Bonn. . Interview mit Post-Chef Frank Appel: Er verteidigt die geplante Porto-Erhöhung und kündigt steigende Paketpreise an.

Seit mehr als 16 Jahren ist Frank Appel im Vorstand der Deutschen Post, seit mehr als zehn Jahren Vorstandschef. Schwierige Monate liegen hinter ihm. Die Gewinnprognose hat Appel 2018 nach unten korrigieren müssen, trotz des Online-Shopping-Booms sind die Gewinne im deutschen Brief- und Paketgeschäft rückläufig. Vor der Hauptversammlung am 15. Mai in Bonn schwelt zudem eine Diskussion über die geplante Portoerhöhung. Im Interview mit Ulf Meinke zeigt sich Appel entschlossen und spricht darüber, welche Fehler er korrigieren will. Zudem kündigt er höhere Paketpreise an.

Briefe zu versenden, wird bald deutlich teurer. Obwohl Sie schon jetzt Milliardengewinne erwirtschaften, gewährt Ihnen die Bundesnetzagentur eine Preiserhöhung von mehr als zehn Prozent. Muss das sein?

Frank Appel: Es geht ja um einen Zeitraum von drei Jahren, auf ein Jahr bezogen sind es also rund 3,5 Prozent. Die Behörde erkennt an, dass unsere Personalkosten deutlich gestiegen sind und weniger Briefe geschrieben werden. Das lässt sich nicht durch mehr Produktivität ausgleichen. Und was unsere Gewinne angeht: Der größte Teil davon kommt aus dem Ausland.

Ein Standardbrief könnte ab Juli statt 70 Cent bis zu 90 Cent kosten. Wollen Sie den Spielraum, den Ihnen die Netzagentur für die Preiserhöhung gibt, voll ausnutzen?

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Appel: Wir werden in den nächsten Tagen über die zukünftigen Preise für die einzelnen Briefprodukte entscheiden. Ob es 80, 85 oder 90 Cent für den Standardbrief werden, hängt auch von den künftigen Preisen für andere Produkte wie Kompakt-, Groß-, Maxibrief und Postkarte ab. Glatte Beträge wären sicher von Vorteil. Klar ist aber auch: 3,5 Prozent pro Jahr sind das, was wir benötigen, um weiterhin gute Qualität liefern zu können. Viele unserer Briefzentren sind in den 90er Jahren gebaut worden. Hier müssen wir investieren.

Ein Euro als Preis für den Standardbrief ist also bald gar nicht mehr so weit entfernt.

Appel: Mit der anstehenden Entscheidung gibt es in den nächsten drei Jahren keinen weiteren Spielraum für eine Portoerhöhung in Deutschland. Richtig ist aber auch, dass der Durchschnittspreis für einen Standardbrief in Europa schon jetzt bei 94 Cent liegt.

Trägt die Deutsche Post als Unternehmen, das zum Teil dem Staat gehört, eine Verantwortung dafür, die Preise für die Bürger möglichst gering zu halten?

Appel: Der aktuellen Auswirkungen sind für die Bürger überschaubar. Umgerechnet auf einen Haushalt geht es um durchschnittlich 23 Cent mehr im Monat. Verglichen mit Preissteigerungen für Strom oder Telekommunikation ist das nun wirklich eine kleine Summe. Um 23 Cent an anderer Stelle zu sparen, reicht es hin und wieder schon aus, am Nachmittag und nicht morgens zur Tankstelle zu fahren.

Die aktuelle Porto-Erhöhung wird nur möglich, weil das Wirtschaftsministerium eine neue Berechnungsgrundlage für die Post schafft. Können Sie den Vorwurf der Selbstbedienung angesichts einer 20-Prozent-Staatsbeteiligung am Konzern nachvollziehen?

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Appel: Der Vorwurf ist abwegig. Die Bundesregierung hat gesehen, dass ein Erhöhungsspielraum von 1,6 Prozent, der ursprünglich in Rede stand, nicht angemessen ist. Dieser Wert hätte unter der Inflation gelegen. Jetzt werden in die Berechnung nur Postunternehmen einbezogen, die mit uns vergleichbar sind. Die rumänische Post beispielsweise gehört nun nicht mehr dazu.

Ihre Rivalen im Paketgeschäft DPD, GLS und Hermes sprechen von Wettbewerbsverzerrung. Durch höhere Einnahmen aus dem Briefgeschäft ließe sich die Paketsparte subventionieren. Ist das so?

Appel: Das ist eine alte Behauptung, die nachweislich nicht stimmt. Im Übrigen ist es bemerkenswert, wenn sich unsere Wettbewerber so äußern. DPD gehört zum französischen Staatskonzern La Poste – und in Frankreich kostet das vergleichbare Porto schon jetzt mehr als ein Euro. Die Royal Mail – zu der GLS gehört – verlangt auch schon 77 Cent.

Nie zuvor haben sich so viele Kunden in Deutschland über Postdienstleistungen bei der Netzagentur beschwert wie im vergangenen Jahr. Von rund 12.000 Fällen ging es bei der Hälfte um die Briefbeförderung oder Briefzustellung. Können Sie damit zufrieden sein?

Appel: Diese Zahl umfasst nicht nur uns, sondern alle Postdienstleister, aber ganz klar: Jede Beschwerde ist eine zu viel. Es ärgert mich, wenn wir eine Dienstleistung nicht so erbringen, wie es sein sollte. Nur: Wir arbeiten eben mit Menschen, und Menschen machen auch Fehler. Wenn man sich die Beschwerden bei der Bundesnetzagentur anschaut, dann ist es bei uns eine Beschwerde auf 2,3 Millionen beförderte Brief- und Paketsendungen. Die Anzahl der Beschwerden bei Postdienstleistungen ist übrigens deutlich niedriger als im Telekommunikations- oder Strombereich.

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Wie erklären Sie sich denn die Beschwerden, die Ihr Brief- und Paketgeschäft betreffen?

Appel: Wir haben im vergangenen Jahr Anzeichen dafür gehabt, dass unsere Qualität leidet. Darauf haben wir reagiert, und wir sind wieder besser geworden – etwa bei der Laufzeit von Briefen und Beschädigungsquoten. Wir können aber noch besser werden. Daran arbeiten wir intensiv.

Gilt die Aussage, dass mehr als 90 Prozent der Briefe ihre Empfänger am nächsten Werktag erreichen?

Appel: Wir waren immer weit oberhalb der gesetzlichen Vorgabe von 80 Prozent. Derzeit erreichen wir Werte von 93 Prozent. Die Situation hat sich stabilisiert.

Reichen die geplanten 5000 neuen Stellen für Zusteller in diesem Jahr aus, um die Mängel zu beseitigen?

Appel: Die zusätzlichen Stellen reichen aus, um besser zu werden und weiter wachsende Paketmengen zu meistern.

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Muten Sie den Zustellern an der einen oder anderen Stelle zu viel zu – etwa durch zu große Bezirke, die Beschäftigte versorgen müssen?

Appel: Im Schnitt ist das, was wir von unseren Mitarbeitern erwarten, leistbar. Wir haben kein grundsätzliches Problem, aber viel hängt von der Umsetzung vor Ort ab und natürlich können Bezirke auch mal falsch geschnitten sein. Dort, wo etwas nicht funktioniert, greifen wir ein. Wenn die Mitarbeiter überlastet sind, sind sie häufiger krank und die Qualität unserer Dienstleistung leidet. Wir haben das Ziel, dass es nicht dazu kommt.

Nachdem ihr Vorstandskollege Jürgen Gerdes gehen musste, haben Sie sich ein Jahr lang zusätzlich zum Job des Konzernchefs um den Bereich Post und Paket in Deutschland gekümmert. Warum?

Appel: Wenn es in einem Bereich Probleme gibt, ist es mir wichtig, zum einen die Dinge noch besser zu verstehen und zum anderen sorgfältig die richtigen Führungskräfte für die Zukunft auszusuchen. Der Bereich war ja jahrelang erfolgreich und ich habe bestimmte Probleme erst später erkannt.

Wir ernst ist die Lage im deutschen Post- und Paketgeschäft? Ist der Bereich ein Sanierungsfall?

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Appel: Nein, wir haben hier ja im vergangenen Jahr immer noch 650 Millionen Euro Gewinn gemacht. Einmal-Aufwendungen von 500 Millionen Euro herausgerechnet, hätten wir über eine Milliarde Euro Gewinn ausgewiesen. Wir haben daher keinen Sanierungsfall und benötigen auch keine Sanierung. Wir senken aber Kosten dort, wo es möglich ist, und zwar immer sozialverträglich. Ein Beispiel: Unser Ziel ist, die Brief- und Paketzustellung auch in der Sortierung besser zu verknüpfen. Wir haben zunehmend Pakete, die leichtgewichtig sind. Für diese Sendungen wollen wir künftig stärker unsere Briefzustellung nutzen, die kostengünstiger ist.

Die rund 13.000 Beschäftigten Ihrer Billig-Tochter Delivery holen Sie in den Haustarifvertrag der Deutschen Post zurück – zur Zufriedenheit der Gewerkschaft Verdi.

Appel: Wir haben jetzt einen Kompromiss, der gut für das Unternehmen und die Mitarbeiter ist. Verdi ist froh, dass die Mitarbeiter nun alle im Haustarifvertrag sind. Und wir sind froh darüber, dass unsere Kosten mit dem neuen Entgelttarifvertrag langsamer steigen und wir dadurch auf längere Sicht wettbewerbsfähig bleiben.

Planen Sie neben dem Porto auch höhere Preise im Paketgeschäft?

Appel: Wir haben im vergangenen Jahr angefangen, die Preise für Pakete bei unseren Geschäftskunden und Anfang des Jahres auch bei einem Filialpaketprodukt zu erhöhen. Die Lohn- und Kostensteigerungen müssen wir an unsere Kunden weitergeben. Wir glauben aber, dass wir als Marktführer auch zukünftig die Preise weiter erhöhen müssen. Ich vermute auch, dass sich unsere Wettbewerber daran orientieren.

Betrifft die Preiserhöhung nicht nur Ihre Geschäftskunden, sondern auch Ihre Privatkunden?

Appel: Generell müssen sich die Kunden auf steigende Paketpreise einstellen. Eine Voraussetzung dafür ist jedoch eine stabile hohe Qualität. Das haben wir gerade erst im Weihnachts- und Ostergeschäft bewiesen – praktisch alle Pakete sind rechtzeitig angekommen. Und schließlich wollen wir auch unsere Mitarbeiter anständig bezahlen und keinen Niedriglohnwettbewerb. Gute Qualität und gute Löhne für unsere Zusteller gibt es aber nicht zum Nulltarif.

Amazon gehört zu Ihren wichtigsten Großkunden. Macht es Sie nervös, dass der US-Konzern in Deutschland ein eigenes Zustell-Netzwerk aufbaut?

Appel: Wir haben ein gutes Verhältnis zu Amazon. Unser Geschäft mit Amazon wächst weltweit. Wenn wir weiterhin die beste Qualität anbieten, sehen wir auch, dass die Geschäftsvolumina bei uns bleiben.

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Das politische Umfeld ist unsicherer geworden, etwa durch Handelskonflikte und den geplanten Brexit. Wie blicken Sie auf die Europawahl Ende Mai?

Appel: Ich sage unseren Mitarbeitern: Bitte gehen Sie wählen! Eine niedrige Wahlbeteiligung könnte zu höheren Stimmanteilen von Populisten führen. Die deutsche Geschichte lehrt uns, wie fatal es ist, Rattenfängern hinterherzulaufen. Ja, es gibt Herausforderungen wie die Migration oder die Digitalisierung – und es gibt eine empfundene Unsicherheit. Einfache Antworten auf schwierige Fragen lösen aber kein einziges Problem.

Wie blicken Sie auf Europa?

Appel: Ich bin jemand, der 1961 geboren ist, und ich sehe: Was wir hier in Europa erreicht haben, ist phänomenal. Wer das Gegenteil behauptet, verkennt die Fakten. Es ist doch großartig, dass wir heute durch Europa reisen können, ohne an den Grenzen zu stehen oder in vielen Ländern Geld umtauschen zu müssen. Es ist zum anderen keine Lösung, Europa einfach mit einem hohen Zaun zu umgeben. Die Menschen, die aus ihren Heimatländern auswandern wollen, benötigen eine Perspektive. Oder glauben Sie, dass Tausende Menschen freiwillig ihre Heimat verlassen? Diese Menschen haben in den allermeisten Fällen keine Alternative. Daher müssen wir daran arbeiten, für sie Alternativen zu schaffen.

Welche Verantwortung trägt die Wirtschaft?

Appel: Wir haben mittlerweile über 4000 Flüchtlinge bei uns beschäftigt, und diese Menschen arbeiten genauso gut, wie die Menschen, die in unserem Land geboren wurden. Die Zuwanderer müssen eine Chance bekommen. Es hilft nicht weiter zu sagen, sie dürfen alle nicht kommen und dann wird es besser – davon wird gar nichts besser. Wir haben heute in Deutschland keine Flüchtlingskrise mehr.

Bereiten Ihnen die globalen Handelskonflikte Sorgen?

Appel: Auch in der Wirtschaft schadet Abschottung nur. Nennen Sie mir ein Land, das mit Protektionismus erfolgreich ist? Es gibt keins. Wettbewerbsfähig wird man nicht durch Abschottung, sondern durch die beste Infrastruktur, das beste Bildungssystem und damit, dass man sich dem Wettbewerb aussetzt. Die deutschen Unternehmen, auch die Mittelständler, sind sehr global aufgestellt. Daher bin ich sehr zuversichtlich.