Essen. . Weltstahl-Präsident Wolfgang Eder fordert Anti-Dumping-Zölle gegen China und kritisiert die Klimaschutzpolitik der Europäischen Union.
Wolfgang Eder sieht seine Branche in einer brenzligen Lage. „Die Gewinne der europäischen Stahlhersteller sind schon jetzt alles andere als opulent“, sagt der Präsident des Weltstahlverbands im Gespräch mit dieser Redaktion. „Es ist überwiegend nicht viel mehr als ein Pendeln um den Nullpunkt. Wenn der Druck noch größer wird, drohen rote Zahlen auf breiter Front.“ Es gebe massive Überkapazitäten in Europa. „Im Klartext heißt das: Es wird zu viel Stahl produziert – ein Problem, das teilweise hausgemacht ist.“ Bedauerlicherweise würden auch in Europa Werke, die nicht rentabel seien, „künstlich am Leben gehalten“. Die schwierige Situation der europäischen Hersteller werde durch zunehmende Importe insbesondere aus China, aber auch aus der Türkei und aus anderen ostasiatischen Ländern verschärft.
Durch die Klimaschutzpläne der Europäischen Union sieht Eder langfristig sogar jeden zweiten Job in der Branche in Gefahr. Komme es zu der geplanten Verschärfung des CO2-Zertifikatehandels, dann blieben auf Dauer „wohl keine 50 Prozent der heutigen rund 360.000 Arbeitsplätze in der Stahlindustrie übrig“. Eder, der auch Chef des österreichischen Konzerns Voestalpine ist, schlägt Alarm. „Wir gehen in einen Überlebenskampf“, sagt er. „Insbesondere für Hersteller von Massenstahl, der in anderen Regionen viel günstiger hergestellt werden kann, wird es sehr schwierig.“
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Ein Grund sind auch zunehmende Stahl-Importe aus China. Diese führten zu stark fallenden Preisen an den europäischen Spotmärkten. „Teilweise liegen die Preise unter den Produktionskosten“, berichtet Eder. Es sei problematisch, wenn die Europäische Union weltweit der einzig frei zugängliche Markt für Stahlhersteller sei. „Dann werden sich alle hier treffen und das Motto lautet: Jeder gegen jeden.“ Länder wie die USA oder Mexiko seien konsequenter, wenn es darum gehe, notfalls mit Anti-Dumping-Zöllen ihren Industrien einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen, merkt Eder an. „Europa muss hier seine Position überdenken, um nicht auf der Strecke zu bleiben.“ Eder spricht sich nun offen für Anti-Dumping-Zölle aus.
„Macht es noch Sinn, in Europa Stahl zu produzieren?“
Auch aufgrund der Standortbedingungen in Europa setzt er als Voestalpine-Chef auf eine Strategie der Internationalisierung – insbesondere in Nordamerika und Asien. Deutschland ist derzeit mit rund 8400 Mitarbeitern der wichtigste Auslandsmarkt des Konzerns mit weltweit 47.500 Beschäftigten. Auch Voestalpine erwäge, Konsequenzen nach einer Verschärfung des CO2-Zertifikatehandels zu ziehen, sagt Eder. „Wenn die EU-Kommission bei ihren Plänen bleibt, wird uns das ab 2020 jährlich ungefähr 200 Millionen Euro kosten“, rechnet er vor. „Das ist mehr als der derzeitige Jahresgewinn in unserer Stahldivision. Dann stellt sich für uns die Frage: Macht es noch Sinn, in Europa Stahl zu produzieren?“
Generell bestehe die Gefahr „einer immer schneller fortschreitenden De-Industrialisierung“ in Europa. „Wenn es so weitergeht wie bisher, werden große Teile der Stahlindustrie in den nächsten 15 Jahren aus Europa verschwunden sein. Nur ein Teil wird bleiben: Vor allem wohl Unternehmen, die nicht auf Tonnen und Masse, sondern auf Qualität und Spezialisierung setzen.“
CO2-freie Stahlerzeugung aus heutiger Sicht „eine Utopie“
Die Klimaschutzziele der EU seien weitgehend unvereinbar mit den aktuellen technischen und physikalischen Realitäten der Stahlproduktion, betont der Voestalpine-Chef. Eine CO2-freie Stahlerzeugung sei aus heutiger Sicht „eine Utopie“. Die Industrie arbeite zwar mit großem Ehrgeiz an der Reduktion klimaschädlicher Emissionen. „Aber wir müssen uns der Realität stellen, dass mit den heutigen Möglichkeiten in Europa nur noch überschaubare Emissionssenkungen machbar sind.“ Frühestens in 15 Jahren werde es Technologien geben, die – wenn alles klappt – Stahlhersteller in großindustriellen Prozessen auf ein deutlich niedrigeres CO2-Niveau als heute bringen können, sagt Eder. „Eine völlig CO2-freie Stahlerzeugung kann ich mir nur unter Außerachtlassung sämtlicher Kostenaspekte vorstellen.“
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In Sachen Klimaschutz fehlten derzeit die globalen Ansätze, bemängelt Eder. Die unterschiedlichen Spielregeln seien wettbewerbsverzerrend und es gebe keine gleichen Startbedingungen. „Europa hat schon vor Jahrzehnten mit dem Klimaschutz begonnen, andere Regionen in der Welt fangen gerade erst an.“ Ein Stahlwerk, das in Europa nicht mehr existiere, produziere zwar hier kein Kohlendioxid mehr. Aber der Werkstoff Stahl werde benötigt und dann dort produziert, wo es weniger koste. „Die Folge wären auf globaler Ebene höhere CO2-Emissionen – ein Bärendienst für den Klimaschutz.“
Gelassener Blick auf VW-Dieselskandal
Seit der Finanzkrise 2008 halte sich die europäische Stahlindustrie bei Investitionen in neue Anlagen, genauso aber auch bei Forschung und Entwicklung eher zurück, was mit den vielfach niedrigen Gewinnmargen und der unsicheren Perspektive zu tun habe. „Eine im globalen Wettbewerb stehende Industrie hält das auf Dauer nicht aus“, warnt Eder. „Ich habe die Sorge, dass Hersteller aus China, Korea und anderen Ländern den europäischen Produzenten letztlich technologisch den Rang ablaufen.“
Mit Blick auf den VW-Dieselskandal zeigt sich Eder indes gelassen. „Ich rechne nicht damit, dass es durch die Vorgänge bei VW gravierende Auswirkungen auf die Produktionszahlen geben wird“, sagt er. „Die Markentreue der Kunden ist groß. Deutsche Qualitätsprodukte werden auch künftig ihre Käufer finden.“ Zu erwarten sei allerdings, dass Lieferanten des VW-Konzerns in naher Zukunft einen gewissen Druck bei Vertragsverhandlungen spüren werden. „Da muss dann jeder selbst entscheiden, wie er’s damit hält.“