Essen. Hans Michaelsen von der IHK in Essen sieht die sinkenden Ausbildungszahlen mit Sorge. Prof. Dr. Frank Ziegele (CHE) ist trotz der Zahlen nicht bange.
Die Akademisierung der Arbeitswelt ist in vollem Gange. Das untermauern Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus der vergangenen Woche erneut. Im vergangenen Jahr haben demnach so wenige junge Menschen einen Ausbildungsvertrag im dualen System unterschrieben, wie nie zuvor. Zwar liegt der Unterschied zu 2014 bei "nur" 0,4 Prozent, der Trend der letzten Jahre ist aber eindeutig.
"Die Zahlen sind für uns ja nichts Neues", sagt Hans Michaelsen, Geschäftsführer Aus- und Weiterbildung der IHK Essen. "Wir sehen das aber mit Sorge." Deswegen sagt er zu jungen Leuten: "Nur weil du Abitur hast, musst du nicht studieren." Denn genau das machen inzwischen die meisten Jugendlichen, wenn sie mit der Schule fertig sind. 2013 übertraf die Zahl der Erstsemester zum ersten Mal die der neuen Auszubildenden.
Bevölkerung wünscht sich Akademisierung
Prof. Dr. Frank Ziegele, vom Gemeinützigen Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh, sieht den Trend hingegen ohne Sorge: "Die Akademisierung ist nicht des Teufels." Er analysiert: "Wir müssen aus dem Wunsch der Bevölkerung nur etwas machen. Das Studium ist der Normalfall geworden. Das bedeutet vor allem, dass die Studierenden viel heterogener als früher geworden sind."
Es gebe nicht mehr den klassischen Studenten, der mit 18 Jahren das erste Mal sein Zuhause verlässt, um an die Universität zu gehen. Dem neuen Status quo müssten sich die Hochschulen weiter anpassen, beispielsweise durch Teilzeitangebote.
Für Hans Michaelsen von der IHK Essen führt der Weg zu wieder steigenden Ausbildungsbeginnen vor allem über Aufklärungsarbeit. Die Zahlen der Studienabbrecher sind für ihn ein Indiz, dass Aufklärung viele junge Menschen davor schützen würde, abzubrechen. "Viele fangen doch ein Studium an, weil das viele in ihrem Alter tun", sagt er. Er spricht auch von einem "Herdentrieb", der aber nicht immer Vorteile mit sich bringe: "Es bringt doch nichts zu studieren, wenn man das nicht aus tiefster Überzeugung macht."
Für viele sei die Theorie an den Universitäten und Fachhochschulen nicht das Richtige: "In der Ausbildung arbeiten junge Leute immer auf ein konkretes Projekt bezogen. Das liegt vielen dann doch einfach mehr."
Größere Durchlässigkeit zwischen Ausbildung und Studium
An ähnlicher Stelle sieht auch Frank Ziegele (CHE) Potenzial: "Gut wäre eine maximale Durchlässigkeit zwischen Studium und Ausbildung. Wenn man merkt, dass einem das Studieren nicht liegt, sollte man sich bei einer anschließenden Ausbildung schon erbrachte Leistungen anrechnen lassen können. Umgekehrt natürlich genauso. Auch der Auzubildende sollte immer noch die Möglichkeit auf akademische Bildung haben." Dabei verweist er zum Beispiel auf die Möglichkeit ohne Abitur zu studieren.
Trotz der geringen Zahl der Bewerber bleiben viele Ausbildungsstellen unbesetzt – auf den ersten Blick ein Widerspruch. Hans Michaelsen von der IHK sagt: "Das ist nicht nur bei kleinen Betrieben so, sondern auch beim großen Mittelstand." Die Begründung dafür: Weil es die Abiturienten an die Universitäten zieht, gibt es zunehmend weniger geeignete Bewerber – "die Anforderungen dort sind auch hoch", sagt Michaelsen. Das sieht Frank Ziegele vom CHE ähnlich: "Viel mehr Berufe erfordern heute akademisches Wissen. Die Anforderungen sind komplexer und einfach anders geworden."
Nach der Schule zieht es viele zunächst ins Ausland
Kleinen und mittelständischen Unternehmen macht indes nicht nur die Akademisierung zu schaffen. Nach der Schule zieht es immer mehr junge Menschen für ein Jahr ins Ausland – "erstmal ein Jahr Australien", kommentiert Hans Michaelsen, der dem Aufenthalt aber trotzdem etwas Positives abgewinnen kann: "Wenn sie das Jahr dann genutzt haben um herauszufinden, was sie wollen – und nicht nur gechillt haben – dann ist ja alles gut."
Und wenn es dann noch so etwas wie ein gemeinsames Einstiegsjahr von Studenten und Auszubildenen geben würde, wie es Frank Ziegele vom CHE anregt, dann hätten junge Menschen einen noch tieferen Einblick in das, was sie machen können: Eine duale Ausbildung, oder ein Studium an einer Hochschule. Vielleicht in Zukunft deutlicher durchlässiger als bisher.