Berlin. Der konservative Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel übt Kritik an der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Mit der bloßen Hoffnung auf Wachstum sei Schwarz-Gelb "auf dem Holzweg". Miegels Schelte richten sich nicht nur an die Bundespolitiker, sondern vor allem auch an Jürgen Rüttgers.

„Das ist altes Denken.” Rigoros kritisiert der konservative Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel den CDU-Wahlkampf in NRW. Miegel wirft Ministerpräsident Jürgen Rüttgers vor, immer noch auf wirtschaftliches Wachstum zu setzen: „Er sollte den Bürgern die Wahrheit sagen. Das Wachstum geht zu Ende.” Wirtschaftspolitisch sei Schwarz-Gelb auf dem „Holzweg”.

Miegel kritisierte gestern in Berlin auch die Politik der neuen Bundesregierung: „Wir haben die schizophrene Situation, dass die Bundeskanzlerin auf der einen Seite voll auf Wachstum setzt, und auf der anderen Seite sagt: Dieses Wachstum führt uns in die Katastrophe, es zerstört die Grundlagen unseres Erfolges.”

Mit Blick auf die Landtagswahl in NRW befürchtet Miegel einen Kniefall vor dem Wachstumsgötzen: „Rüttgers geht davon aus, dass die Bevölkerung daran gewöhnt ist, dass Wachstum ihre Probleme löst. Das hat man den Leuten 60 Jahre lang gesagt. Man kann also davon ausgehen, dass jeder mit dem Kopf nickt”, so Miegel am Rande einer Tagung des „Denkwerk Zukunft”. Politiker scheuten davor zurück, neues Denken einzuführen. „Man kann eben zunächst auch Prügel dafür bekommen.” Rüttgers hatte vor kurzem zusammen mit Unternehmern aus NRW die Erklärung „Gemeinsam für mehr Wachstum” veröffentlicht.

"Am Anfang ist das unbequem"

Meinhard Miegels „Denkfabrik Zukunft” verfolgt ein anderes Ziel: Unter dem Motto „Besser statt mehr” diskutierten am Montag rund 350 Experten aus Wissenschaft und Politik über Wege zu einem Wohlstand in Zeiten schrumpfenden Wirtschaftswachstums. „Die Menschen werden ärmer, aber nicht unglücklicher”, prognostizierte der Zukunftsforscher Horst W. Opaschowski.

„Am Anfang ist das unbequem”, weiß der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Dennis L. Meadows, der 1972 im Auftrag des Club Of Rome die bahnbrechende Studie zu den „Grenzen des Wachstums” veröffentlicht hatte. Meadows ist ein Mann fürs Anschauliche: „Verschränken Sie mal die Arme vor der Brust”, fordert der Wissenschaftler sein Publikum auf. „Welche Hand liegt oben?” fragt er und bittet, die Übung zu wiederholen. „Wieder die gleiche? Okay, beim nächsten Mal nimmt jeder die andere.” Sein Publikum versucht's und quält sich. „Sie sehen: Verhaltensweisen zu ändern ist unbequem, aber es ist möglich.”

Volkswirtschaften auf Wachstum getrimmt

Und wer übt mit den Deutschen das Leben ohne Wachstum? Meinhard Miegel sorgt sich: „Ich sehe keine Partei, die begriffen hat, was passiert. Einzelne Politiker lobt Miegel dagegen: Den ehemaligen Umweltminister Klaus Töpfer etwa, oder auch Bundespräsident Horst Köhler, der in seiner letzten Neujahrsansprache die Deutschen auf das Ende des Wachstums einschwor.

Allerdings: Niemand weiß genau, wie man Volkswirtschaften, die von der Grundschule bis zur Uni, vom Arbeitsplatz bis zum Freizeitvergnügen auf Leistung, Effizienz und Wachstum getrimmt sind, auf eine Zeit danach einstimmt. Und: Wann man damit anfängt. Beispiel Opel: „Wenn ich sage”, so Miegel, „diese Art von Wachstum, wie wir sie in der Vergangenheit erlebt haben, werden wir in Zukunft nicht haben, dann kann ich dem Opelaner nicht sagen: Aber bei dir werden wir jetzt noch mal weiterwachsen.”

Die zentrale Hoffnung der Wachstumsrhetoriker begrub Meadows mit einem Satz: Wer glaube, mit Hilfe von Zukunftstechnologien alle Probleme von Marktsättigung bis Ressourcenknappheit, vom CO2-Ausstoß bis zur Überalterung und zur Überbevölkerung zu lösen, sei naiv. „Das wäre so, als würde man den Gefrierpunkt von Wasser beeinflussen wollen.” Kommentar