Der Essener Chemiekonzern Evonik will künftig Material für die Gewebezüchtung liefern und in das Geschäft mit künstlicher Haut einsteigen.
Essen. Der Essener Chemiekonzern Evonik erforscht neuerdings die Zucht von Hautgewebe im Labor. „Gerade Opfern von Verbrennungen, die meist auf rasche Hilfe angewiesen sind, könnte es helfen, wenn sich die Zucht von künstlicher Haut beschleunigen lässt“, sagte Evonik-Projektleiter Alexander König im Gespräch mit unserer Redaktion. „Auch bei chronischen Wunden wie diabetisches Fußsyndrom könnte gezüchtetes Gewebe zum Einsatz kommen.“
Menschliche Haut im Labor zu züchten, sei bereits jetzt möglich, erläutert König. Doch die Verfahren seien noch sehr zeitaufwendig und teuer. „Wir wollen neue Materialien und Verfahren entwickeln, um die Zucht von Gewebe im Labor schneller und kostengünstiger zu machen“, berichtet der Evonik-Manager, der Chemiker und Leiter eines konzerneigenen Projekthauses in Singapur ist.
Schon jetzt zahlreiche Kunden aus der Pharmaindustrie
Evonik sei zwar kein Pharmakonzern, habe aber große Erfahrungen als Partner und Materiallieferant für die Gesundheitsindustrie. So stelle Evonik unter anderem Material für Tabletten oder Implantate her. „Auch bei der Gewebezüchtung, an der wir nun arbeiten, wollen wir unsere Kunden zukünftig unterstützen“, kündigt König an. Das Ziel sei, den Kunden „die besten Materialien für die Gewebezucht anzubieten“. Unternehmensangaben zufolge gehören etwa 90 Prozent der Top-50-Pharmaunternehmen weltweit zu den Kunden von Evonik.
Um Menschen mit großflächigen Hautverletzungen zu behandeln, müssten derzeit meist noch Gewebepartien operativ entfernt und versetzt werden, erklärt König. „Dies ließe sich vermeiden, wenn Haut aus dem Labor bei Transplantationen zum Einsatz käme.“ Die Züchtung von Gewebe im Labor sei überaus komplex. „Eine wichtige Rolle bei unseren Forschungen spielt die Frage, unter welchen Bedingungen künstliches Gewebe am besten wächst. Wir befassen uns intensiv damit, welche Nährstoffkombinationen erforderlich sind – Salze, Zucker, Spurenelemente und Aminosäuren zum Beispiel.“
„So lassen sich Tierversuche vermeiden“
Der Essener Chemiekonzern Evonik, der weltweit mehr als 32.000 Menschen beschäftigt, präsentierte das Projekt auch bei einer Pressekonferenz in Düsseldorf. Vize-Vorstandschef Harald Schwager betonte bei dieser Gelegenheit, das Unternehmen werde die Ausgaben für Forschung und Entwicklung konstant bei mehr als 450 Millionen Euro jährlich halten. Gerade für einen Spezialchemiekonzern wie Evonik seien Innovationen wichtig, um profitables Wachstum zu erreichen. Schwager betonte, Anspruch des Unternehmens sei, „der beste Spezialchemiekonzern der Welt“ zu werden.
Nachfrage nach Haut aus dem Labor gebe es nicht nur bei Kliniken, berichtet der Evonik-Projektleiter. „Möglichst realistische Nachbildungen der menschlichen Haut können auch zu Forschungs- und Testzwecken genutzt werden, etwa um Kosmetika oder Medikamente zu testen. So lassen sich Tierversuche vermeiden.“ Sogenannte Hautmodelle werden auch eingesetzt, um neue Reinigungsmittel oder Chemikalien zu prüfen.
„Rechtliche Standards, die auch in Deutschland gelten“
Den Standort für das Projekthaus in Singapur, wo Evonik rund 20 Forscher beschäftigt, hat das Essener Unternehmen gezielt ausgewählt. „In Singapur gibt es Top-Universitäten und eine Vielzahl von Fachleuten im Bereich der Gewebezüchtung“, sagt König. Zugleich seien Forscher am Evonik-Standort Darmstadt und in den USA eingebunden. „Wir halten uns in unserem Labor in Singapur an die rechtlichen und ethischen Standards, die auch in Deutschland gelten“, betont König. Das Projekt sei auf drei Jahre angelegt. „In der Regel führen wir die Ergebnisse der Projekthäuser nach deren Beendigung in die kommerzielle Produktion der Materialien über.“