Essen. . Bei der Hauptversammlung in der Essener Grugahalle hat sich Werner Müller als Aufsichtsratschef des Chemiekonzerns Evonik verabschiedet.

Die Hauptversammlung lief schon einige Zeit, als sich Werner Müller zu einer Klarstellung veranlasst sah. Eine Aktionärin war auf die Idee gekommen, Müller müsse wegen seiner schweren Erkrankung bei seiner letzten Hauptversammlung als Aufsichtsratschef des Essener Chemiekonzerns Evonik geschont werden. Die Redner sollten sich doch bitteschön beim Fragen zurückhalten, um ein rasches Ende der Veranstaltung zu ermöglichen. Das ging Müller dann doch ein bisschen zu weit. Mit dem ihm eigenen Humor gab er zu Protokoll: „Auf dem Kopf sieht’s kahler aus, im Kopf ist alles klar.“ Im Übrigen sei er zu Hause „nicht vor 16 Uhr angemeldet“.

Es war eine besondere Art, vom Unternehmen, das ohne ihn nicht existieren würde, Abschied zu nehmen: Müller machte – wie üblich mit einer Prise Humor – einfach seine Arbeit und führte das Aktionärstreffen in der Essener Grugahalle souverän bis zum Schluss. „Wir sollten uns auf die Tagesordnung konzentrieren, dazu gehört mein Ausscheiden nicht“, sagte Müller nur. Abschiedsreden zu halten, überließ er anderen.

„Sie sagten zu mir, das Leben sei Dienst“

So würdigte Evonik-Vorstandschef Christian Kullmann den scheidenden Aufsichtsratschef als „Gründervater“ des Revierkonzerns, der vor rund zehn Jahren aus dem Bergbau-Unternehmen RAG hervorgegangen war. Kullmann betonte, er wolle Müllers Prinzipien in der Unternehmensführung in die Zukunft tragen. „Sie sagten in Vorbereitung dieser Hauptversammlung zu mir, das Leben sei Dienst“, sagte Kullmann. Seinen Dienst für Deutschland, das Ruhrgebiet und Evonik habe Müller auf „herausragende Art“ geleistet. „Ihre soziale Verantwortung im Handeln ist uns Vorbild“, fügte Kullmann hinzu.

Bernd Tönjes, der nach Müller an die Spitze der RAG-Stiftung und des Evonik-Aufsichtsrats rückt, nannte seinen Vorgänger den „Architekten der Neuausrichtung“.

Ein Modell, um die Steuerzahler zu schonen

Die RAG-Stiftung auf dem Gelände des Welterbes Zollverein ist mit rund 68 Prozent Großaktionärin bei Evonik. Nach dem Ende der Steinkohlenförderung in Deutschland soll die Stiftung für die milliardenschweren Folgekosten geradestehen, ohne die Steuerzahler zu belasten. Der frühere Bundeswirtschaftsminister Müller hatte das Stiftungsmodell in seiner Zeit als RAG-Chef maßgeblich entwickelt.

Auch interessant

Im Jahr 2003 war Müller auf den Chefsessel des von der Kohle geprägten RAG-Konzerns gewechselt. Er formte aus dem Subventionsempfänger ein gewinnträchtiges Unternehmen – zunächst mit den Geschäftsbereichen Chemie, Energie und Immobilien. Später konzentrierte sich Evonik auf die Chemie und trennte sich vom Energiekonzern Steag und vom Wohnungsriesen Vivawest. Ende 2012 wurde Müller Chef der RAG-Stiftung und des Evonik-Aufsichtsrats. Mit Ablauf der Hauptversammlung legte er wegen seiner Erkrankung seine Ämter nieder.

„Der letzte große Ruhrbaron tritt ab“

„Der letzte große Ruhrbaron tritt ab“, sagte Ulrich Hocker von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). In Müllers Zeit seien „exzellente Entscheidungen“ getroffen worden, urteilte Hocker und erwähnte unter anderem den millionenschweren Verkauf der Steag an eine Gruppe von Stadtwerken aus der Region. „Die Stadtwerke leiden heute noch darunter“, bemerkte Hocker forsch angesichts der schwierigen Lage der Steag. Stefan ten Doornkaat von den Aktionärsvereinigung SdK rief Müller zu: „Mit Ihnen geht eine Ära zu Ende.“

Evonik-Vorstandschef Kullmann, ein enger Vertrauter von Müller, bekräftigte sein Ziel, den Revierkonzern mit mehr als 36 000 Mitarbeitern zum „besten Spezialchemiekonzern der Welt“ zu machen. Dazu will Kullmann das Unternehmen weiter umbauen, die Gewinn-Marge soll mittelfristig von zuletzt 16 bis 18 Prozent auf 18 bis 20 Prozent steigen. Auch ein Verkauf des Methacrylat-Geschäfts mit der Traditionsmarke Plexiglas ist geplant. Damit könnte bald etwa jeder zehnte Beschäftigte von Evonik einen neuen Arbeitgeber erhalten.

Seitenhieb auf Borussia Dortmund

Nebenbei bemerkt: Einen Seitenhieb auf den Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund konnte sich Kullmann nicht verkneifen. Als es um Branchen-Auszeichnungen für Evonik ging, bemerkte der Chef des BVB-Sponsors spitz: „Da haben wir die Auszeichnungen bekommen, die dem BVB nicht gelungen sind.“

Als die Tagesordnung abgearbeitet war, gab Werner Müller noch den Hinweis auf die nächste Evonik-Hauptversammlung. Termin: 28. Mai 2019. Als sich Müller verabschiedete, war es noch früher Nachmittag – weit vor 16 Uhr.