Bonn. Wegen des Streiks will die Deutsche Post auch am Sonntag Briefe zustellen. Post-Chef Frank Appel verteidigt das umstrittene Vorgehen im Interview.
Der Streik bei der Post geht in die vierte Woche. Am Freitag (3. Juli) wird immerhin wieder verhandelt. Vor den Gesprächen mit der Gewerkschaft Verdi zeigt sich Post-Chef Frank Appel optimistisch, zugleich formuliert er Bedingungen für eine mögliche Einigung.
Herr Appel, können die Post-Kunden darauf hoffen, dass die Zustellung bald wieder reibungslos läuft?
Appel: Das hängt weniger von uns ab als von unseren Verhandlungspartnern.
Was tun Sie denn als Arbeitgeber dafür, den Konflikt mit der Gewerkschaft Verdi zu entschärfen? Immerhin geht es um die berufliche Zukunft von 140.000 Tarifbeschäftigten.
Appel: Wir setzen uns an den Tisch und verhandeln. Und das, obwohl der Streik fortgesetzt wird. Ich bleibe Optimist und bin mir sicher, dass wir uns einigen können. Wir sind Verdi ja auch schon deutlich entgegengekommen. Wir bieten die Verlängerung des Kündigungsschutzes und ein neues Arbeitszeitmodell, das eine Verkürzung der Arbeitszeit auf 34 Stunden zulässt. Wir sagen außerdem ganz klar: Die Mitarbeiter, die schon heute im Unternehmen beschäftigt sind, werden nicht schlechter gestellt. Aber wir müssen unsere Kostenstrukturen bei neu entstehenden Arbeitsplätzen wettbewerbsfähig machen.
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Die Gewerkschaft kritisiert insbesondere die Ausgliederung von Beschäftigten in der Paketzustellung in Tochterfirmen mit schlechterer Bezahlung. Es geht um rund 6000 Arbeitsplätze, die nun nicht mehr direkt beim Mutterkonzern angesiedelt sind. War die Ausgliederung wirklich notwendig?
Appel: Nachdem Verdi sich über Monate nicht gesprächsbereit gezeigt hatte, haben wir den befristet angestellten Paketzustellern aus der Deutsche Post AG Anfang des Jahres unbefristet eine Festanstellung in den Delivery GmbHs angeboten. Dort werden sie nach einem mit Verdi vereinbarten Tarif bezahlt. 3800 von 4000 haben das Angebot sofort angenommen. Dazu kommen inzwischen zusätzlich 2000 externe Neueinstellungen.
Der Vorwurf Vertragsbruch steht im Raum.
Appel: Bei der Gründung dieser Gesellschaften hat es entgegen falscher Behauptungen keinerlei Vertragsbruch gegeben. Diese Neuverträge berücksichtigen die veränderte Wettbewerbssituation in der Branche. Wir zahlen heute im Schnitt doppelt so hohe Löhne wie die Konkurrenz. Die Neuverträge sind dennoch hochattraktiv, denn wir liegen in der Bezahlung immer noch deutlich über den Mitbewerben. Die Situation ist schon einzigartig: Verdi streikt gegen seinen eigenen Tarif, mit Mitarbeitern, die davon nicht betroffen sind.
Warum die Post nicht das Prinzip „Gleiches Geld für gleiche Arbeit“ verfolgt
„Gleiches Geld für gleiche Arbeit“, argumentiert Verdi. Was soll daran falsch sein?
Appel: Ich habe Verständnis dafür, dass Mitarbeiter, die schon im Unternehmen sind, keine Abstriche machen wollen. Und das gewährleisten wir ja auch. Doch bei Neueinstellungen haben wir eine andere Situation. Die Post ist kein Monopolist mehr. Wir brauchen je nach Region unterschiedliche Lohnstrukturen. Die Situation in München ist anders als in Mecklenburg-Vorpommern. Das geht nicht mit einem Haustarif.
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Können Sie sich vorstellen, die Ausgliederung rückgängig zu machen und die betroffenen Beschäftigten wieder nach dem regulären Haustarif zu bezahlen?
Appel: Dass es die neuen Gesellschaften gibt, ist für uns nicht verhandelbar.
Es geht auch um Grundsätzliches. Sie wollen den operativen Gewinn des Konzerns bis zum Jahr 2020 von zuletzt rund drei Milliarden Euro auf fünf Milliarden Euro steigern. Verdi kritisiert, die Renditeziele seien zu hoch und wirkten sich negativ auf die Situation der Post-Mitarbeiter aus. Können Sie die Kritik nachvollziehen?
Appel: Nein, denn hier gerät einiges durcheinander. Es stimmt, dass wir unseren operativen Gewinn jährlich um acht Prozent steigern wollen. Mit einem Plus von zehn Prozent soll aber der größte Anteil aus dem Ausland kommen. In Deutschland ist eine Steigerung um drei Prozent geplant, also etwa auf dem Niveau des Umsatzwachstums. Mehr als 80 Prozent unseres geplanten Umsatzanstiegs kommen daher aus dem Ausland.
Höhere Produktivität = höhere Löhne: Das funktioniert nicht mehr
Sind Abstriche bei den Ergebniszielen denkbar?
Appel: Wir bleiben bei unseren Zielen. Wer sagt, unsere Ergebnisziele gehen zu Lasten der Mitarbeiter, liegt falsch. Wir müssen in der Lage sein, massiv in unser Geschäft zu investieren. Sonst entstehen die Arbeitsplätze bei Wettbewerbern, die in der Regel deutlich schlechter bezahlen als wir. Das kann niemand wollen – auch Verdi nicht.
Werden die Konkurrenten der Post durch den Streik gestärkt?
Appel: Es gibt natürlich ein Risiko, dass wir Kunden verlieren, die zu Wettbewerbern gehen und dort bleiben. Die genauen Folgen des Streiks werden aber für uns vermutlich erst in einigen Monaten genau sichtbar. Klar ist: Der Wettbewerb ist rau.
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Gerade in früheren Staatsbetrieben wird der Arbeitskampf mit großer Härte geführt. Das zeigt sich bei der Post, bei Lufthansa und auch beim nun gelösten Konflikt bei der Bahn. Sind die ungewöhnlich harten Auseinandersetzungen ein Zufall?
Appel: Nein, das ist kein Zufall. Diese Unternehmen sind als Monopolisten oder Quasi-Monopolisten gestartet. Lange Zeit konnten auch wir als Konzern Lohnsteigerungen über Fortschritte bei der Produktivität erwirtschaften. Hier haben wir das Ende der Fahnenstange erreicht.
Müssen für ein Unternehmen, an dem auch der Staat mit 21 Prozent beteiligt ist, besondere Maßstäbe mit Blick auf die Beschäftigten gelten?
Appel: Wir sind ein privates Unternehmen, und wir nehmen unsere Verantwortung für die Beschäftigten in vollem Umfang wahr. Dazu gehört auch, dass wir den Menschen keinen Sand in die Augen streuen.
NRW entscheidet bei der Sonntagszustellung anders als andere Bundesländer
Sie wirken verärgert über die Eskalation im Streik.
Appel: Ich bin nicht verärgert. Es stört mich aber, dass Mitarbeiter, die nichts dafür können, letztlich die Zeche für die Folgen des Streiks zahlen sollen. Wir tun als Management nichts, was unredlich ist. Im Gegenteil: Wir wollen das Unternehmen für die Zukunft wappnen.
Die Landesregierung in NRW ist mit Hilfe des Arbeitsschutzes gegen die Sonntagszustellung der Post vorgegangen. Ist das aus Ihrer Sicht nachvollziehbar?
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Appel: Wir gehen davon aus, dass es richtig und rechtlich erlaubt ist, in Streikzeiten auch am Sonntag Briefe auszutragen. Dieser Auffassung folgen viele Bundesländer. Andere Bundesländer sehen das anders. Hier gibt es offensichtlich unterschiedliche politische Positionen.
Das heißt, das Vorgehen in NRW ist aus Ihrer Sicht nicht juristisch, sondern politisch motiviert?
Appel: Einzelne Entscheidungen will ich nicht kommentieren.
Bleibt es dabei, dass in der Streikzeit an Sonntagen in NRW keine Briefe zugestellt werden?
Appel: Das werden wir kurzfristig entscheiden.
Was hören Sie von Ihren Kunden? Wie viele Beschwerden kommen bei Ihnen an?
Appel: Es gibt die eine oder andere Beschwerde. Ein Streik bleibt nicht ohne Auswirkungen. Aber wir liefern immer noch sehr gute Qualität.
Welche Rückmeldungen bekommen Sie von Großkunden wie Amazon, Zalando oder anderen Versandhändlern?
Appel: Natürlich stehen wir hier in ständigem Kontakt. Wir setzen alles daran, die Auswirkungen des Streiks für alle unsere Kunden so gering wie möglich zu halten.
Rund 30 000 Beschäftigte streiken. Lässt sich so überhaupt eine pünktliche Zustellung gewährleisten?
Appel: Zunächst darf man nicht vergessen, dass noch immer im Schnitt mit unseren verbeamteten Kollegen insgesamt 150 000 Mitarbeiter regulär ihrer Arbeit nachgehen. Die Situation bei der Zustellung unterscheidet sich von Region zu Region zum Teil erheblich. Grundsätzlich gibt es aber viele Freiwillige im Unternehmen, die derzeit mehr als sonst arbeiten. Außerdem setzen wir im Rahmen der geltenden rechtlichen Regeln temporäre Kräfte und Leiharbeiter ein. Das alles tun wir nicht, um den Streik zu brechen, sondern um unsere Kunden zufrieden zu stellen.
Zuletzt ist das Porto für einen Standardbrief zum Jahresanfang um zwei Cent erhöht worden. Sind weitere Anhebungen denkbar, auch um die Kosten des Streiks wieder hereinzuholen?
Appel: Das wird im Herbst entschieden. Ich will nicht spekulieren. Aber gerade vor dem Hintergrund des Streiks und dessen Auswirkungen auf die Kunden müssen wir uns nun sehr genau überlegen, was wir tun.
Ein derart langer Streik, der in dieser Härte geführt wird, ist sehr ungewöhnlich für die Post. Wie wirkt sich die Situation auf das Klima im Unternehmen aus?
Appel: Es bleibt nicht aus, dass der Streik die Stimmung im Betrieb verschlechtert hat. Ich bin aber zuversichtlich, dass sich die Lage auch wieder entspannt und Normalität einkehrt.
Wird von Vorgesetzten Druck auf Beschäftigte ausgeübt, die streiken wollen?
Appel: Der Vorwurf, bei uns würde systematisch Druck auf streikwillige Beschäftigte ausgeübt, ist absurd. Natürlich darf streiken, wer streiken will. Umgekehrt gibt es aber auch das Recht, zur Arbeit zu gehen. Und da finde ich es sehr bedenklich, wenn Mitarbeiter gefilmt, belästigt oder öffentlich als Judas diffamiert werden, nur weil sie aus Solidarität mit dem Unternehmen ihrer Arbeit nachgehen.
Geben Sie bitte eine Prognose ab: Wann läuft die Post-Zustellung wieder wie gewohnt?
Appel: Wenn es eine Einigung gibt, wird es sehr schnell gehen. Doch ob und wann es zu einer Einigung kommt, kann ich nicht sagen.
Bekommen Sie zu Hause pünktlich Ihre Post? Oder streikt Ihr Briefträger auch?
Appel: Meine Post kommt pünktlich. So wie bei sehr vielen anderen Kunden auch.