetzen, so dass bei der Stahlerzeugung erst gar kein CO2 entsteht.
Angesichts der Situation von Thyssenkrupp sprechen sich die Grünen auch für eine schärfere Regulierung von Finanzinvestoren aus. „Zukunftsfähige Industrieunternehmen brauchen am langfristigen Erfolg der Unternehmen interessierte Eigentümer. Die Beteiligung von Finanzinvestoren darf nicht zu einer Zerschlagungspolitik führen, für die Cevian Capital bei Thyssenkrupp steht“, heißt es im Eilantrag der Grünen in NRW. „Das Spiel von Finanzinvestoren, wie jetzt Cevian bei Thyssenkrupp, ist verantwortungslos“, kritisiert die Grünen-Wirtschaftspolitikerin Katharina Dröge. Die Bundesregierung habe es „über Jahre verpasst, hier klare Regeln zu schaffen, die Zerschlagung und schnelle Profite verhindern“.