Brüssel. Existenzangst und Wut haben die Milchbauern jetzt zum EU-Gipfel getrieben. Seit Anfang der Woche waren sie auf Sternfahrt nach Brüssel unterwegs. Dort machen sie ihrer Empörung Luft. In zwei, drei Monaten werde die Milch aus den Regalen verschwinden, drohen sie.

Die Stimmung am "Jubelpark" trügt. Verhaltene Ruhe liegt morgens um elf Uhr über dem Treffpunkt der Landwirte nahe dem Brüsseler Europaviertel, doch die Milchbauern sind wütend. In einem Dutzend Busse sind die ersten von ihnen bereits am Morgen zum Europagipfel nach angereist. Nun warten sie auf die Hauptakteure, Hunderte Trecker, die seit Anfang der Woche auf Sternfahrt zum Gipfel unterwegs ist.

„Wir produzieren einfach ins Nichts rein“, klagt Milchbauer Ränke Becker aus Ostfriesland. Jeder wirtschafte „100 Prozent im Minus“. Nach anfänglicher Zurückhaltung redet sich die Gruppe aus dem Norden warm und droht mit Lieferstopp: „In zwei, drei Monaten“ werde die Milch aus den Regalen verschwinden. Die Landwirte fürchten um ihre Existenz. Wovon sollen sie denn leben dort an der Nordsee, wo man entweder bei Volkswagen in Emden arbeitet oder eben auf dem eigenen Hof, fragt Molkereibetreiber Erich Fluß vorwurfsvoll. „Wenn wir nicht mehr da sind, dann gibt’s den Erich Fluß auch nicht mehr“, fasst Bauer Becker zusammen.

"Moderne Sklaverei"

Was den Landwirten Angst macht, ist die Aussicht, als „Arbeiter auf 400-Euro-Basis“ auf dem eigenen Hof schuften zu müssen. „Moderne Sklaverei“ nennt das eine Gruppe, die sich in bayerischem Dialekt zu Wort meldet. Ob sie selber Höfe haben? „Ja ... noch!“

Zwei Hauptforderungen stellt der Bund Deutscher Milchviehhalter (BDM), einer der Initiatoren des Protestes, an die Politiker: Die Produktionsobergrenze für die Milch soll sofort um fünf Prozent gesenkt werden, und längerfristig muss die Quote der Nachfrage angepasst werden – mit dem Ziel eines stabilen Preises.

„Bei dem Preis kann keine Sau überleben“, empört sich Johann Breitsamer. Der Milchbauer ist mitten in der Nacht mit einer Busladung Mitstreiter aus Augsburg aufgebrochen, nun steht er in der Brüsseler Mittagssonne. Die ersten Betriebe könnten sich bereits nicht mehr halten, sein Kumpel bekomme "das Geld nicht zusammen zur Tilgung für den Stall.“ Und außerdem: "Wie sollen die Jungen denn noch eine Frau finden, bei einer solchen Zukunft?" Wenn das so weitergehe, könne er seinem Sohn nicht empfehlen, den Hof zu übernehmen.

Bayerische Prostestler im Krachlederner mit Gamsbart

Es ist eine eigentümliche Mischung aus düsteren Visionen und Klassenfahrt. Einige haben alte Reifen mitgebracht und angezündet, die schwarze Rauchwolke steigt hoch in den Himmel. Eine Flämisch sprechende Fernsehreporterin, die sich in unmittelbarer Nähe postiert hat, verflucht den Dunst, möchte aber dennoch nicht auf die dramatischen Bilder verzichten. Ansonsten heißt es warten auf den Traktor-Treck. Die bayerischen Protestierer präsentieren sich in Krachlederner und mit Gamsbart auf dem Hut, hier und da bimmelt eine Kuhglocke. Zwei Eisverkäufer machen das Geschäft ihres Lebens.

Gegen Viertel vor zwei wird es unruhig. Als der erste Traktor auf den Platz knattert, wird er mit wehenden Fahnen und Klatschen begrüßt. Die Bauern jubeln, als die schweren Maschinen den Weg quer über die gepflegten Grünflächen am Springbrunnen nehmen. Unter den Sternfahrern ist auch Heinz Davids aus Meerbusch.Die vergangenen drei Tage hat er hinterm Steuer verbracht, „13, 14 Stunden“ berichtet der Landwirt, auf Landstraßen, im Schrittempo, tagelang. Die Stimmung ist trotzdem gut: „Unheimlich toll“, findet es der 42-jährige Milchbauer, „dass es soviel mutige Milchviehhalter europaweit gibt.“ Spontan hätten sich unterwegs belgische Kollegen angeschlossen, und zuhause hält die Frau mit den Kindern die Stellung: „Die schieben jetzt Sonderschichten.“ Sogar schulfrei hat der Nachwuchs bekommen.

Ob der Protest Wirkung zeigen wird? Erstmal ist Kampf angesagt. „Wir dürfen uns nicht in unseren Kuhställen verstecken“, sagt Davids. 10.000 bis 15.000 Euro stecke er jeden Monat in seinen Betrieb mit 250 Stück Vieh. „Brüssel kann so viel“, sagt er. Da werde doch wohl auch eine erträgliche Milchquote für die europäischen Bauern zu machen sein.